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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 19

Manuel Vázquez Montalbán 1939—2003

Barcelona im Kopf

Im Oktober starb unerwartet der Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán 64-jährig auf dem Flughafen von Bangkok. Seine Hauptgestalt, der Detektiv Pepe Carvalho, war für ihn der Vorwand für eine gründliche Erkundung Barcelonas.

Der Held der Romane von Manuel Vázquez Montalbán, seiner Kriminalromane, zu denen ihn die großen amerikanischen Autoren des Genres, vor allem Dashiell Hammett, inspiriert haben, ist eine Heldin, die katalanische Hauptstadt Barcelona. Er beschreibt sie mit einer leidenschaftlichen Liebe, insbesondere das »anrüchige« Stadtviertel Chino, in dem er 1939 geboren wurde.
All diese heißen Viertel, in denen man den Jazz hörte und die den Ruf Barcelonas begründeten — sie sind durch die Zerstörung und den Neuaufbau der Stadt im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen verschwunden. Vázquez Montalbán beschreibt dies in El Laberinto Griego. Der Ton ist traurig. Eine ganze Epoche entschwindet, als ob das moderne Katalonien — und der spanische Staat mit ihm — sich der Erinnerung widersetzte.
Die Spuren der kollektiven Erinnerung verlöschen. Es bleiben nur die von Pepe Carvalho hinterlassenen zurück, jenem ein wenig rundlichen Detektiv — es ist schwer, ihn sich anders vorzustellen als mit den Zügen von Vázquez Montalbán —, dem Liebhaber guten Fleisches, umgeben von seinen Komplizen: einem Helfer in der Küche, einem Informanten und einer Prostituierten, die seine Lebensgefährtin ist.
Die Übergangsperiode der Nach-Franco-Ära dient als Hintergrund seiner Ermittlungen. Sie haben gleichzeitig einen soziologischen, politischen und poetischen Aspekt und sind heute von einer Erinnerung an ein Spanien überlagert, das es nicht mehr geben kann. Die aktuelle spanische Literatur entdeckt diese Vergangenheit wieder und hat damit tatsächlich Erfolg. Javier Cercas gehört zu den Pionieren dieser Erinnerungsliteratur. Ich wette darauf, dass, um dieses Spanien zu verstehen, die Historiker von morgen sich in erster Linie auf Pepe/Montalbán und seine etwa fünfzig Fälle beziehen müssen.
Bei diesem Mitglied der katalanischen KP ist die Weitergabe des kulturellen Erbes Bestandteil des — im engsten Sinne des Wortes — politischen Kampfes. Dazu eignet sich die Form des Kriminalromans. Sie ermöglicht die Distanzierung, das Interesse des Lesers und die klinische Beschreibung dieser Gesellschaft, welche die Utopien und die großen emanzipatorischen Ideen vergessen hat. Die Revolte floriert auf jeder Seite. Ohne sie wäre Pepe nur ein Bücher verbrennender Irrer. Dieses Bild ist wichtig. Die lebendigen Bibliotheken werden verbrannt. Die von Montalbán wird uns trotz allem fehlen. Seine Beschreibung der Funktionsweise der spanischen KP in Carvalho und der Mord im Zentralkomitee wiegt alle über diese Partei gemachten Untersuchungen auf. Eine Erklärung des unausweichlichen Niedergangs wird ebenfalls angeboten.
Das Spanien von heute — sogar Barcelona — traf ihn in einer schwierigen Situation. Er wusste nicht mehr, wie er diese aktuelle Geschichte in den Griff kriegen sollte. Der Fall der Berliner Mauer brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und das gewaltig. Seine Geschichten hatten zuletzt weniger Schwung, weniger Atem. Er wollte den Geschmack von Ich tötete Kennedy (1972) wiederfinden, wo zum ersten Mal die Gestalt Pepes als CIA-Agent in einem barocken Stil auftauchte, ein konfuses Nichts. Seine Untersuchung über Kuba, Y Dios entró en La Habana, zur Zeit des Besuchs von Johannes Paul II., wird nicht in den Annalen verzeichnet bleiben. Dagegen hatte er in den Interviews nichts von seinem Schwung und seiner beißenden Ironie verloren, wenn er den Konservatismus der Regierung Aznar geißelte. Letzterer war zu unscheinbar, um eine Gestalt in einem Kriminalroman zu werden.
Das von diversen Umstrukturierungen heimgesuchte Barcelona bot ihm nicht mehr den erforderlichen Rahmen für die Erfindung neuer Intrigen, Pepe begab sich nach Bangkok, wo er hoffte, Vögel zu sehen, um die Leere auszufüllen. Dem war kein Erfolg beschieden. Pepe ist Barcelona, bevor er noch Pepe ist!
Vázquez Montalbáns Einfluss erstreckt sich auf die kubanische Exilliteratur, insbesondere auf Roberto Ampuero, und auf die sizilianische Literatur von Andrea Camilleri, dessen Gestalt des Commissario Montalbano eine ausdrückliche Hommage an den Katalanen ist. Und Camilleri ist Sizilianer, ehe er Italiener ist, so wie Montalbán Katalane ist, bevor er Spanier ist.

Nicolas Bénies
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Pepe Carvalhos Fälle sind auf deutsch in der Krimireihe des Rowohlt-Verlags erschienen. Zur Erkundung der jüngsten Geschichte des Nach-Franco-Spanien empfiehlt sich ihre Lektüre in chronologischer Reihenfolge.



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