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GATS, das internationale Abkommen über den freizügigen Handel mit Dienstleistungen, hat den Argwohn der
Globalisierungskritiker geweckt. Beschwichtigend haben vor einem Jahr die Welthandelsorganisation (WTO) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in
einer gemeinsamen Studie empfohlen, zumindest der Gesundheit Vorrang einzuräumen gegenüber unbeschränkten Handelsinteressen.
Doch es gibt keinen Grund zur Entwarnung! Weitgehend unbemerkt von der öffentlichen
Diskussion reißen Gesundheitsminister und Lobbyisten derzeit die Grenzen in Europa nieder. Patienten und medizinisches Personal, Medikamente und
Organe, Krankenhausketten und Versicherungen sie alle werden im EU-weiten Medizingeschäft um die Euro-Milliarden
grenzüberschreitend gehandelt. In diesem Strudel werden die Verantwortlichen unsichtbar. Die Gesetzgeber in den einzelnen EU-Mitgliedsländern
laufen bei ihren Gesundheitsreformen nur den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs hinterher; der EuGH hält sich stur an die Richtlinien
der EU-Kommission, die EU-Bürokraten setzen die Politik um, die von den EU-Gesundheitsministern bei ihren Treffen vorgegeben wurde…
In diesem Sinne ist Gesundheitsministerin Ulla Schmidt durchaus eine internationale Komplizin: »Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir regeln, dass
alle gesetzlich Krankenversicherten innerhalb der europäischen Mitgliedstaaten alle Leistungen in der ambulanten Versorgung im
Kostenerstattungsprinzip in Anspruch nehmen können. Die Leistungen werden in der Höhe ersetzt, in der sie auch im Sachleistungsprinzip erstattet
würden. Ich gehe davon aus, dass wir uns bei den derzeit stattfindenden Verhandlungen darauf einigen werden, dass das, was für Europa gilt, auch
in Deutschland Rechtskraft besitzen muss.«
Selbst das 10 Euro Eintrittsgeld zur deutschen Arztpraxis bekommt bei ihr einen
internationalistischen Anstrich: »Das ist alles nur eine Gewohnheitssache und wird in fast allen Ländern um uns herum so gehandhabt, und keiner
beschwert sich dort über Bürokratie.«
Nur wir Normalsterblichen kommen bei ihren Worten auf den Gedanken, es gehe dabei um
unsere Versorgung während eines Urlaubs auf Ibiza oder in Schottland. »In einem Europa ohne Grenzen wollen die Menschen auch in der
Gesundheitsversorgung mehr Mobilität. Unser Ziel ist es, noch bestehende Schranken und Hürden, wo immer möglich, durchlässiger
zu machen«, erklärte der baden-württembergische Sozialminister Repnik am 23.10.2003. Davon profitieren jedoch nicht in erster Linie
Patientinnen und Patienten. »Für die baden-württembergischen Leistungsanbieter eröffnen sich neue Chancen, ihre hochwertigen
Leistungen anderen EU-Bürgern anzubieten.«
Seit deutsche Gesetzgeber 1998 Krankenhäusern einen finanziellen Anreiz gesetzt
haben, internationale Patienten zu behandeln, gibt es zahlreiche Bemühungen, diesen Markt zu erschließen. Sie reichen von der Gründung des
Kuratoriums zur Förderung deutscher Medizin im Ausland e.V. über Marketingaktionen einzelner Häuser, die Präsenz auf
internationalen Gesundheitsmessen wie Arab Health, Verhandlungen mit internationalen Krankenversicherungen bis hin zur Gründung von
Patientenvermittlungsbüros.
