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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 9

1.Europäisches Treffen für die Rechte der Frauen

Feminismus statt Fundamentalismus

Einen Tag vor Beginn des ESF trafen sich im Pariser Vorort Bobigny 3000 Frauen (und wenige Männer) zum ersten Europäischen Treffen für die Rechte der Frauen. Immer wieder wurde die Einzigartigkeit des Treffens betont, bei dem es hauptsächlich darum ging, die Unterdrückung der Frau durch das Patriarchat und die neoliberale Globalisierung aufzuzeigen, um dann Alternativen und Forderungen zu entwickeln. Die Teilnehmerinnen sollten die Möglichkeit bekommen, sich gestärkt, vernetzt und mit neuen Anregungen ins Sozialforum einzubringen. Anwesend waren 44 Nationalitäten und fast 200 Vereine und Organisationen.
Die einleitende Podiumsdiskussion unterstrich die Notwendigkeit der Solidarität mit Frauen in Arbeitskämpfen, mit Frauen gegen häusliche Gewalt, mit Frauen in Kriegsregionen und mit Frauen, die sich weltweit gegen Unterdrückung und Ausbeutung wehren. Danach arbeitete das Forum in sechs parallelen Seminaren zu den wichtigsten Themen der Frauenbewegung.
Frauen und Krieg: Frauen sind der größte Teil der Zivilbevölkerung und die ersten Opfer im Krieg. Das Forum wandte sich entschieden gegen die europäische Verfassung, die die Militarisierung und Aufrüstung der EU vorantreiben will. Es sind die Frauen, die in Konflikten und Kriegen versuchen, den Dialog aufrechtzuerhalten. Frauen aus Palästina und Israel, Kurdinnen und Türkinnen, Russinnen und Tschetscheninnen betonten ihr gemeinsames Engagement gegen diese Kriege.
Sexuelle und reproduktive Rechte: Nach wie vor fehlen sie. Die Hauptforderung liegt auf dem Recht auf Abtreibung, das in Polen und Portugal illegalisiert wird. Aber auch die Privatisierung der Gesundheitssysteme erschwert die Bedingungen für Frauen überall in Europa.
Arbeit, Armut und Prekarität in Europa. In einer Zeit des sozialen Kahlschlags werden die Lebensbedingungen für Frauen immer schwerer. Sie sind nur selten Familienoberhaupt und profitieren deshalb nicht im gleichen Umfang von finanziellen Unterstützungen wie Männer. Das wird besonders in der Landwirtschaft deutlich, wo Frauen meistens von Subventionen ausgeschlossen sind. Frauen leiden verstärkt unter prekären Beschäftigungsverhältnissen, flexiblen Arbeitszeiten und befristeten Arbeitsverträgen. In Deutschland wird die frauenfeindliche Politik durch die Hartz-Gesetze nochmals verschärft.
Frauen und Macht: Die Frauenbewegung hat sich immer wieder mit der Herrschaftsfrage beschäftigt. Zwar gibt es immer wieder zahlreiche Lippenbekenntnisse für Parität und Gleichberechtigung, doch können wir nicht sagen, dass sie annähernd realisiert wären, im Gegenteil: das Recht auf Gleichstellung ist in der Europäischen Verfassung nicht verankert. Die globalisierungskritische Bewegung kann von der Frauenbewegung lernen, die Machtfrage zu stellen, ohne als Antwort die eigene Machtübernahme zu propagieren.
Frauen und Migration: Migrantinnen sind in unseren Gesellschaften unsichtbar. Sie müssen sich sowohl in ihrem Heimatland gegen Unterdrückung wehren als auch in Europa für ihre Rechte kämpfen. Sie werden unter ihrer Qualifikation ausgebeutet und verfügen nicht über alle sozialen und politischen Rechte. Diese Frauen erwarten Solidarität von den Europäerinnen, nicht Mitleid oder Almosen, sondern Unterstützung in ihren Kämpfen. In Frankreich ist die Bewegung der Frauen und Mädchen der Vorstädte unter dem Motto »Ni putes ni soumises« (Weder Huren noch Unterwürfige) ein Zeichen für Widerstand und für den Kampf einer neuen Generation und einer Gruppe von Frauen, die lange Zeit keine Stimme hatte. Sie kämpfen für die völlige Gleichberechtigung sowohl im privaten Leben als auch in der Öffentlichkeit. Diese Frauen wehren sich gegen die häusliche Gewalt und gegen die Übergriffe, denen sie in ihren Wohnvierteln ausgeliefert sind. Hier gab es viele Berührungspunkte zum Seminar über Frauen und Gewalt.
Die Teilnhmerinnen des ersten Europäischen Treffen für die Rechte der Frauen waren sich in vielen Punkten einig. Differenzen gab es jedoch in zwei Punkten, die nicht zu vernachlässigen sind: 1. Prostitution: Ist das ein normaler Beruf oder eine Gewalt gegen Frauen? 2. Das Kopftuch: Ist es ein Sinnbild der Emanzipation gegen die vorherrschende westeuropäische Ideologie oder ein Zeichen von Unterdrückung? Leider wurden beide Themen nur am Rande gestreift, und leider setzten sich die Arbeitsgruppen im Laufe des Sozialforums nicht explizit mit diesen Kontroversen auseinander.
Diese Fragen gehören offen und kontrovers diskutiert. Man kann die Prostitution weder moralisierenden Konservativen noch kapitalistischen Menschenhändlern überlassen; es bedarf gemeinsamer Forderungen, die Frauen die größtmögliche Freiheit und den nötigen Schutz gewähren. Auch in der Kopftuchdebatte, die in Frankreich wie in Deutschland intensiv geführt wird, müssen feministische Standpunkte neben christlichen und islamischen Fanatikern stark gemacht werden. Bei aller Notwendigkeit, eine neue pluralistische, kämpferische und solidarische Frauenbewegung in Europa aufzubauen, dürfen wir Konflikte und Kontroversen nicht scheuen, denn Offenheit, Pluralität und der solidarische Umgang miteinander zeichnen die neue Qualität der sozialen Bewegungen aus.
Das Treffen endete mit einer Demonstration von fast 8000 Frauen zur Auftaktveranstaltung des ESF.

Kim Goerens

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