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In Afghanistan scheint sich die Geschichte zu wiederholen allerdings nicht als Komödie, wie in dem
berühmten Marx-Wort, sondern als eine für die meisten Menschen des Landes grauenhafte Tragödie.
Über zwei Jahre nach dem Beginn der Bombardierung des Landes im Rahmen der
NATO-mandatierten Operation »Enduring Freedom« und der Beendigung der Schreckensherrschaft der Taliban ähnelt die Situation immer
stärker jener der frühen neunziger Jahre. Damals war Afghanistan zerrissen vom Kampf rivalisierender Warlords, die sich, nachdem ihnen die
finanzielle Unterstützung aus Washington nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gestrichen worden war, durch Drogenhandel, Straßenraub
und »Kriegssteuern«, die sie den in ihrem Einflussgebiet lebenden Menschen auferlegten, bereicherten. Es war vor diesem Hintergrund, dass viele
Afghanen tatsächlich den Siegeszug der Taliban, der in der Einnahme Kabuls im September 1996 gipfelte, kurzzeitig begrüßten.
Nun scheinen sich die Taliban mit einigen ihrer früheren Gegner zu einer Allianz gegen
die westliche Besatzung des Landes zusammengeschlossen zu haben. Mitte des Jahres kursierte ein Video, in dem ein Sprecher im Namen der Taliban, von Al
Qaeda und der Hezb-i-Islami »Tod und Zerstörung« ankündigte. Die Hezb-i-Islami scheint dabei den militärischen Kern dieses
Bündnisses zu bilden. Sie ist die Partei Gulbuddin Hekmatyars, der als Mudjaheddinführer auf der Gehaltsliste sowohl des CIA wie auch des
pakistanischen Geheimdienstes und Saudi-Arabiens stand. Heute steht er zusammen mit Osama Bin Laden und Mullah Omar auf der »Most-
wanted«-Liste der USA.
Die Stärke der islamistischen Strömungen zeigte sich auch bei der Wahl zur Loya
Jirga, der Großen Ratsversammlung, die Mitte Dezember in Kabul tagte und eine neue Verfassung beschließen soll. 70% der Delegierten kamen aus
dem Mudjaheddin-Lager, darunter einige bekannte Taliban-Führer. Zwei Frauen, die sich um einen Sitz in der Versammlung bemühten, wurden
massiv bedroht und verzichteten schließlich auf eine Kandidatur.
Nach einem Bericht des UNO-Büros gegen Drogen und Kriminalität (UODC) von
Ende Oktober ist inzwischen auch das Drogengeschäft wieder in vollem Gang. Neben dem Waffenhandel scheint dies die einzige wirtschaftliche
Tätigkeit im Land zu sein. Die Einnahmen aus Drogenanbau und -verkauf machen inzwischen mit über 2 Milliarden Dollar die Hälfte des
Bruttoinlandsprodukts Afghanistans aus. 2003 stieg die Opiumproduktion um 6% gegenüber dem Vorjahr, sodass mittlerweile wieder etwa drei Viertel des
weltweit verkauften Heroins aus Afghanistan stammen. 28 von den insgesamt 32 Provinzen des Landes sind betroffen. 1999, zur Zeit der Talibanregierung,
waren es dagegen nur 19.
Besonders auffällig ist dabei der Anstieg um 55% in der Provinz Badakhshan im
Nordosten des Landes. Badakhshan ist das Gebiet der mit den westlichen Invasionstruppen verbündeten Nordallianz.
Die Lage der Bevölkerung ist nach wie vor katastrophal. Lediglich 5% der
ländlichen Bevölkerung haben Zugang zu sauberem Wasser, 17% zu medizinischer Versorgung, ein Viertel aller Kinder stirbt, bevor sie das
fünfte Lebensjahr erreichen, die Lebenserwartung beträgt 43 Jahre.
