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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 10

Globalisierte Geschäfte mit der Gesundheit

Mangel macht mobil

GATS, das internationale Abkommen über den freizügigen Handel mit Dienstleistungen, hat den Argwohn der Globalisierungskritiker geweckt. Beschwichtigend haben vor einem Jahr die Welthandelsorganisation (WTO) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer gemeinsamen Studie empfohlen, zumindest der Gesundheit Vorrang einzuräumen gegenüber unbeschränkten Handelsinteressen.
Doch es gibt keinen Grund zur Entwarnung! Weitgehend unbemerkt von der öffentlichen Diskussion reißen Gesundheitsminister und Lobbyisten derzeit die Grenzen in Europa nieder. Patienten und medizinisches Personal, Medikamente und Organe, Krankenhausketten und Versicherungen — sie alle werden im EU-weiten Medizingeschäft um die Euro-Milliarden grenzüberschreitend gehandelt. In diesem Strudel werden die Verantwortlichen unsichtbar. Die Gesetzgeber in den einzelnen EU-Mitgliedsländern laufen bei ihren Gesundheitsreformen nur den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs hinterher; der EuGH hält sich stur an die Richtlinien der EU-Kommission, die EU-Bürokraten setzen die Politik um, die von den EU-Gesundheitsministern bei ihren Treffen vorgegeben wurde…

Dienstleistung gegen Cash

In diesem Sinne ist Gesundheitsministerin Ulla Schmidt durchaus eine internationale Komplizin: »Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir regeln, dass alle gesetzlich Krankenversicherten innerhalb der europäischen Mitgliedstaaten alle Leistungen in der ambulanten Versorgung im Kostenerstattungsprinzip in Anspruch nehmen können. Die Leistungen werden in der Höhe ersetzt, in der sie auch im Sachleistungsprinzip erstattet würden. Ich gehe davon aus, dass wir uns bei den derzeit stattfindenden Verhandlungen darauf einigen werden, dass das, was für Europa gilt, auch in Deutschland Rechtskraft besitzen muss.«
Selbst das 10 Euro Eintrittsgeld zur deutschen Arztpraxis bekommt bei ihr einen internationalistischen Anstrich: »Das ist alles nur eine Gewohnheitssache und wird in fast allen Ländern um uns herum so gehandhabt, und keiner beschwert sich dort über Bürokratie.«
Nur wir Normalsterblichen kommen bei ihren Worten auf den Gedanken, es gehe dabei um unsere Versorgung während eines Urlaubs auf Ibiza oder in Schottland. »In einem Europa ohne Grenzen wollen die Menschen auch in der Gesundheitsversorgung mehr Mobilität. Unser Ziel ist es, noch bestehende Schranken und Hürden, wo immer möglich, durchlässiger zu machen«, erklärte der baden-württembergische Sozialminister Repnik am 23.10.2003. Davon profitieren jedoch nicht in erster Linie Patientinnen und Patienten. »Für die baden-württembergischen Leistungsanbieter eröffnen sich neue Chancen, ihre hochwertigen Leistungen anderen EU-Bürgern anzubieten.«
Seit deutsche Gesetzgeber 1998 Krankenhäusern einen finanziellen Anreiz gesetzt haben, internationale Patienten zu behandeln, gibt es zahlreiche Bemühungen, diesen Markt zu erschließen. Sie reichen von der Gründung des Kuratoriums zur Förderung deutscher Medizin im Ausland e.V. über Marketingaktionen einzelner Häuser, die Präsenz auf internationalen Gesundheitsmessen wie Arab Health, Verhandlungen mit internationalen Krankenversicherungen bis hin zur Gründung von Patientenvermittlungsbüros.
Niederländer werden bereits auf der Grundlage einer Vereinbarung mit den Krankenkassen in NRW behandelt. Im kleinen Grenzverkehr werden die Folgen der drastischen Sparpolitik im Nachbarland insbesondere bei Vorsorgeuntersuchungen ausgebügelt. »Es erwachsen Chancen für die Medizintechnikunternehmen, weil Patienten vielfach den Wunsch haben, im Heimatland an den gleichen Geräten weiterbehandelt zu werden«, schwärmt Dr.G.Knorr, Ministerialdirigent der bayrischen Staatsregierung. »Beispielhaft ist das Konzept, Privatstationen mit gehobener Ausstattung und besonderem Service zu errichten, das einige Kliniken in Deutschland bereits erfolgreich umgesetzt haben. Diese Einrichtungen tragen dem wachsenden Bedürfnis ausländischer wie deutscher Patienten nach exklusiver Behandlung im Krankheitsfall Rechnung.«

