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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 14

Globaler Fonds für die Opfer des Kolonialismus

Interview mit Neville Alexander (Südafrika)

Wie hat sich die Auseinandersetzung um die Forderung nach einer Entschädigung der Opfer des Kolonialismus und des Rassismus in den letzten Jahren entwickelt?

In der Tat hat Jubilee 2000 beim zuständigen Gerichtshof in den USA ein Verfahren gegen US-Firmen eingeleitet, die mit ihrer Tätigkeit das rassistische Apartheidregime in Südafrika unterstützt hatten. Dabei geht es um die Entschädigung von Opfern dieser Handlungsweise, analog zum Verfahren in England, wo Asbestfirmen auf Entschädigung verklagt werden, die in Südafrika zahlreiche Opfer von Asbestose verschuldet haben. Hinterbliebene und Angehörige sollen Entschädigungen erhalten.
Bei dem angestrebten Verfahren in den USA ist es ähnlich. Die Opfer sollen entschädigt werden, soweit dies noch möglich ist. Dabei soll die Verantwortlichkeit der US-Konzerne auch deshalb festgestellt werden, weil dies ein »Türöffner« sein könnte, um südafrikanische Konzerne, die tragende Säulen des Apartheidregimes waren, besser zur Verantwortung ziehen zu können. Historisches Vorbild sind natürlich die Entschädigungsforderungen wegen der Mitwirkung an den Naziverbrechen in den USA.

Wie ist die offizielle Position Südafrikas in dieser Auseinandersetzung? Immerhin ist die heutige vom ANC geführte Regierung Ergebnis des Sturzes des Apartheidregimes. Es wäre naheliegend, dass sie sich die Entschädigungsforderung zu eigen macht.

Es mag überraschen, aber die südafrikanische Regierung ist hochoffiziell gegen das Verfahren. Sie hat auch einen entsprechenden Brief an das US-Gericht geschrieben. Darin wendet sie sich gegen die Einmischung in innere Angelegenheiten Südafrikas — so beruft sie sich auf Normen des Völkerrechts. So ein Verfahren wäre gegen die Interessen des südafrikanischen Staates und des südafrikanischen Volkes gerichtet. Insbesondere würde es verheerende Folgen für die Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen in Südafrika nach sich ziehen. Aber auch für die Investitionstätigkeit überhaupt, weil eben in Analogie zu den US-Firmen auch südafrikanische Firmen in das Visier der Entschädigungsforderungen geraten könnten. Dieser Brief zeigt, in welchem Maße die Regierung ein Instrument des Kapitals ist.

Hängt diese Position mit dem Druck der Kräfte zusammen, mit denen der ANC zum Zweck der Regierungsbildung eine Koalition eingegangen ist?

Der ANC hat die Hegemonie in dieser Regierung der »nationalen Einheit«, er stellt 63%. Mit dabei ist die Inkatha Freedom Party von Buthelezi, und auch die National Party mit vielen Exponenten des Apartheidregimes, wobei die meisten Mitglieder dieser Partei heute keine Afrikaans sprechenden Weißen sind, sondern »Farbige« nach den früheren Kriterien der Apartheid. Die meisten Buren gruppieren sich heute um die Democratic Alliance, eine liberale Partei. Es ist kennzeichnend für die derzeitige politische Lage in Südafrika, dass das die einzige im Parlament vertretene Oppositionspartei ist.

Welche Haltung hat die Bewegung, die die für die Entschädigungsforderungen eintritt? Wie sieht sie das Verhältnis zwischen den Auseinandersetzungen vor Gerichten und der außerparlamentarischen Mobilisierung?

In dem Bündnis, das die Entschädigungsforderung vertritt, gibt es neue Spannungen. Die vorherrschende kirchliche Strömung strebt einen Kompromiss mit der Regierung an. Sie akzeptiert das Argument mit der Gefahr für die Investitionstätigkeit der Unternehmen. Daher redet sie einer außergerichtlichen Einigung mit den Täterfirmen das Wort. Doch die Linken in dem Bündnis, darunter auch namhafte Juristen, wenden sich gegen diesen wachsweichen Kurs. Sie wollen handfeste gerichtliche Entscheidungen durchsetzen, als Sprungbrett für eine weiter gehende Politisierung des Konflikts. Es ist allerdings fraglich, ob sie sich durchsetzen können.
Eine wichtige Frage ist auch die Höhe der Entschädigungszahlungen. In Südafrika selbst gibt es ja die »Wahrheitskommisson« zur Aufarbeitung der Verbrechen unter dem Apartheidregime, an der die Regierung selbst mitwirkt. Da geht es auch um Reparationen, die den Opfern der staatlichen Repression oder ihren unmittelbaren Angehörigen oder Hinterbliebenen gezahlt werden. Man muss sich vorstellen, dass die Höchstzahlung für ein einzelnes Opfer 20000 Rand beträgt — das sind ungefähr 2300 Euro.

