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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 11

Bertinottis Wende

PRC in Italien auf Regierungskurs

Die nationale Leitung der PRC hat Ende September beschlossen, Kurs auf eine Regierungsbildung mit den DS und dem Olivenbaum unter Führung von Romano Prodi zu nehmen.
Italien ist das Land mit den umfassendsten, stärksten und vielfältigsten sozialen und politischen Erfahrungen in Europa. Die Partei der kommunistischen Neugründung (PRC — Rifondazione Comunista) war von Anfang an am Aufbau der gewerkschaftlichen Mobilisierungen und der globalisierungskritischen Bewegungen beteiligt und dabei bestrebt, ein antikapitalistisches, revolutionäres »neues politisches Subjekt« hervorzubringen, das mit den Bewegungen übereinstimmt und »über die PRC hinaus« reicht. Dies war die Wende auf dem letzten Parteikongress im April 2003.
Heute zieht Fausto Bertinotti, der nationale Sekretär der PRC, eine sehr durchwachsene Bilanz, sowohl für die Bewegungen wie auch für die eigene Partei (siehe SoZ 10/03).
Die Kluft zwischen dem Ausmaß der sozialen Mobilisierungen und ihrem schwachen Einfluss auf die Sphäre der Politik (hinsichtlich der Wahlen wie auch der Linie der Parteien) hat ihn zu einem Perspektivwechsel veranlasst. Er betrachtet die Bewegung als gescheitert und gibt nunmehr dem Sturz der Regierung Berlusconi durch eine Parteienkoalition — »Mitte-Links« (Sozialdemokratie, Prodis Olivenbaum) plus PRC — den Vorrang. Diese Koalition soll von der gesamten sozialen und Gewerkschaftsbewegung unterstützt werden, um eine neue linke Regierung zu bilden.
Auslöser der Wende war das Scheitern des von Rifondazione angestrengten Referendums über die Ausweitung des Kündigungsschutzes im Juni 2003. Damit sollte der Geltungsbereich des Art.18 Arbeitsgesetzbuch, der »ungerechtfertigte Entlassungen« untersagt, auf Betriebe mit weniger als 15 abhängig Beschäftigten ausgedehnt werden. Es war ein sehr wichtiges soziales Gesetz, und der Vorschlag war angesichts des neoliberalen Klimas sehr radikal, denn er betraf unmittelbar die Masse der Lohnabhängigen, besonders aber junge Menschen und prekär Beschäftigte (siehe SoZ 8/03). Das Referendum sprach auch nichtgewerkschaftliche Gruppen an, die oft Teil der globalisierungskritischen Bewegung sind. Die Unternehmerverbände, die Regierung Berlusconi, die Linksdemokraten (DS, die oppositionelle Sozialdemokratie) und zwei der drei großen Gewerkschaftsdachverbände (UIL und CISL) opponierten heftig dagegen.
Doch der PRC gelang es, eine breite Koalition auf die Beine zu stellen, die das gesamte soziale und politische linke Spektrum umfasste: neben der PRC die Grünen, die PdCI (eine rechte Abspaltung der PRC), die Metallarbeitergewerkschaft FIOM, der größte Gewerkschaftsdachverband CGIL, die Kulturorganisation ARCI. Das Referendum erreichte sein Ziel nicht: Die Beteiligung lag mit 25,7% der Wahlberechtigten zu niedrig. Aber mehr als 10 Millionen Menschen unterstützten den Vorschlag, eine enorme Zahl. Welche politischen Schlussfolgerungen sind aus einer derart widersprüchlichen Situation zu ziehen?
Dieses »Scheitern« war der Anlass für Bertinottis »Wende«. Aus der Schwäche der Bewegung, die sich im Wesentlichen auf die sozialen und politischen Strömungen der radikalen Linken stützte, hat er eine neue Perspektive entwickelt. Sie zielt auf den kurzfristigen Sturz der Regierung Berlusconi durch ein Bündnis mit »Mitte-Links« (den sozial-liberalen Parteien des Olivenbaums), um eine Regierung zu bilden, an der sich die PRC beteiligen würde. Es geht darum, »einen Weg zu öffnen, eine offene, von Konflikten genährte programmatische Diskussion zu beginnen, mit dem Ziel, die Regierung Berlusconi zu stürzen und eine programmatische Allianz zu verwirklichen, die das Land regiert« (Dokument der nationalen Leitung der PRC, September 2003).
Hier finden wir alle taktischen Schwierigkeiten und beieinander: die breiteste Aktionseinheit, auch mit der neoliberalen Sozialdemokratie, um eine rechte Regierung zu stürzen; die Schlacht um die Hegemonie der — sozialen und politischen — radikalen Linken innerhalb dieser »Einheitsfront«; die öffentliche politische Debatte zur Entwicklung eines Aktionsprogramms; die Bildung einer neuen »Mitte-links«-Regierung; der Eintritt der PRC in eine solche Regierung. Letztere wird umso mehr von sozialem Radikalismus geprägt sein, so Bertinotti, weil sie von einer Bewegung getragen wird, und dies in einer Phase, wo das sozialdemokratische/reformistische Programm heute im Kapitalismus nicht praktikabel und der Neoliberalismus vollständig diskreditiert ist.
Das Problem dabei ist nicht die Aktionseinheit, auch nicht ein Wahlbündnis, um Berlusconi zu schlagen, wenn die sehr undemokratische Wahlgesetzgebung ein solches erforderlich macht, sondern die von der PRC verkündete Absicht, in eine Regierung einzutreten, deren Programm jetzt schon festgezurrt wird! Das wesentliche Motiv der PRC-Führung ist offensichtlich das mäßige Wachstum der Partei nach einer äußerst fruchtbaren Phase der Selbstaktivität und Selbstorganisation junger Menschen und breiter Massen, einer radikalen Linie der PRC, die sich damit im Gleichklang befand, und einer enormen Aktivität ihrer aktiven Parteimitglieder, die eine bedeutende Rolle in der Bewegung spielen.
An der Wurzel dieser überhasteten Wende liegt eine reale Schwierigkeit: Wir befinden uns am Anfang der Renaissance einer sozialen und politischen Bewegung; organisatorisch ist sie noch klein, aber in der Gesellschaft verfügt sie bereits über eine starke Legitimität. Die antikapitalistischen/radikalen Parteien sind noch eine Minderheit, aber es ist ihnen bereits gelungen, in gewählte politische Institutionen zu gelangen.
Daraus folgt, dass wir die Manöver einer rechten Regierung nicht ignorieren können, die ihre Angriffe auf die sozialen (und oft auch auf die demokratischen) Rechte vervielfacht. Parlamentarische Borniertheit gilt es zu vermeiden, aber eine stärkere Präsenz bei Wahlen ist gut für die Sichtbarkeit einer antikapitalistischen Alternative.
Doch die Bildung einer programmatischen Regierungskoalition mit sozial-liberalen Parteien kann nur zur Diskreditierung von Rifondazione führen, wie dies schon anderen Parteien, von der Französischen Kommunistischen Partei bis zu den belgischen Ecolos, passiert ist. Diese Organisationen liegen heute in Trümmern. Eine noch ernstere Gefahr besteht darin, dass eine solche Regierungskoalition unvermeidlich die daran beteiligten antikapitalistischen Parteien dazu drängt, sich den Regierungspositionen anzupassen und die Autonomie der sozialen Bewegung zu begrenzen. Die Partei wie auch die Bewegung werden an den politischen Erschütterungen, die eine solche Operation mit sich bringt, kaputt gehen.

François Vercammen

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