Niederländer werden bereits auf der Grundlage einer Vereinbarung mit den
Krankenkassen in NRW behandelt. Im kleinen Grenzverkehr werden die Folgen der drastischen Sparpolitik im Nachbarland insbesondere bei
Vorsorgeuntersuchungen ausgebügelt. »Es erwachsen Chancen für die Medizintechnikunternehmen, weil Patienten vielfach den Wunsch
haben, im Heimatland an den gleichen Geräten weiterbehandelt zu werden«, schwärmt Dr.G.Knorr, Ministerialdirigent der bayrischen
Staatsregierung. »Beispielhaft ist das Konzept, Privatstationen mit gehobener Ausstattung und besonderem Service zu errichten, das einige Kliniken in
Deutschland bereits erfolgreich umgesetzt haben. Diese Einrichtungen tragen dem wachsenden Bedürfnis ausländischer wie deutscher Patienten
nach exklusiver Behandlung im Krankheitsfall Rechnung.«
Die Henriettenstiftung in Niedersachsen prahlt damit, wie sie sich auf englische Patienten spezialisiert hat mit zweisprachiger Ausschilderung, mit
angepasstem Essen, Sprachkursen für das Personal, umlaufenden Vorhängen um die Betten. Die ambulanten und stationären Wartelisten im
britischen Gesundheitswesen sind unerträglich über die Millionengrenze angewachsen. Die Labour-Regierung weicht auf Anbieter im Ausland aus.
Englische Privatkliniken verlangen bspw. 11000 Euro für eine Hüftoperation mit 10-tägiger »Verweildauer«; die deutsche
Konkurrenz macht es in 21 Tagen für knapp 10000 Euro, sei es im Essener Lutherkrankenhaus oder in Hannover.
Weil es in Norwegen insbesondere an Operateuren fehlt, verkürzen die mobilen
Patienten dort ihre bis zu sechsjährigen Wartezeiten und jetten für eine Augenoperation nach Deutschland. So kauft Norwegen für seine
Bürger jährlich 50000 Operationen im Ausland ein.
Damit sie international ihre Angebote bewerben können, hat das deutsche
Verfassungsgericht im August den Kliniken den Weg zum Marketing im Internet geöffnet. Insbesondere nach dem 11.9.2001 interessieren sich arabische
und russische Reiche, die nicht mehr so leicht in die USA einreisen können, für Privatkliniken, die sich auf Sonderwünsche verstehen:
Für Minister und Blaublüter gibt es Bodyguards und Decknamen. Durchaus vieldeutig fasst dies das Kurmotto in Bad Homburg: »rich in
health«. Mit arabischen Hausprospekten und gezielten Werbeaktionen versuchen die Universitätskliniken in Frankfurt, Marburg oder Hamburg-Eppendorf mitzuhalten.
Nun gibt es auch hierzulande Wartelisten und Unterversorgung. Und die Patienten beginnen
sich angesichts von steigenden Zuzahlungen und Eigenanteilen über die Grenzen hinaus nach Dumpingangeboten umzuschauen. Darum enthält das
Paket der modernisierten Gesundheitsgesetze für die deutschen Krankenkassen erstmals die Möglichkeit, umgekehrt auch Verträge mit
Leistungsanbietern im europäischen Ausland abzuschließen.
So viel Patiententourismus mag unbefangenen Betrachtern irgendwie unsinnig und teuer und nicht »kundenorientiert« erscheinen. Die
neoliberalen Ökonomen besinnen sich. Sie fassen dabei zunächst die Wohlstandsmigranten und die Gesundheitsmigranten (ab ins milde Klima) ins
Auge. So zeichnet sich der »Ich-Patient« laut einer aktuellen Studie der Hypo-Vereinsbank durch die Bereitschaft aus, hohe private
Gesundheitsausgaben zu tätigen.
Mutig geht das diakonische Johanneswerk in Bielefeld voran und investiert in ein
Seniorenzentrum mit 55 Appartements, einer Pflegestation und 17 Einzelzimmern nicht in Bielefeld, sondern im spanischen Almunecar nahe
Málaga; und gleich noch ein zweites Mal in Alicante. Dort leben nun Engländer, Belgier, Deutsche sowie eine kleine Gruppe von Spaniern.
