SoZ Sozialistische Zeitung |
Rund 50000 Menschen waren zum zweiten Europäischen Sozialforum in die französische Hauptstadt gekommen,
doch wer sich auch nur halbwegs einen Überblick über die 55 Plenarsitzungen, 270 Seminare und 300 Arbeitsgruppen verschaffen wollte, verbrachte
mehr Zeit in der U-Bahn, als in den Zelten, Rathäusern, alten Markthallen oder auch Konferenzräumen, die die Organisatoren in vier verschiedenen
Gemeinden errichtet oder angemietet hatten. Waren vor einem Jahr in Florenz zumindest die Hauptveranstaltungen noch an einem Ort konzentriert, mussten nun
weite Wege mit der Untergrundbahn zurückgelegt werden, um in die verschiedenen Zentren des Geschehens zu kommen. Und selbst an einigen
Veranstaltungsorte lagen die Räume alles andere als nah beieinander.
Das war für die Besucher oft aufreibend, lässt aber auch die Löwenaufgabe
erkennen, die die Organisatoren zu bewältigen hatten. In einigen Fällen wie in Saint-Denis konnten sie dabei auf die tatkräftige Mithilfe der
linken Stadtverwaltung rechnen, die das Rathaus und andere Einrichtungen zur Verfügung stellte und selbst parallel zum ESF ein Forum für
Kommunalpolitiker organisierte.
Rund 3 Millionen Euro gab es an Zuwendungen aus öffentlicher Hand und dennoch
mussten die Teilnehmer je nach Einkommen 33 Euro und mehr bezahlen. Wer gar keinen Verdienst hatte, kam für 3 Euro rein, stand dann aber immer
noch vor dem Problem, dass das angebotene Essen deutlich über deutschen Preisen lag.
Der Stimmung auf dem Forum tat das keinen Abbruch. Die Qualität der Diskussionen
war indes unterschiedlich. Rahul Mahajan von der US-Friedensbewegung wünschte sich weniger Großveranstaltungen, auf denen eine allgemeine
Zustandsbeschreibung der Welt die nächste jagt. Mehr konkrete Diskussionen über handfeste Projekte wären ihm lieber gewesen. Aber
wahrscheinlich war er nur in den falschen Diskussionsrunden. Andere, wie zum Beispiel Sven Giegold vom deutschen Attac-Koordinierungskreis, waren mit der
Arbeit in den kleineren Workshops hoch zufrieden.
Die Vielfalt der Themen reichte von radikaler Arbeitszeitverkürzung und
Grundeinkommen für alle über den Zusammenhang zwischen Welthandelsorganisation und Gentechnik bis zu den Rechten von Einwanderern und
der restriktiven, nicht selten tödlichen Politik der EU gegen Flüchtlinge. In vielen Seminaren und Arbeitsgruppen kam dabei die Rede immer wieder
auf die geplante EU-Verfassung. Die sei, hieß es am Sonntag in einer Erklärung der sozialen Bewegungen, ein neoliberales Projekt, das den
Wettbewerb in den Verfassungsrang erhebe und zudem noch die Militarisierung und Aufrüstung festschreibe. Daher gerät der Verfassungsvertrag,
der am 9.Mai feierlich in Rom unterzeichnet werden soll, immer mehr ins Visier von Gewerkschaften und Friedensorganisationen. In Italien, Frankreich,
Dänemark und anderen Ländern laufen bereits Kampagnen dagegen an.
Weitere wichtige Themen auf dem ESF waren die Besetzung des Irak und Israels Politik in den
besetzten palästinensischen Gebieten. An den Diskussionen nahmen auch palästinensischer Vertreter und Sprecher der irakischen Opposition teil.
Letztere nutzten die Gelegenheit, eine Initiative zur Einberufung einer Volksvertretung bekannt zu geben. José Bové von der französischen
Kleinbauernvereinigung Confédération Paysanne schlug in diesem Zusammenhang eine Friedenskarawane in den Irak vor.
Am Sonntag einigte man sich darauf, den 20.März in Absprache mit der US-
Friedensbewegung zum internationalen Aktionstag zu machen. Die Hauptforderungen sind der Abzug der Besatzer aus dem Irak und die sofortige
Wiederherstellung der Souveränität des irakischen Volkes.
Der Aktionstag richtet sich auch gegen die Besatzungspolitik Israels und insbesondere die
Mauer durch die Westbank. In einigen Ländern wie Griechenland, Italien und auch Großbritannien werden sich die Gewerkschaften in
größerem Umfang an den Antikriegsaktionen beteiligen.
Anlässlich der verheerenden Anschläge auf zwei Synagogen in Istanbul
verabschiedete die Versammlung der sozialen Bewegungen eine Erklärung, die Antisemitismus klar verurteilt, aber auch vor Antiarabismus warnt und klar
stellt, dass die sozialen Bewegungen kein Interesse daran haben, die bestehenden Konflikte in Nahost zu ethnisieren oder religiös umzuinterpretieren.
Auffällig oft war auf verschiedenen Treffen vom Generalstreik die Rede. Selbst auf dem
Treffen der deutschen Delegation konnten sich viele für ihn begeistern, nur die anwesenden Gewerkschafter kippten ein wenig Wasser in den Wein. Man
solle seine Ziele nicht zu hoch stecken, meinte z.B. Bernt Kamin, Betriebsratsvorsitzender im Hamburger Hafen. Aber die Betriebe müssten unbedingt
politisiert und eine Bewegung gegen Sozialkahlschlag von unten aufgebaut werden.
Auffallend war die kämpferische Stimmung unter den vielleicht 500 Teilnehmenden der
deutschen Versammlung. Ganz offensichtlich hat die Demonstration am 1.November vielen reichlich Hoffnung gemacht, auch in Deutschland sei die Zeit der
Friedhofsruhe vorbei. Daher war es vielen deutschen ESF-Teilnehmern besonders wichtig, daß man sich in Paris auf einen europaweiten Aktionstag gegen
Sozialabbau einigt.
Auch Horst Schmitthenner vom IG-Metall-Vorstand sowie Frank Bsirske von Ver.di sprachen
sich dafür aus, warnten aber, den Gewerkschaften einfach einen Termin vorzusetzen. Da sich auch die Versammlung der sozialen Bewegungen nicht auf
einen Termin festlegen konnte, wird man nun zur Enttäuschung vieler Aktivisten nicht nur aus Deutschland zunächst abwarten, was der
Europäische Gewerkschaftsbund am 4.Dezember entscheidet.
Und dann war da natürlich noch die Abschlussdemonstration am Samstag. Motto:
»Für ein Europa der Rechte in einer Welt ohne Krieg.« Die 100000, die dort zusammen kamen, waren ein bunter Haufen: Prostituierte, die
für die vollständige Legalisierung ihres Gewerbes auf die Straße gingen; ein sehr großer Block der Sans Papiers; mehrere Trecker der
Confédération Paysanne, verschiedene linkssozialistische Parteien, Attac-Gruppen aus allen Ecken des Kontinents und viele, viele Gewerkschafter
aus allen möglichen europäischen Ländern. Die IG-Metall-Vertrauensleute von VW Wolfsburg hatten eigens einen Bus nach Paris
organisiert, um für die 30-Stunden-Woche zu demonstrieren. Eines der beherrschenden Themen des Demozuges waren indes Krieg und Besatzung im Irak
sowie Israel und Palästina.
Wolfgang Pomrehn
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