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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 17

Wider die Kollektivschuldthese

Zur Vertriebenendebatte in SoZ 11/03

Dank dem britischen Poststreik bekam ich die SoZ 11/2003 erst mit großer Verspätung. Wie immer, gefielen mir sehr viele Artikel. Selten aber rief ein Artikel so viel Stirnrunzeln hervor wie der ganzseitige Artikel von Rüdiger Lötzer, »Eine gespenstische Kampagne«. Irgendwie erwartete ich dann, dass irgendjemand darauf mit passender Schärfe in der Dezembernummer reagieren würde. Aber nein.
Meine allergische Reaktion bezieht sich auf die folgenden zwei Zitate, die der Autor kommentarlos übernimmt, nirgendwo in Frage stellt, und mit denen sich — so muss man zumindest annehmen — der Autor daher identifiziert. Das erste Zitat stammt von drei Berliner PDS-Abgeordneten, die sich interessanterweise mit dem Potsdamer Abkommen der allierten Großmächte voll identifizieren, wie das ja immer schon von stalinistischer Seite gemacht wurde, da der große Bruder im Osten in den 40er Jahren kurzzeitig von der »westlichen Welt« als gleichrangiger diplomatischer Verhandlungspartner akzeptiert wurde: »Die Umsiedlung der Deutschen aus den Ostgebieten ist eine historisch gerechtfertigte Konsequenz der NS-Herrschaft.«
Interessant ist hierbei nicht nur die hundertprozentige Identifizierung mit den Siegermächten und ihrer Großmachtpolitik, sondern u.a. auch die Beschreibung der Vertreibung als »Umsiedlung«. Man sollte meinen, dass, selbst wenn die drei PDS-Autoren die Herren Stalin & Co. in ihrem Bestreben, Millionen Menschen aus deutschsprachigen Gebieten nach Westen zu vertreiben, unterstützen (mit einem ganzen Rattenschwanz von Konsequenzen, wie z.B. die ähnlich unfreiwillige, wenn auch weniger gewaltsame Vertreibung von Polen aus ehemaligen polnischen Ostgebieten genau in diese nun »freigewordenen« ehemaligen deutschsprachigen Gebiete), dass sie doch selbst oder gerade dann zumindest klar und deutlich aussprechen würden, was schlicht und einfach Tatsache war: diese »Umsiedlung« war ein brutaler Akt, der mit Vertreibung (ohne Anführungszeichen!) bedeutend treffender beschrieben wird. Das zweite Zitat stammt von Marek Edelman, der in die gleiche Kerbe haut: »Die Deutschen haben mit der Vertreibung für Hitler bezahlt.«
Nun liegt es mir nicht nahe — ganz im Gegenteil — den Naziterror und die Nazimassenmorde zu relativieren. Die Debatte, ob denn nun ein »Zentrum gegen Vertreibungen« besser in Berlin, Wroclaw oder Nablus eingerichtet werden soll, ist wichtig, und ich stimme durchaus damit überein, dass eine solche Institution, sollte sie denn nun wirklich Realität werden, nicht — vor allem nicht zuallererst! — in der BRD errichtet werden sollte. Es ist nicht dieser Teil des Artikels, den ich kritisiere. Auch ich bin der Meinung, wie Edelman u.a., dass ein bundesdeutsches Zentrum dieser Art »eine Entkontextualisierung der Vergangenheit, die Negation des ursächlichen Zusammenhangs von NS-Volkstums- und Vernichtungspolitik auf der einen, Flucht und Vertreibung der Deutschen auf der anderen Seite« bedeuten würde.
Doch wie hirnverbrannt muss man denn sein, um zu Anfang des dritten Milleniums die Kollektivschuldthese wieder aus der Mottenkiste heraus zu zerren.

Gerd-Rainer Horn, Coventry (England)

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