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»Die linke Mitte ist als politisches Projekt längst tot … In unserer Zeit der globalen Krise gibt es den ›Reformismus‹ nicht
mehr. Es gibt keine moderate linke Kraft, die in der Lage wäre, relative soziale Verbesserungen herauszuholen. Was sich heute in Italien selbst als
›Reformismus‹ bezeichnet, ist nur ein etwas abgemilderter Neoliberalismus.«
Diese Diagnose vom Vorsitzenden der italienischen Rifondazione Comunista, Fausto
Bertinotti, ist treffend für die gesamte Sozialdemokratie und entspricht heutzutage der alltäglichen Erfahrung Hunderttausender von
Gewerkschaftsaktivisten, Betriebsräten und Beschäftigten im Bereich der sozialen Dienstleistungen. Selbst der berühmte neue Klodeckel in
der Proletenumkleide kann bei der gegenwärtigen Kampflaune des Kapitals und seiner Regierung nur mittels einer gehörigen Portion
Radikalität und Systemkritik erkämpft werden. Im Gegensatz zur viel beschworenen Ankündigung, hat der Mittelweg nicht erst in Gefahr und
großer Not, sondern schon viel früher den Tod gebracht.
Es ist deshalb ein klarer Fall von Nekrophilie, wenn derselbe Bertinotti ein
Parteienbündnis ausgerechnet mit der französischen, spanischen und griechischen KP sowie der deutschen PDS als Zukunftsprojekt der
europäischen Linken anpreist. Speziell bei der deutschen »Partei des demokratischen Sozialismus« ist die Erstarrung zur
Sozialdemokratischen Partei schon so fortgeschritten und sind die Tänze der Herren Bisky, Gysi und Anhang nur noch Totenkult, dass sie von der
bürgerlichen Medienwelt noch nicht einmal mehr totgeschwiegen werden müssen. Verstorben ohne Feindeinwirkung.
Es gibt unter den Gepflogenheiten der bürokratischen Machtabsicherung deutscher
Gewerkschaftsführungen unterschiedliche Begräbniszeremonien für unerwünschte, in der Regel linke Anträge zu
Gewerkschaftskongressen. Das Bestattungsinstitut nennt sich in der Regel »Antragsberatungskommission« oder ähnlich. »Ablehnung
empfohlen« ist dabei durchweg noch ein Ehrentitel, der immerhin ein Wiederaufleben ermöglicht. Die Übernahme als Material für den
Vorstand ist die übliche Beerdigung dritter Klasse. Manchmal wird auch die Bestattung erster Klasse eingeräumt: »Erledigt durch die
Praxis.« Das ist jetzt den Anträgen zur Aufhebung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse in der IG Metall widerfahren.
Erledigt durch die Praxis, das wäre auch eine schöne Beisetzung der toten
Sozialdemokratie. Allein, wir glauben nicht dran: das Faszinosum der sozialdemokratischen Mythen scheint unausrottbar. Im Gegensatz zur
bürokratischen Welt der Gewerkschaftsfunktionäre gibt es in der wirklichen Welt leider keine Antragsberatungskommission, die über Wohl
und Wehe entscheidet.
Der Mittelweg mag tot sein und zum Tod führen, den Kult um ihn gibt es immer noch.
Und selbst der widerwärtigste Verwesungsgeruch schafft es nicht, den Kult zu vertreiben: Da gibt es in der SPD sechs Figuren, die in der
Öffentlichkeit als »Abweichler« bezeichnet werden, in Wahrheit aber hirn- und rückratlose Figuren sind, ohne Gewissen und Prinzipien.
Sie sind sozusagen die Maden am Leichnam der SPD, oder die Würstchen, die zu verkaufen sich Olaf Scholz schon heute erlaubt, und nicht erst im Falle
seiner Arbeitslosigkeit. Allein diese Sechs müssten Anlass für die Sechshunderttausend sein, die noch in der SPD sind, ihr Mitgliedsbuch
wegzuschmeißen. Aber solange eine radikale Alternative nicht für das Leben wirbt, solange wird dem Tod halt noch gehuldigt.
Ist Nekrophilie nicht strafbar?
Thies Gleiss
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