Exklusive Behandlung für exklusive Patienten

Die Henriettenstiftung in Niedersachsen prahlt damit, wie sie sich auf englische Patienten spezialisiert hat — mit zweisprachiger Ausschilderung, mit angepasstem Essen, Sprachkursen für das Personal, umlaufenden Vorhängen um die Betten. Die ambulanten und stationären Wartelisten im britischen Gesundheitswesen sind unerträglich über die Millionengrenze angewachsen. Die Labour-Regierung weicht auf Anbieter im Ausland aus. Englische Privatkliniken verlangen bspw. 11000 Euro für eine Hüftoperation mit 10-tägiger »Verweildauer«; die deutsche Konkurrenz macht es in 21 Tagen für knapp 10000 Euro, sei es im Essener Lutherkrankenhaus oder in Hannover.
Weil es in Norwegen insbesondere an Operateuren fehlt, verkürzen die mobilen Patienten dort ihre bis zu sechsjährigen Wartezeiten und jetten für eine Augenoperation nach Deutschland. So kauft Norwegen für seine Bürger jährlich 50000 Operationen im Ausland ein.
Damit sie international ihre Angebote bewerben können, hat das deutsche Verfassungsgericht im August den Kliniken den Weg zum Marketing im Internet geöffnet. Insbesondere nach dem 11.9.2001 interessieren sich arabische und russische Reiche, die nicht mehr so leicht in die USA einreisen können, für Privatkliniken, die sich auf Sonderwünsche verstehen: Für Minister und Blaublüter gibt es Bodyguards und Decknamen. Durchaus vieldeutig fasst dies das Kurmotto in Bad Homburg: »rich in health«. Mit arabischen Hausprospekten und gezielten Werbeaktionen versuchen die Universitätskliniken in Frankfurt, Marburg oder Hamburg-Eppendorf mitzuhalten.
Nun gibt es auch hierzulande Wartelisten und Unterversorgung. Und die Patienten beginnen sich angesichts von steigenden Zuzahlungen und Eigenanteilen über die Grenzen hinaus nach Dumpingangeboten umzuschauen. Darum enthält das Paket der modernisierten Gesundheitsgesetze für die deutschen Krankenkassen erstmals die Möglichkeit, umgekehrt auch Verträge mit Leistungsanbietern im europäischen Ausland abzuschließen.

Gehet hin in alle Welt

So viel Patiententourismus mag unbefangenen Betrachtern irgendwie unsinnig und teuer und nicht »kundenorientiert« erscheinen. Die neoliberalen Ökonomen besinnen sich. Sie fassen dabei zunächst die Wohlstandsmigranten und die Gesundheitsmigranten (ab ins milde Klima) ins Auge. So zeichnet sich der »Ich-Patient« laut einer aktuellen Studie der Hypo-Vereinsbank durch die Bereitschaft aus, hohe private Gesundheitsausgaben zu tätigen.
Mutig geht das diakonische Johanneswerk in Bielefeld voran und investiert in ein Seniorenzentrum mit 55 Appartements, einer Pflegestation und 17 Einzelzimmern — nicht in Bielefeld, sondern im spanischen Almunecar nahe Málaga; und gleich noch ein zweites Mal in Alicante. Dort leben nun Engländer, Belgier, Deutsche sowie eine kleine Gruppe von Spaniern.
Es geht bei solcher Entwicklungshilfe durchaus darum, von einander zu lernen. Die Zeitschrift Care concret titelt am 12.09.2003 - "Privatisierung: Ausländische Anbieter sondieren den Markt" - und fasst eine Gesundheits-Markt- Studie von HPS research des Branchenanalysten und Privatisierungspropheten Hartmut Schmidt zusammen: "Innerhalb Europas ist die Privatisierung in Deutschland am weitesten vorangeschritten. Deshalb wird der deutsche Markt auch eine zentrale Rolle spielen." Im Gespräch seien dabei Konzerne und Ketten wie die schwedische Capio (Kliniken), die US-amerikanische Sunrise (Senioren-Wohneinrichtungen) und HCA oder die französische Bonitas (ambulante Pflege) oder die englische CARE UK. Die Patienten hier profitieren davon nicht.
Die Ausländischen Investoren brächten wenig anderes als ihr Kapital ein, um Wissen für ihre heimischen Märkte abzugreifen. Ohne einen Handschlag werden wohl die deutschen Aktionäre bei den Gewinnern sein, denn die ausländische Nachfrage pflegt zumindest die deutschen Börsenkurse gut.

