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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 4

Stabilitätspakt

Deutsch-französischer Alleingang

von MICHEL HUSSON

Der Bruch des Stabilitätspakts öffnet eine Krise im bürgerlichen EU-Projekt. Frankreich und Deutschland haben sich wirtschaftlich wie politisch nicht in der Lage gesehen, die Bestimmung des Pakts einzuhalten, wonach das Haushaltsdefizit 3% des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen darf. Vor allem aber haben diese beiden Länder erreicht, dass die Mehrheit der anderen EU-Regierungen von den vom Pakt ausdrücklich für diesen Fall vorgesehenen Sanktionen abgesehen hat. Dieser Beschluss hat natürlich den Zorn der Kommission erregt, deren Legitimität und Autonomie zum großen Teil davon abhängen, dass sie über die Einhaltung des Pakts wacht.
Kommissionspräsident Romano Prodi hat den Pakt vor einiger Zeit »dumm« genannt. Aber in einem gewissen Sinne ist er unumgänglich. Eine gemeinsame Währung schafft eine neue Situation: Die Mitgliedstaaten können nicht mehr selbst über die Währungs- und Devisenpolitik bestimmen, weil es keine nationalen Währungen mehr gibt. Die Haushaltspolitik ist dadurch allerdings von einem gewissen Druck befreit, denn auch die öffentlichen Schulden werden in Euro, nicht in nationaler Währung abgerechnet. Damit wird es möglich, dass ein Staat sich verschuldet, ohne die Folgen dieser Politik vollständig und allein tragen zu müssen (z.B. hinsichtlich des Zinsniveaus, somit den Kosten der nationalen Währung). Die Folgen werden in gewisser Weise kollektiviert, der Wechselkurs des Euro hingegen bleibt. Der Stabilitätspakt sollte die technische Funktion haben, den Druck, den die Währungsentwicklung auf die Haushaltspolitik ausübt, zu ersetzen, um eine uferlose Verschuldung zu verhindern.
Die Krise geht aber über diese rein technischen Aspekte hinaus. Mit dem Pakt wird der Kern der EU-Konstruktion in Frage gestellt. Die Nachteile des Euro wiegen jetzt schwerer als seine Vorteile. Sicher gibt es nach wie vor eine grundlegende Übereinstimmung in europäischen Kapitalkreisen über die neoliberale Orientierung — vor allem über die Notwendigkeit, die Löhne zu drosseln und die öffentlichen Dienste und sozialen Sicherungssysteme für den Warenverkehr zu öffnen. Die Haushaltsdefizite in Frankreich und Deutschland sind nicht das Resultat einer keynesianischen Nachfragepolitik, sondern des dogmatischen Festhaltens an der Forderung, die Steuern für die Reichen zu senken, während gleichzeitig die Konjunktur nachlässt. Diese Politik aber betreiben alle EU-Regierungen gleichermaßen.
Der wirtschaftliche Hintergrund für die derzeitige Krise ist die Tatsache, dass die verschiedenen Volkswirtschaften auf den Konjunkturrückgang unterschiedlich reagieren. In den Aufschwungsjahren 1996—2001 konnten sich alle EU-Länder mehr oder weniger geschickt aus der Affäre ziehen. Der Umschwung der Konjunktur bewirkt nun, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsstaaten auseinanderläuft, vor allem im Verhältnis zum schwachen Dollar. Die Länder, die mit einer zu hoch bewerteten Währung in den Euro gegangen sind, wie Frankreich und Deutschland, haben jetzt am stärksten unter den Folgen der Rezession zu leiden. Länder wie Spanien und Italien hingegen, deren Währung schwächer bewertet war, fangen die Rückschläge besser auf. Großbritannien ist in gewisser Weise von der EU-Konjunktur abgehängt. Es sieht also ganz danach aus, als würde das Verhältnis des Euro zum Dollar zu einer gespaltenen Entwicklung und zwei Polen in der EU führen.
In einer solchen Situation aber erhalten die spezifischen Interessen der Mitgliedstaaten gegenüber ihren kollektiven Interessen ein stärkeres Gewicht. Die Krise ist umso stärker, als die Widersprüche nicht rein wirtschaftlicher Natur sind: Ob im Irakkrieg oder in Fragen der EU-Verfassung tendiert das deutsch-französische Tandem dazu, sich dem Rest der Union entgegenzustellen. Die »Testballons« für eine engeren Union zwischen den beiden Ländern zielen in diese Richtung und greifen dabei ältere Projekte eines Europa der zwei Geschwindigkeiten auf. Dabei geht es nicht um unterschiedliche gesellschaftliche Zielvorstellungen, sondern um die Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen auf Kosten der Union. Das wird die Verabschiedung einer gemeinsamen EU-Verfassung erschweren.

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