Es geht bei solcher Entwicklungshilfe durchaus darum, von einander zu lernen. Die Zeitschrift
Care concret titelt am 12.09.2003 - "Privatisierung: Ausländische Anbieter sondieren den Markt" - und fasst eine Gesundheits-Markt-
Studie von HPS research des Branchenanalysten und Privatisierungspropheten Hartmut Schmidt zusammen: "Innerhalb Europas ist die
Privatisierung in Deutschland am weitesten vorangeschritten. Deshalb wird der deutsche Markt auch eine zentrale Rolle spielen." Im Gespräch seien
dabei Konzerne und Ketten wie die schwedische Capio (Kliniken), die US-amerikanische Sunrise (Senioren-Wohneinrichtungen) und HCA oder die
französische Bonitas (ambulante Pflege) oder die englische CARE UK. Die Patienten hier profitieren davon nicht.
Die Ausländischen Investoren brächten wenig anderes als ihr Kapital ein, um
Wissen für ihre heimischen Märkte abzugreifen. Ohne einen Handschlag werden wohl die deutschen Aktionäre bei den Gewinnern sein, denn
die ausländische Nachfrage pflegt zumindest die deutschen Börsenkurse gut.
Im verschärften Konkurrenzkampf haben die Krankenhäuser sich zunächst von ihrer Aufgabe verabschiedet, hierzulande für die
Zukunft auszubilden. Joachim Döring von der Henriettenstiftung in Hannover berichtet: "In Slowenien und Polen entstanden und entstehen
Pflegeschulen unter deutscher Beteiligung." Die EU-Kommission reformiert ebenso vorausschauend die gegenseitigen Anerkennung beruflicher
Qualifikationen im Gesundheitswesen.
Falls tatsächlich ernst gemacht wird in den Kliniken und Pflegepersonal, Ärzte und
Medizinisch-Technische-Assistenten nicht mehr zu Schichten mit bis zu 25-34 Stunden Länge eingeteilt werden, kommt auf die Krankenhäuser eine
Welle der Neueinstellungen zu. Zur "Abmilderung" dieser Folgen eines EuGH-Urteils lässt sich der Vorsitzende des Gruppenausschusses der
Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber, Dr. Otto Foit, in einer Presseerklärung zitieren: "Die Politik müsse die Möglichkeit
schaffen, auch in Nicht-EU-Staaten Ärzte rekrutieren zu können, weil auf dem EU-Binnenmarkt nicht genügend ausgebildetes Personal zur
Verfügung steht."
Brauchen wir wirklich eine Green-Card für indische, russische und afrikanische
Schwestern und Ärzte? Und wie verheerend wirkt das auf die Gesundheitsversorgung dort?
Der BSE-Skandal hat aufgezeigt, wie die globalisierten Wertschöpfungsketten die Qualität unserer Nahrung weitgehend unkontrollierbar
gemacht haben. Die Regierungs-Skandale um HIV-verseuchte Blutkonserven und Blutgerinnungspräparate in Frankreich sind noch zu frisch in der
Erinnerung.
"Blutprodukte sind heute für eine Hochleistungsmedizin unverzichtbar",
beschwört darum der Staatssekretär des Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, Dr. Klaus Theo Schröder. Die EU-Richtlinie zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von
menschlichem Blut und Blutbestandteilen ist seit dem 8. Februar 2003 in Kraft und muss bis zum 8. Februar 2005 in nationales Recht umgesetzt werden.
"Die Bundesregierung begrüßt das. Es ist notwendig, dass die Standards europaweit angeglichen werden, damit die Bürger der
Europäischen Union überall dasselbe Qualitäts- und Sicherheitsniveau antreffen, wo auch immer sie sich einer medizinischen Behandlung
unterziehen müssen", so Schröder.
Trotz solcher Versprechen bleiben erhebliche Zweifel. In Europa und eben auch in Deutschland
werden die sozial Benachteiligten gegen Bares zur monatlichen Blutspende gelockt. Die internationale Erfahrung belegt jedoch, dass diese bezahlten
Spender/innen eben auch gesundheitlich benachteiligt sind. Sie nehmen selbst bei den Blutspenden Schaden. Und die "Qualität" ihres Blutes
ist unterdurchschnittlich, denn sie sind oft lebensgefährlichen Viren ausgesetzt. Die soziale Kluft reißt im europäischen Maßstab noch
zusätzliche Verwerfungen auf mit dem internationalisierten Bluthandel gehen uns diese Folgen buchstäblich unter die Haut.