Wanderarbeiterinnen in deutscher Hand

Im verschärften Konkurrenzkampf haben die Krankenhäuser sich zunächst von ihrer Aufgabe verabschiedet, hierzulande für die Zukunft auszubilden. Joachim Döring von der Henriettenstiftung in Hannover berichtet: "In Slowenien und Polen entstanden und entstehen Pflegeschulen unter deutscher Beteiligung." Die EU-Kommission reformiert ebenso vorausschauend die gegenseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen im Gesundheitswesen.
Falls tatsächlich ernst gemacht wird in den Kliniken und Pflegepersonal, Ärzte und Medizinisch-Technische-Assistenten nicht mehr zu Schichten mit bis zu 25-34 Stunden Länge eingeteilt werden, kommt auf die Krankenhäuser eine Welle der Neueinstellungen zu. Zur "Abmilderung" dieser Folgen eines EuGH-Urteils lässt sich der Vorsitzende des Gruppenausschusses der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber, Dr. Otto Foit, in einer Presseerklärung zitieren: "Die Politik müsse die Möglichkeit schaffen, auch in Nicht-EU-Staaten Ärzte rekrutieren zu können, weil auf dem EU-Binnenmarkt nicht genügend ausgebildetes Personal zur Verfügung steht."
Brauchen wir wirklich eine Green-Card für indische, russische und afrikanische Schwestern und Ärzte? Und wie verheerend wirkt das auf die Gesundheitsversorgung dort?

Blut-Zapfstellen

Der BSE-Skandal hat aufgezeigt, wie die globalisierten Wertschöpfungsketten die Qualität unserer Nahrung weitgehend unkontrollierbar gemacht haben. Die Regierungs-Skandale um HIV-verseuchte Blutkonserven und Blutgerinnungspräparate in Frankreich sind noch zu frisch in der Erinnerung.
"Blutprodukte sind heute für eine Hochleistungsmedizin unverzichtbar", beschwört darum der Staatssekretär des Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, Dr. Klaus Theo Schröder. Die EU-Richtlinie zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen ist seit dem 8. Februar 2003 in Kraft und muss bis zum 8. Februar 2005 in nationales Recht umgesetzt werden. "Die Bundesregierung begrüßt das. Es ist notwendig, dass die Standards europaweit angeglichen werden, damit die Bürger der Europäischen Union überall dasselbe Qualitäts- und Sicherheitsniveau antreffen, wo auch immer sie sich einer medizinischen Behandlung unterziehen müssen", so Schröder.
Trotz solcher Versprechen bleiben erhebliche Zweifel. In Europa und eben auch in Deutschland werden die sozial Benachteiligten gegen Bares zur monatlichen Blutspende gelockt. Die internationale Erfahrung belegt jedoch, dass diese bezahlten Spender/innen eben auch gesundheitlich benachteiligt sind. Sie nehmen selbst bei den Blutspenden Schaden. Und die "Qualität" ihres Blutes ist unterdurchschnittlich, denn sie sind oft lebensgefährlichen Viren ausgesetzt. Die soziale Kluft reißt im europäischen Maßstab noch zusätzliche Verwerfungen auf — mit dem internationalisierten Bluthandel gehen uns diese Folgen buchstäblich unter die Haut.

