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Am zweiten Europäischen Sozialforum in Paris beteiligten sich erheblich mehr Gewerkschafter aus Deutschland als in
Florenz. Neben dem ehemaligen Vorstandsmitglied der IG Metall, Horst Schmitthenner, kamen auch der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank
Bsirske, und sein Kollege von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg. Sie kündigten eine engere
Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen an. Aber nicht nur Gewerkschaftsfunktionäre kamen. Besonders augenfällig war ein etwa
hundertköpfiger Block der IG Metall auf der abschließenden Großdemonstration am Samstag Kolleginnen und Kollegen von VW-
Wolfsburg, die extra zur Demonstration angereist waren. Mit dem Betriebsrat Stephan Krull sprach Gerhard Klas in Paris.
Warum nimmst du am Europäischen Sozialforum teil?
Ich nehme daran nicht alleine teil, wir sind mit einer ganzen Reihe von Kollegen von der IG Metall aus Wolfsburg hier, weil wir uns einbringen wollen
in den Prozess der Europäischen Sozialforen, und weil wir das, was dort beraten und beschlossen wird, wieder mit nach Hause nehmen wollen, um unsere
Kolleginnen und Kollegen zu informieren und auch zu mobilisieren für Aktionen, für Bewegung, für Veränderung. Wir haben schon
am ersten ESF teilgenommen, und es wird nicht das letzte Mal sein.
Was erwartest du von diesem Sozialforum?
Zunächst mal finde ich es wichtig, dass ein Austausch stattfindet. Und zwar sowohl zwischen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus
verschiedenen Ländern Europas als auch zwischen Gewerkschaften und Teilen der sozialen Bewegungen. Wenn der Austausch produktiv ist, werden wir
gemeinsame Aktivitäten verabreden. Wir haben bspw. ein Seminar zum Thema Arbeitszeitverkürzung initiiert und ein ganz großes Interesse
daran, dass es eben kein Problem bleibt, das uns alleine beschäftigt. Damit wollen wir einen Kontrapunkt setzen gegen die gegenwärtige
Arbeitszeitpolitik von Unternehmen und Regierungen.
Was ist eure Erfahrung mit sozialen Bewegungen in Wolfsburg?
Ein Sozialforum gibt es nicht, aber es gibt seit einigen Monaten Attac. Die Zusammenarbeit der IG Metall und anderer Gewerkschaften mit Attac und
mit anderen, die vom Sozialabbau betroffen sind z.B. Arbeitsloseninitiativen und Teilen der Kirche läuft gut. Als Sozialforum haben sie
sich bisher nicht konstituiert, dennoch gibt es die Zusammenarbeit. Wichtig ist, dass sich eine Bewegung entwickelt, und das ist in ganz kleinen Ansätzen
durchaus vorhanden.
Anlässlich der Proteste gegen den Sozialabbau am 1.November gab es in Deutschland Meinungsverschiedenheiten und Spannungen
innerhalb der Gewerkschaften. Viele Bezirke, Belegschaften und Mitglieder kritisierten, dass die Vorstände nicht nach Berlin mobilisiert hatten. Wart ihr
zufrieden mit der Haltung der Gewerkschaftsführung zu diesem Zeitpunkt?
Nein, kann man ja nicht. Wenn die Haltung der Bundesvorstände der Gewerkschaften eine andere gewesen wäre, dann wären nicht
nur 150 Leute aus Wolfsburg nach Berlin gefahren, dann hätten wir einen großen Aufruf gemacht und es wären einige tausend gefahren.
Kolleginnen und Kollegen aus Gewerkschaftsvorständen und vom DGB haben gesagt, wir müssten erst alle anderen Wege ausschöpfen, also
zu den Bundestagsabgeordneten gehen und mit denen diskutieren. Das haben wir dann gemacht.
Das Abstimmungsergebnis kennen wir, ich hatte befürchtet, dass es so kommt. Deshalb
haben wir gesagt: Es reicht nicht, mit denen zu diskutieren, wir müssen auch Aktionen machen und Druck von unten, von der Strasse organisieren. Das
haben Gewerkschaftsvorstände damals noch nicht so gesehen. Ich glaube aber, dass der 1.November und die gute Beteiligung von Gewerkschafterinnen
und Gewerkschaftern einen Denkprozess eingeleitet hat. Ich hoffe sehr, dass die nächste Aktion größer wird.
Könnten die deutschen Gewerkschaften etwas von ihren Schwesterorganisationen im Ausland lernen, z.B. in Frankreich oder Italien?
Wir können immer voneinander lernen. Allerdings sind Kultur, Tradition und Geschichte unterschiedlich. Diese Unterschiede werden weiter da
sein und sind auch berechtigt. Beispielsweise in der Gesetzgebung: Das Betriebsverfassungsgesetz in Deutschland ist ein Novum. Das gibt es in vielen anderen
Ländern überhaupt nicht. Begrifflichkeiten wie Mitbestimmung sind in manch andere Sprache gar nicht übersetzbar. Wir haben in
Deutschland damit über lange Jahre ganz gute Erfahrungen gemacht damit stoßen wir jetzt an Grenzen.
Andere Gewerkschaften haben andere politische Ansätze und Konzepte gewählt,
wie bspw. Basisdemokratie oder Workers Control oder ähnliches. Den Neoliberalismus haben sie damit auch nicht in die Schranken weisen können.
Es kommt darauf an, Erfahrungen auszutauschen und aus den gemeinsamen Erfahrungen auch gemeinsame Schlussfolgerungen zu ziehen, vielleicht auf einer
ganz neuen kulturellen und traditionellen Grundlage.
Werden diese Diskussionen auch bei euch im Betrieb geführt, unter den Beschäftigten?
Sie werden auch im Betrieb geführt, allerdings in einem kleinen Kreis von Kolleginnen und Kollegen. Es gehört Anstrengung dazu, das zu
diskutieren, das zu verarbeiten, sich dazu eine Meinung zu bilden. Und davon zu abstrahieren, was uns jeden Tag bewegt und bedrückt. Das diskutieren in
Wolfsburg nicht 50000 Kolleginnen und Kollegen. Es ist eine Debatte, die in Wolfsburg 100 oder 200 Kolleginnen und Kollegen führen. Nicht nur
Funktionäre, weder des Betriebsrats noch der IG Metall, sondern Kolleginnen und Kollegen die einfach sagen: Es kann so nicht weitergehen.
Habt ihr in letzter Zeit angesichts der sozialen Angriffe mehr Zulauf?
Viele Kolleginnen und Kollegen wollen etwas machen gegen den Sozialabbau in unserem Land. Aber insbesondere die Dimension, die über das
Land hinausreicht, die ist im Bewusstsein von vielen Kolleginnen und Kollegen noch nicht drin. Wenn es uns nicht einmal gelingt, auf unsere Unternehmer
Einfluss zu nehmen, fällt es vielen schwer sich vorzustellen, Entscheidungen des Europäischen Parlaments oder der Europäischen
Unternehmerverbände zu beeinflussen.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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