In Brüssel unterhält nicht nur die Diakonie ein Europabüro. Auch die Bundeszahnärztekammer sorgt sich dort darum, dass die
Innung bei der Implantation der Goldkronen nicht unversehens über die internationalen Fallstricke der Geldwäsche stolpert. Gemeinsam
knüpfen die Lobbyisten ihr Netz aus Paragrafen in den Richtlinien der EU-Kommissionen und ziehen es dann beizeiten zu.
Der Europäische Gerichtshof ersetzt mit seinen Urteilen die politische Willensbildung.
So pocht er auf die Grundsätze des freien Warenverkehrs nach Artikel 28 und auf die Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 49 EG-Vertrag auch im Bereich
der ambulanten und stationären Behandlung. Dies hat zur Folge, dass sich Versicherte Leistungen gegen Kostenerstattung zu Lasten öffentlich-rechtlicher
Versicherungsträger selbst beschaffen können.
Für weitere Klagen steht unter anderem der Verband der privaten
Krankenversicherungen (PKV) bereits in den Startlöchern. Er sieht seinen auf 9,36 Prozent gewachsenen Marktanteil gefährdet und nicht
erst durch eine Bürgerversicherung. Die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze im Beitragssatzsicherungsgesetz BSSichG vom 23. Dezember
2002 widerspräche den europäischen Grundfreiheiten und müsste sich am europäischen Wettbewerbs- und Kartellrecht messen lassen.
Falls die Krankenversicherungs-AG, die DKV und die Allianz mit ihrer Verfassungsbeschwerde scheitern, drohen sie mit dem Gang vor den EuGH.
Die DKV, Europas führender privater Krankenversicherer, versucht gleichzeitig zur
internationalen Ausdehnung eine vertikale Integration. Sie will dazu mit Facharztzentren für Privatpatienten und einer Kette von Zahnprophylaxe-Centern
die neuen Gewinnmöglichkeiten und Märkte ausschöpfen und wird dabei recht wenig Rücksicht auf Bedenken
gegenüber der eigenen Kartellbildung nehmen.
Ganz ähnlich liegt der Fall der privaten Asklepios-Kliniken . Sie hat im November 2002
eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht gegen die Subventionspraxis bei den öffentlichen Krankenhäusern. Das Handelsblatt
spekulierte: "Sollte Brüssel die Beihilfen verbieten, würde dies den Wettbewerb auf dem Krankenhausmarkt erheblich beschleunigen."
Tatsächlich brauchen wir für eine wohnortnahe Versorgung und für Krisenzeiten wie Epidemien oder Hitzeperioden Krankenbetten auch da,
wo sie sich nicht gegen die private Konkurrenz rechnen. Eine Konsequenz der Asklepios-Beschwerde könnten also bedrohliche Unterversorgungen im
Sauerland oder zur Grippezeit im nächsten Februar sein.
Wahrscheinlicher ist, dass der Staat die privaten Klinikketten mit erheblichen Beihilfen
gleichbehandeln muss. Es war also weniger der Gerechtigkeitssinn, der Asklepios nach Brüssel treibt, als der Heißhunger auf Extraprofite.
Ironischer weise kaufte sich die Asklepios-Kette im November 2003 in Hamburg die sieben landesbetriebenen Krankenhäuser samt der 20 Tochterfirmen.
Als faktischer Monopolist in einem Bundesland bestimmt Asklepios nun nicht nur über die Gesundheitsversorgung, sondern auch über die Preise.
Vom vertraglichen Kaufpreis von 318 Millionen Euro werden zunächst tatsächlich nur 20 Millionen fällig. Unter anderem hat der CDU-
Schill-Senat für 60 Jahre auf Pachteinnahmen für Krankenhaus-Immobilien verzichtet eine Subvention durch die Stadt Hamburg von 189
Million Euro.
Wir dürfen also durchaus behaupten, dass sich im europäischen Medizin-Zirkus
einige gesund stoßen.
Tobias Michel
tobias.michel@krupp-krankenhaus.de ist Betriebsrat im privaten Alfried-Krupp-Krankenhaus (Essen) und aktiv in der Attac AG Soziale Sicherung.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
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