Globalisierung auf dem Rechtsweg

In Brüssel unterhält nicht nur die Diakonie ein Europabüro. Auch die Bundeszahnärztekammer sorgt sich dort darum, dass die Innung bei der Implantation der Goldkronen nicht unversehens über die internationalen Fallstricke der Geldwäsche stolpert. Gemeinsam knüpfen die Lobbyisten ihr Netz aus Paragrafen in den Richtlinien der EU-Kommissionen und ziehen es dann beizeiten zu.
Der Europäische Gerichtshof ersetzt mit seinen Urteilen die politische Willensbildung. So pocht er auf die Grundsätze des freien Warenverkehrs nach Artikel 28 und auf die Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 49 EG-Vertrag auch im Bereich der ambulanten und stationären Behandlung. Dies hat zur Folge, dass sich Versicherte Leistungen gegen Kostenerstattung zu Lasten öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger selbst beschaffen können.
Für weitere Klagen steht unter anderem der Verband der privaten Krankenversicherungen (PKV) bereits in den Startlöchern. Er sieht seinen auf 9,36 Prozent gewachsenen Marktanteil gefährdet — und nicht erst durch eine Bürgerversicherung. Die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze im Beitragssatzsicherungsgesetz BSSichG vom 23. Dezember 2002 widerspräche den europäischen Grundfreiheiten und müsste sich am europäischen Wettbewerbs- und Kartellrecht messen lassen. Falls die Krankenversicherungs-AG, die DKV und die Allianz mit ihrer Verfassungsbeschwerde scheitern, drohen sie mit dem Gang vor den EuGH.
Die DKV, Europas führender privater Krankenversicherer, versucht gleichzeitig zur internationalen Ausdehnung eine vertikale Integration. Sie will dazu mit Facharztzentren für Privatpatienten und einer Kette von Zahnprophylaxe-Centern die neuen Gewinnmöglichkeiten und Märkte ausschöpfen — und wird dabei recht wenig Rücksicht auf Bedenken gegenüber der eigenen Kartellbildung nehmen.
Ganz ähnlich liegt der Fall der privaten Asklepios-Kliniken . Sie hat im November 2002 eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht gegen die Subventionspraxis bei den öffentlichen Krankenhäusern. Das Handelsblatt spekulierte: "Sollte Brüssel die Beihilfen verbieten, würde dies den Wettbewerb auf dem Krankenhausmarkt erheblich beschleunigen." Tatsächlich brauchen wir für eine wohnortnahe Versorgung und für Krisenzeiten wie Epidemien oder Hitzeperioden Krankenbetten auch da, wo sie sich nicht gegen die private Konkurrenz rechnen. Eine Konsequenz der Asklepios-Beschwerde könnten also bedrohliche Unterversorgungen im Sauerland oder zur Grippezeit im nächsten Februar sein.
Wahrscheinlicher ist, dass der Staat die privaten Klinikketten mit erheblichen Beihilfen gleichbehandeln muss. Es war also weniger der Gerechtigkeitssinn, der Asklepios nach Brüssel treibt, als der Heißhunger auf Extraprofite. Ironischer weise kaufte sich die Asklepios-Kette im November 2003 in Hamburg die sieben landesbetriebenen Krankenhäuser samt der 20 Tochterfirmen. Als faktischer Monopolist in einem Bundesland bestimmt Asklepios nun nicht nur über die Gesundheitsversorgung, sondern auch über die Preise. Vom vertraglichen Kaufpreis von 318 Millionen Euro werden zunächst tatsächlich nur 20 Millionen fällig. Unter anderem hat der CDU- Schill-Senat für 60 Jahre auf Pachteinnahmen für Krankenhaus-Immobilien verzichtet — eine Subvention durch die Stadt Hamburg von 189 Million Euro.
Wir dürfen also durchaus behaupten, dass sich im europäischen Medizin-Zirkus einige gesund stoßen.

Tobias Michel

tobias.michel@krupp-krankenhaus.de ist Betriebsrat im privaten Alfried-Krupp-Krankenhaus (Essen) und aktiv in der Attac AG Soziale Sicherung.

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