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Vor zehn Jahren wurde das Asylrecht per
Verfassungsänderung ausgehebelt. Vorausgegangen waren
eine massive Kampagne in den Medien sowie zahlreiche
rechtsextreme Übergriffe gegen Migranten.
»Politisch Verfolgte genießen Asyl«,
lautete Art.16 des Grundgesetzes lapidar, dem der Bundestag am
26.Mai 1993 per Zweidrittelmehrheit ein großes
»Aber« hinzufügte und damit de facto das
Grundrecht auf Asyl abschaffte. Hinzugefügt wurden u.a.
die Regelung über angeblich sichere Herkunftsländer,
die Drittstaatenregelung und das Flughafenverfahren. Für
Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge wurde eine
eigenständige Regelung jenseits des Asylverfahrens
eingeführt. Mehrere tausend Menschen hatten vergeblich
versucht, die Gesetzesänderung mit einer Blockade des
Bundestags zu verhindern. Vorausgegangen war dem Beschluss
eine rassistische Kampagne unerhörten Ausmaßes.
Hinzu kam eine Welle von Angriffen auf Flüchtlinge und
ihre Wohnstätten.
Die Drittstaatenregelung besagt, dass
Flüchtlinge, die über einen sog. sicheren Drittstaat
einreisen, das Asylrecht grundsätzlich nicht mehr in
Anspruch nehmen können. Sie werden daher schon an der
Grenze abgewiesen. Selbstverständlich, dass sich
Deutschland ausschließlich von sicheren Drittstaaten
umgeben sieht.
Asylbewerber können also nur per
Flugzeug oder Schiff einreisen, der Landweg bleibt
ausgeschlossen. Mit dieser Regelung wurde ein zentrales
Element des Asylgrundrechts aufgegeben: das Recht auf
Einreise. Für Flüchtlinge, die per Flugzeug nach
Deutschland gelangen, greift die Flughafenregelung.
Asylsuchende müssen ihren Asylantrag bereits im
Transitbereich der Flughäfen stellen. Dieser Bereich gilt
als exterritorial, eine Einreise hat daher noch nicht
stattgefunden. Diese Konstruktion hebelt gesetzliche
Möglichkeiten der Flüchtlinge aus. Flüchtlinge
aus »sicheren Herkunftsländern« genießen
grundsätzlich kein Asylrecht. Ihre Anträge werden
als »offensichtlich unbegründet« abgewiesen.
Eine Liste dieser Länder wird per Gesetz
festgelegt.
»Die herausragende Bedeutung von Artikel 16
liegt nicht zuletzt darin, dass der Flüchtling zum
Rechtssubjekt gemacht wurde. Die faktische Abschaffung von
Artikel 16 lässt den Flüchtling wieder stärker
zum Objekt des Staates werden. Übrig bleibt ein
restriktives Gnadenrecht für Kriegs- und
Bürgerkriegsflüchtlinge«, erklärte Herbert
Leuninger, damals Sprecher von Pro Asyl. Das Grundrecht auf
Asyl, nicht zuletzt Lehre aus der Verfolgung von Juden, Roma
und politischen Gegnern während des Nationalsozialismus,
die auf ihrer Flucht an den Grenzen der Zielländer
abgewiesen wurden, hatte effektiv aufgehört zu
existieren, egal wie eingeschränkt es auch vor 1993 schon
gewesen sein mag. »Ohne die Genfer
Flüchtlingskonvention wäre Deutschland heute ein
nahezu flüchtlingsfreies Land«, kommentierte etwa
die Taz jüngst.
Vorausgegangen war der Abschaffung des
Asylrechts eine rassistische Kampagne unerhörten
Ausmaßes. Unter dem Motto »Das Boot ist voll«
so ein Titelbild des Spiegel wurde gegen
Flüchtlinge getrommelt.
Deutschland sah sich von
Flüchtlingsströmen überrollt. Man sprach von
»Flut«, »Wellen« und
»Dammbruch«. Die Presse schwadronierte über
»Asylmissbrauch«, »Asylbetrüger«,
»Wirtschaftsflüchtlinge« und allgemein
über »Asylanten«. Als Resultat wurde »das
Flüchtlingsproblem« innerhalb von wenigen Monaten in
Umfragen immer häufiger als eines der drängendsten
Probleme genannt. Die Anzahl der Nennungen stieg von nicht
einmal zehn auf 95% im Vorfeld der Grundgesetzänderung
und überholte damit sogar den Dauerbrenner
Arbeitslosigkeit. Offizieller Grund war der Anstieg der Zahl
der Asylbewerber auf 400000 pro Jahr, nicht zuletzt eine Folge
des Zusammenbruchs des Ostblocks. 400000 Menschen: Das sind
nicht einmal 5‰ der bundesdeutschen Bevölkerung. Die 800-
Seelen-Gemeinde, in der der Autor aufzuwachsen das
Vergnügen hatte, hätte demnach alle zwei Jahre sage
und schreibe einen Flüchtling aufnehmen müssen
derzeit beantragen pro Jahr 100000 Menschen in
Deutschland Asyl. Begleitet wurde die rassistische Kampagne
durch rechtsextreme Angriffe auf Flüchtlinge/Migranten
und ihre Wohnstätten. Zu offenen Pogromen kam es im
September 1991 in Hoyerswerda und im September 1992 in Rostock-
Lichtenhagen. Im Zeitraum vom 1.Januar 1993 bis zum Tag des
Asylbeschlusses am 26.Mai zählte die Antirassistische
Initiative Berlin 64 Brandanschläge auf
Asylunterkünfte und Übergriffe auf
Ausländer.
Gegen die Abschaffung des Asylrechts
mobilisierte ein großes Bündnis aus Kirchen,
Menschenrechtsorganisationen und linken Gruppierungen. Das
Bündnis forderte zur Blockade des Bundestags in Bonn am
»Tag X« auf.
6000 Menschen folgten damals dem Aufruf
und die Blockade auf dem Landwege konnte sogar erfolgreich
durchgesetzt werden. Trotzdem markiert der 26.Mai 2003 auch
eine einschneidende Niederlage. Es zeigte sich, dass das
linksliberale Spektrum im Zuge der Wiedervereinigung mehr oder
weniger komplett zusammengebrochen war sowohl
publizistisch als auch in seiner mobilisierenden Wirkung. Ein
Großteil der Teilnehmer der Blockade entstammten
autonomen, militanten und linksradikalen Zusammenhängen.
Diese eigentlich angetreten, den Staat den Weg alles
Vergänglichen gehen zu lassen sahen sich nun in
der ungewohnten Situation, fast als einzige die Verfassung zu
verteidigen.
Eine Situation, die sich seitdem nicht geändert
hat. Der Abschaffung des Asylrechts folgte die Einführung
des großen Lauschangriffs per Änderung von
Art.13 GG, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantierte.
Mit den Out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr und ihrer
Beteiligung am Angriff auf Jugoslawien wird das Verbot des
Angriffskriegs ad absurdum geführt. Auch hier
beschränkte sich der Protest auf die
gesamtgesellschaftlich kleinen Bereiche linker Zirkel und
einzelner linksliberaler Stimmen.
Gekürzt aus: Morgengrauen, Nr.97, November
2003.
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