SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 11

ÖGB im Übergang

Nachlese zum Gewerkschaftskongress in Österreich

Nahezu alle wichtigen Fragen, mit denen die Gewerkschaften heute konfrontiert sind, kamen auf dem Kongress des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) im Oktober zur Sprache: die internationale Offensive des Neoliberalismus, der massive Sozialabbau, die Versuche, die Gewerkschaften zu marginalisieren, die »Abwehrstreiks« gegen die Pensionskürzungspläne von Schwarz-Blau und ihre Grenzen, die Unerlässlichkeit, von blossen Dienstleistungs- zu Kampforganisationen zu werden…
Der Antrag der Chemiearbeiter zum Thema Globalisierung unterzog den neoliberalen Kapitalismus einer scharfen Kritik: »Der Sozialstaat … ist ihnen [den Neoliberalen] gleichfalls ein Dorn im Auge. Wer sozial abgesichert ist, muss nicht um jeden von der Wirtschaft diktierten Preis arbeiten. Die Gewerkschaften, Arbeiterkammern und Betriebsräte sind die verhassten Repräsentanten dieser Einschränkungspolitik.« Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Eisenbahner, Wilhelm Haberzettl, und Willi Mernyi vom Kampagnenreferat des ÖGB — bei ihm liefen während der Streiks gegen die Rentenkürzungen alle Fäden zusammen — bezogen sich positiv auf den weltweiten Prozess der Sozialforen und sprachen sich für eine ständige Zusammenarbeit mit den globalisierungskritischen Bewegungen aus.
Es waren auch nicht nur »stadtbekannte Linke«, die dies thematisierten. Neue Gesichter waren zu sehen, fortschrittliche Positionen wurden zum Teil stark beklatscht. Die Vertreterin der Europäischen Zentralbank hingegen wurde inhaltlich demontiert wie ein Christbaum im neuen Jahr.
Gleichzeitig jedoch präsentierte der Bundesvorstand Leitanträge, in denen die Entwicklungen des letzten Jahres kaum auftauchen, platte Sozialpartnerschaftsillusionen verbraten werden; ja, sie jagen der Schimäre nach, die Gewerkschaften könnten sich über Brüssel und die EU-Verfassung das zurückholen, was ihnen in Österreich weggenommen wurde. Die Metallergewerkschaft, eine Säule des ÖGB, trat auf dem Kongress kaum in Erscheinung. Und das obwohl einer ihrer Bastionen, die Voest-Alpine, vor kurzem voll privatisiert wurde.
Beide Argumentationsstränge standen im Raum unvermittelt nebeneinander. Der Ausgang ist durchaus offen. Ein radikales Umdenken ist auch im ÖGB vonnöten. Hilfreich dafür wäre, dass der Antrag der GPA für »europäische Aktionstage gegen den Sozial- und Pensionsabbau, die den nationalen Bewegungen und Auseinandersetzungen eine machtvolle, europäisch synchronisierte Note verleihen«, nicht auf dem Papier stehen bleibt. Denkbar ist aber auch, dass sich die Linie durchsetzt, die Gewerkschaften sollen an einem »starken« Europa mitarbeiten, das einen dritten, aufgerüsteten imperialen Pol neben den USA und Japan darstellt.
Auch die bisherige Bilanz der Kämpfe im Herbst fällt widersprüchlich aus. Gegen die Privatisierung der Voest-Alpine formierte sich in Linz eine »Menschenkette« von 12000 Personen. Die Eisenbahner beantworteten die Privatisierungspläne der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) mit Überstundenboykott bzw. einem zwölfstündigen Streik.

Hermann Dworczak, Wien

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