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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 17

Sozialforen in Deutschland: Beispiel Berlin

Nicht nur für alte Hasen

Das Treffen der deutschen Delegation in Paris beim 2.Europäischen Sozialforum hat grünes Licht gegeben für die Gründung eines Sozialforums in Deutschland. Sozialforen gibt es hierzulande bisher nur auf örtlicher Ebene, bisher sind es etwa 15. Aber die Diskussion, ob das SF eher ein Raum oder ein Aktionsbündnis sein soll, tobt jetzt schon.
Die Initiative für ein Sozialforum in Berlin besteht seit März 2003. Sie spricht über 200 Organisationen und Einzelpersonen über eine Mailingliste an und ist bemüht, ihre Basis ständig zu erweitern. Einmal im Monat findet ein großes Plenum statt. Große Organisationen schicken offiziell VertreterInnen, es kommen aber auch viele Einzelpersonen, die sehen: Dort ist ein Raum, in dem ich meine Unzufriedenheiten mit der jetzigen Sparpolitik ausdrücken und mich mit anderen gemeinsam wehren kann. Die beiden Faktoren bewirken, dass von Plenum zu Plenum 10 bis 20 Menschen mehr kommen. Es gibt Arbeitsgruppen, die teils konkrete Ereignisse vorbereiten, teils kontinuierlich inhaltliche Arbeit leisten. Es gibt einen offenen Koordinierungskreis und zahlreiche Sonderplena, wo bestimmte Probleme intensiver diskutiert werden. Dann gibt es noch einen Jour Fixe, der versucht, Themen kontrovers zu bearbeiten, um die verschiedenen Ansichten und Vorstellungen der Teilnehmenden des Sozialforums kennenzulernen und eventuell gemeinsame Ansätze herauszukristallisieren.
Es gibt fünf Leitlinien für das Sozialforum: 1. ein Netzwerk knüpfen; 2. sich aufeinander beziehen; 3. voneinander lernen; 4. Solidarität praktisch verwirklichen; 5. rechte »Globalisierungskritik« abwehren. Es tritt ein für soziale Gerechtigkeit und Sicherheit, für gleiche Rechte für alle Menschen im Respekt ihrer Verschiedenheit.
Im Sozialforum geht es darum, die lokale Engstirnigkeit und nationalstaatliche Borniertheit zu überwinden und die Standortlogik aufzugeben. Gleichzeitig müssen die globalen Themen auf die lokale Ebene heruntergebrochen werden. Einigkeit besteht auch darin, die Basis des Sozialforums ständig zu erweitern — durch öffentliche Veranstaltungen aber auch durch gezielte Ansprache der verschiedenen sozialen Akteure. Die Strukturen müssen so offen bleiben, dass sich immer neue Menschen einbringen können.
Derzeit besteht das Sozialforum zum großen Teil noch aus geübten politischen Menschen, die genau wissen, was sie mit dem Sozialforum wollen. Für Neulinge ist es schwer, sich einzubringen und eigene Vorstellungen zu artikulieren. Appelle allein nutzen da nichts, man muss mit dieser Kluft konkret umgehen und sie überwinden; erst dann können wir davon reden, dass neue Menschen in eine politische Bewegung einbezogen worden sind. Neuen Menschen könnte der Einstieg durch thematische Arbeitsgruppen erleichtert werden.
Es muss immer wieder darauf geachtet werden, dass die Sozialforumsbewegung nicht einfach in der Kontinuität früherer Bündnisse gegen Sozialabbau oder ähnlichem steht. Es geht auch um eine neue Art, miteinander Politik zu machen; das ist ein zartes Pflänzchen, das gehegt und gepflegt werden muss. Besonders erfahrene politische Menschen müssen darauf achten, dass sie es nicht mit den herkömmlichen Politikstilen ersticken. Sich neu politisierende Menschen müssen die Möglichkeit haben, sich im Sozialforum einzubringen, ohne die alten Grabenkämpfe der Linken erleben zu müssen.
Es gibt einen großen Widerspruch zwischen denen, die im Sozialforum einen Raum sehen, in dem diskutiert wird und Möglichkeiten zur Vernetzung und gemeinsamen Aktivität geboten werden, und denen, die im Sozialforum einen politischen Akteur sehen. Letztere wollen aus dem Sozialforum eine neue gesellschaftliche Opposition machen, was bedeutet, dass das Sozialforum Aufrufe unterstützt, zu Demonstrationen aufruft, große politische Veranstaltungen durchführt und zum Kern einer neuen außerparlamentarischen Opposition wird.
Diese widersprüchlichen Herangehensweisen sind sehr schwer aufzulösen. Man kann sagen, das Sozialforum sollte beides sein, sowohl Raum als auch Akteur, aber damit löst man den Widerspruch eigentlich nicht auf, eher läuft es darauf hinaus, dass sich beide Formen zeitlich ergänzen und das Sozialforum mal zum Raum tendiert und mal als politischer Akteur sichtbar wird.
Eine Möglichkeit, aus diesem Widerspruch herauszufinden, wäre, das Sozialforum als Multiplikator zu betrachten. Das Sozialforum bietet den Raum, in dem durch gemeinsame Diskussion neue Ideen entstehen, wie man eine außerparlamentarische Opposition gestalten kann und wie gesellschaftliche Alternativen aussehen können. Diese Ideen werden dann nach außen getragen, in die einzelnen Gruppen und Initiativen, die in die gesellschaftliche Breite und in die gesamte Öffentlichkeit wirken und diese Ideen somit multiplizieren und politisch wirksam machen.
Ein Beispiel, wie das Sozialforum als Multiplikator gewirkt hat, war die europaweite Mobilisierung gegen den Krieg im Irak am 15.Februar. Die Idee entstand während des Sozialforums in Florenz und wurde anschließend auf dem Treffen der Sozialen Bewegungen beschlossen. Die Teilnehmenden nahmen die Idee mit nach Hause, die Initiative wurde multipliziert und von den Menschen vor Ort umgesetzt. Es entstanden unglaublich große Demonstrationen, die von einem breiten Spektrum politischer Kräfte getragen wurde, ohne dass das Sozialforum explizit zur Demonstration aufgerufen hätte. Somit diente es als Brutstätte für Ideen, die an politische und soziale Akteure zur Umsetzung zurückgegeben werden.

Kim Goerens

Kim Goerens ist Mitglied der ISL(internationale sozialistische linke) und im Sozialforum Berlin aktiv.



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