Die Verbesserung der Lage der Frauen hatte vor zwei Jahren neben dem »Kampf gegen
den Terror« eine wichtige Rolle in der ideologischen Rechtfertigung des Angriffs auf Afghanistan gespielt. Schüchtern lächelnde Frauen, die
zum ersten Mal seit Jahren ohne Verschleierung auf den Straßen von Kabul zu sehen waren, wurden für kurze Zeit zu Lieblingsobjekten westlicher
Pressefotografen. Doch auch hier hat sich die Lage nicht verbessert. Mädchenschulen auf dem Land wurden bald wieder unter dem Druck regionaler
Machthaber geschlossen.
Ende September dieses Jahres hieß es in einem Bericht des Hohen
Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) unter der Überschrift »Verschleppung von Frauen, Entführungen und
Erpressung von Lösegeld«: »Verschleppungen kommen im ganzen Land vor. Der Status von Frauen in der afghanischen Gesellschaft und die
praktischen Gegebenheiten führen dazu, dass Untersuchungen solcher Vorfälle extrem schwierig sind«.
All dies vollzieht sich unter den Augen der westlichen Besatzer, die im Rahmen von
»Enduring Freedom« oder der ISAF-»Schutztruppe« (International Security Assistance Force) im Land sind. Die ISAF ist dabei ein
besonderes Steckenpferd der deutschen Bundesregierung. Aufgabe der Truppe ist der Schutz der Marionettenregierung von Hamid Karzai. Der ISAF
gehören knapp 5000 Soldaten aus etwa 30 Ländern an.
Die Bundesrepublik stellte seit Februar dieses Jahres zusammen mit den Niederlanden auch das
Kommando der Truppe, am 11. August übergab sie es dann an die NATO. Ein seit Mitte des Jahres verfolgtes Projekt der Bundesregierung war dabei der
Einsatz bundesdeutscher ISAF-Truppen auch außerhalb von Kabul. Dabei war als Stationierungsort zunächst die westafghanische Stadt Herat,
Herrschaftsbereich des Warlords Ismael Khan, im Gespräch.
Nachdem Ismael Khan jedoch deutlich gemacht hatte, dass fremde Truppen auf seinem Gebiet
unerwünscht seien und am 29.Juni vier Bundeswehrsoldaten bei einem Selbstmordattentat in Kabul ums Leben kamen, wurde die nördlich von
Kabul gelegene und als sicher geltende Stadt Tscharikar als Einsatzort erwogen. Hier aber wehrten sich die am Ort ansässigen Hilfsorganisationen, die
durch die Präsenz des deutschen Militärs ihre Wiederaufbauarbeit gefährdet sahen. Am 24.Oktober schließlich beschloss der Bundestag
den erweiterten Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Ziel der 230 Mann starken Truppe sollte nun das nordafghanische Kundus werden.
Kundus gehört zum Machtbereich des als Verteidigungsminister firmierenden Warlords
Mohamed Fahim, der sich in der Region eine Privatarmee von etwa 30000 Kämpfern aufgebaut hat. Fahim kontrolliert auch das Pandschir-Tal, durch das
ein bedeutender Teil des Drogenschmuggels in Richtung Zentralasien, Russland und dann nach Westeuropa führt. Mit Fahim werden sich die
Bundeswehrtruppen freilich kaum anlegen, dazu wären die Kräfteverhältnisse vor Ort wohl auch zu ungünstig. Der Einsatz in Kundus
scheint vielmehr vor allem symbolischen Charakter zu haben, dafür spricht auch die relative Beliebigkeit in der Wahl des Einsatzortes.
Einerseits versucht die Bundesregierung eine Geste guten Willens gegenüber der
imperialen Führungsmacht USA, andererseits dient der Kundus-Einsatz als Türöffner in Bezug auf die weltweiten militärischen
Ambitionen Deutschlands, wie sie explizit in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« vom Mai dieses Jahres formuliert worden sind. Dort
heißt es: »Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und
Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen.«
Auch die zeitliche Eingrenzung wird offenbar relativ großzügig gesehen. So
erwägt der Kommandeur der deutschen ISAF-Truppen nach einem Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung einen Einsatz bis zum Jahr 2018.
Harald Etzbach
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