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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2003, Seite 22

Leben, so wie ich es mag

Der triste November verlangt nach Aufhellung. Wir reden an dieser Stelle ja immer von wir, weil in weiter Ferne so nah ein Zwilling existiert, der die Lebenslust des Tigerkolumnisten teilt. Ein alter Sack zwar, aber auch ein alter ego. Den wird‘s freuen, dass eine Studie über die Todesursache von mehr als 20000 Zwillingen aus Dänemark — Dänen lügen nicht — ergeben hat, dass ein- wie zweieiige Zwillinge eine rund 30% niedrigere Selbstmordrate als die Gesamtbevölkerung haben.
Wird solche Lebensfreude mit linker Gesinnung kombiniert, dann könnte beides durch die Kenntnis gesteigert werden, dass die neuen Dienstwaffen der Polizei in Baden-Württemberg notorisch ungenau schießen. Die P2000V5 von der Mordinstrumentenschmiede Heckler & Koch hätte eine neue Abzugstechnik, die selbst die besten Schützen zur Verzweiflung treibe. Die Waffe ist zwar vom Beschussamt Ulm, die seit mehr als fünfzig Jahren bestehende einzige staatliche Prüfstelle für Schießprügel und deren Anwendung, abgesegnet worden, aber das riecht nach Beschiss. Beunruhigend ist nur, dass die Waffen eine stets gleiche Abweichung haben sollen: sie treffen nur links unten. Die Pressesprecherin von Heckler & Koch gibt den Polizisten die Schuld. »Es sind nun einmal immer menschliche Augen im Spiel.« Und die Polizeiaugen sind, das ist aus anderen Zusammenhängen gut bekannt, rechts schwer gestört.
Wer kein Zwilling ist und sich vor den Polizeikugeln aus Baden-Württemberg sicher fühlt, gehört wahrscheinlich zu einer radikalen Minderheit in der Gesellschaft, die gerne malochen geht. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup hat gerade seine neue Untersuchung über die Arbeitsmoral veröffentlicht. Danach hätten mittlerweile 18%, vor einem Jahr waren es noch 16, keine emotionale Bindung zu ihrem Job. Weitere 70% sollen nur eine geringe emotionale Bindung haben. Fast 90% also reagieren mit innerer Rebellion angesichts des realen Kapitalismus. Lasst die Sau endlich raus, kann man da nur hoffen. Schlappe 12% gaben noch eine hohe emotionale Bindung an.
Diese miese Einstellung soll nach Berechnungen von Gallup, die allerdings noch nicht vom Beschussamt Ulm bestätigt wurden, jährlich 247 (nicht etwa 248, wie manche glauben könnten) bis 260 Milliarden Euro gesamtwirtschaftlichen Schaden anrichten. Das sind Werte aus Deutschland, dem Mutterland der proletarischen Unterwürfigkeit. Schlechtere Ergebnisse hätten nur Frankreich — das ist vom Land eines Paul Lafargue zu erwarten gewesen — und, jetzt kommt‘s, Japan und Singapur. Der Kaugummiwegspucken verbietende Kasernenhofkapitalismus ist also auch nicht das Wahre.
Trotz solcher wissenschaftlichen Erkenntnisse wird in den Reihen der Gewerkschaften beharrlich behauptet, dass das Thema Arbeitszeitverkürzung bei den Belegschaften derzeit nicht populär ist. Als engagiertes Mitglied der 90%- Mehrheit wissen wir von der Richtigkeit des Gegenteils. Die übliche Haltung zur Arbeitszeitverkürzung ist »zu schön, um wahr zu sein«. Es gibt kaum etwas Attraktiveres als weniger zu malochen. Und wenn die Gewerkschaften wirklich für radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbußen mobilisieren würden, täten sie nicht nur etwas Wirkungsvolles gegen die Erwerbslosigkeit, sondern sie hätten auch ein lohnendes Ziel, für das mit Leidenschaft gekämpft werden würde. Die Statistiker im eigenen Haus haben dies jüngst belegt: Gut 77% der Lohnabhängigen möchten, dass Überstunden abgeschafft oder generell nur gegen Freizeit ausgeglichen werden.
Aber solch eindeutige empirische Erkenntnisse treffen heutzutage leider auch nur links unten. Die Monteure der Produktivpakte und betrieblichen Bündnisse für Arbeit in den Beschissämtern der Gewerkschaftszentralen haben nämlich auch ihre Augenprobleme. In der Regel auf beiden.

Thies Gleiss

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