Wer sind eigentlich, außer bestimmten Konzernen, die Täter, an die sich die Forderung nach Entschädigung der Opfer des Kolonialismus und des Rassismus richtet? Im Grunde wäre doch das ganze bis heute bestehende System der weltweiten Ungleichheit mit reichen kapitalistischen Industrieländern und Hunger und Elend in den armen Ländern der Dritten Welt ohne die Verbrechen des Kolonialismus gar nicht entstanden.

Es ist absolut sinnvoll, zeitgeschichtlich nachweisbare Verantwortung dingfest zu machen und dafür zu kämpfen, dass die Opfer und ihre Angehörigen, die unter den Folgen leiden, von den Verantwortlichen entschädigt werden. Zum Beispiel im Fall der Asbestose ist der Zusammenhang völlig klar. Es werden Fonds gebildet, die Betroffenen werden substanziell entschädigt, die Verwalter der Fonds sind kontrollierbar verantwortlich und gerichtlich belangbar. Das Geld wird für Beerdigungskosten verwendet, für Stipendien, die die Bildung der Kinder von Opfern sichern oder auch für die hohen medizinischen Kosten, die die Behandlung der unmittelbar betroffenen Opfer erfordert.
Eine andere Sache ist die globale Verantwortung der großen Konzerne für die Apartheid. Hier wäre die Versuchung individuelle Opfer zu identifizieren und alles daran fest zu machen der falsche Weg. Da kommt die Ausplünderung der Dritten Welt samt der entsprechenden Unterdrückungspolitik insgesamt ins Spiel, unter deren Folgen ganze Weltregionen noch heute leiden und die heute in veränderten Formen fortgesetzt wird.
So wurde das Apartheidregime bspw. von den imperialistischen Rüstungskonzernen gestärkt, die horrende Gewinne daraus gezogen haben. Da geht es darum, dass die Verantwortlichen für diese Misere gezwungen werden, Fonds zu bilden, die der Entwicklung in diesen Weltregionen heute zugute kommt. Finanziert werden müssten daraus die akuten sozialen Belange, aber etwa auch die Ausbildung von Technikern und Fachkräften aller Ast, was eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der arm und abhängig gehaltenen Weltregionen wäre.

In der Regierung Südafrikas sitzen ja Leute, die früher Solidaritätsfonds verwaltet haben und die diese Gelder nach Südafrika gebracht haben. Vielfach haben sie diese Gelder zum eigenen Nutzen verwendet und nicht für das Land. Da scheint sehr viel Korruption im Spiel zu sein.

Die früher mit der Apartheid verbandelten Firmen sind ja heute die Großspender des ANC. Nicht umsonst hat der ANC einen Gesetzentwurf der Democratic Alliance abgelehnt, laut dem alle Spenden an Parteien über 2000 Rand öffentlich gemacht werden sollten. Diese Einbindung in die Interessen des südafrikanischen Großkapitals erklärt auch den Brief an das US-Gericht, der sich gegen die Aufdeckung von Verantwortlichkeiten für die Unterdrückung durch das Apartheidregime richtet.

Wie können die globalen Auswirkungen des Kolonialismus zum Thema gemacht und für die Entschädigungskampagne genutzt werden, ohne dass das Ganze in folgenloser Propaganda versandet?

Natürlich kommt die ältere Geschichte des Kolonialismus ins Spiel, die Verschleppung von Schwarzen in die Sklaverei, die Massaker durch die Kolonialmächte. So fordern bestimmte Gruppen: »Die BRD soll zahlen.« Immerhin ist sie die Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs und somit für den Völkermord an den Hereros in die Verantwortung zu nehmen. Die in Namibia, dem ehemaligen Deutsch- Südwestafrika, regierende SWAPO, sagt dies auch.
Man sollte das aber nicht überschätzen. Da ist auch viel Populismus im Spiel. Ich bin tatsächlich für die Einrichtung eines globalen Fonds zur Entschädigung der Opfer von Kolonialismus und Rassismus. Vereinfacht gesagt: die Bourgeoisie soll zahlen. Denn das ist doch die wirkliche Kontinuität der Ausplünderung, der Ausbeutung, der Unterentwicklung, der untragbaren Ungleichheit und des Leidens an Zuständen, die nicht menschenwürdig sind. Sollen die reichen Industriestaaten eine Sondersteuer zulasten der großen Vermögen und der großen Einkommen dafür erheben — für die Entwicklung der bislang arm gehaltenen Länder. Was euch in Deutschland betrifft, so wäre das doch politisch und moralisch viel besser vermittelbar als jeder »Soli- Zuschlag Ost«, der insbesondere die Normalverdiener trifft und nicht die Reichen.

Welchen Einfluss hat eigentlich die Bewegung für Entschädigungszahlung in Südafrika? Ist sie in der Lage, Massenaktionen zu organisieren?

Es handelt sich hier sicherlich um eine kleine Bewegung, die bislang nicht fähig ist, große Massendemonstrationen zu organisieren. Sie hat es aber durchaus geschafft, eine öffentliche Debatte auszulösen, die sich auch in den großen Medien widerspiegelt. Neben den linken kirchlichen und den kleineren Organisationen der sozialistischen Linken machen auch linksgewerkschaftliche Kreise mit.

Für die SoZ sprachen Jakob Moneta und Manuel Kellner mit Neville Alexander.


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