SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 19

Wie biegsam ist der Mensch?

Günter Amendt für ein drogenpolitisches Übergangsprogramm

Günter Amendt, No Drugs — No Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung, Hamburg: Europa, 2003, 207 Seiten, 17,90 Euro

Drogenkonsum und Drogensucht sind Alltag. Im heutigen Deutschland konsumieren 5 Millionen Erwachsene im berufsfähigen Alter Alkohol in riskantem Ausmaße, 2,7 Millionen davon leiden unter den körperlichen und sozialen Schäden des Alkoholkonsums, 1,6 Millionen sind alkoholabhängig und behandlungsbedürftig. Deutschland hat 1,2 bis 1,4 Millionen Medikamentenabhängige, 300000 Konsumenten »harter« Drogen — die Hälfte davon gilt als behandlungsbedürftig. 2,1 Millionen »Deutsche« konsumieren schließlich die Rauschdroge Cannabis, über 200000 täglich Haschisch oder Marihuana. Nie zuvor haben europaweit so viele Jugendliche so selbstverständlich Cannabis konsumiert.
Dass Menschen, seit es sie gibt, Rauschmittel nehmen, ist bekannt. Weniger reflektiert wird jedoch, in welcher Form und in welchem Ausmaß sich Drogenkonsum und Drogensucht mit den verschiedenen gesellschaftlichen Produktionsweisen verändern. Dies zu untersuchen, könnte man als Leitmotiv auch des dritten drogenpolitischen Buchs von Günter Amendt betrachten. Der globalisierte Neoliberalismus befördert, so Amendt, nicht nur rein faktisch Herstellung, Anbau, Handel und Konsum der vielfältigsten Drogenarten, er tut dies vielmehr mit einer ihm immanenten Logik und Ideologie.

Drogen im Turbokapitalismus

Turbokapitalismus und Risikogesellschaft setzen strukturell auf hohe Mobilität, Flexibilität und Leistung nicht nur bei der Kapitalbewegung, sondern gerade auch bei den Individuen. Immer mehr wird der menschliche Körper zur Zielscheibe des Verwertungsprozesses und zum Hoffnungsträger des vereinzelten Einzelnen, immer mehr werden Drogen der vielfältigsten Art zur Begleiterscheinung des »Höher, Weiter, Schneller«. Gleichzeitig klagten Ärzte und Gesellschaftsforscher noch nie so umfassend über zunehmenden Antriebsverlust, über Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit und individuelle Angst als Massenerscheinungen.
Psychische Erkrankungen nehmen einen immer größeren Raum im Krankheitswesen ein, die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass in Kürze etwa 10—15% aller Krankheiten unter diese Kategorie fallen. Bekämpft werden sie vor allem mit einer entsprechend zunehmenden Pharmakologisierung des Alltags.
Legale Schmerzmittel, Schlaf- und Aufputschmittel sowie pillenförmige Aufbaustoffe (u.a. Vitamine) sind der Alltag, aus dem ein mit Opiumderivaten versetztes Potenzmittel Viagra sensationsheischend sich erhebt. Etwa 10% der Erwachsenenbevölkerung in den USA sind auf Psychodrogen, 4% in den entwickelten Ländern insgesamt — Tendenz ebenso steigend wie die Verabreichung von Antidepressiva bei Vorschulkindern. Der Siegeszug euphorisierender Antidepressiva ist nur eine Umschreibung der offenkundigen Tatsache, dass »Nüchternheit für immer mehr Menschen zu einem immer schwerer ertragbaren Zustand wird«.
Die sich in den neuen Extremsportarten und neuen psychoaktiven Drogenarten ausdrückende Suche nach kicks and thrills ist dabei die exzessive Zuspitzung jener Doppelbewegung, mit der die »neuen« Menschen der »new economy« die gesellschaftlich vorgegebenen Ziele sowohl erreichen wie vor ihnen fliehen möchten. Auf die Spitze getrieben, auch dies macht Amendt en passant deutlich, ist sie ein zum Teil unbewusstes, zum Teil sogar bewusstes Spiel mit dem Suizid. »Die Frage aber ist: Wie biegsam ist der Mensch? Wie beweglich ist er? Wo ist sein Speed-limit, wo seine Bruchstelle?«
Der »Krieg gegen die Drogen« ist, so Amendt, »längst verloren«, und zwar zwangsläufig, da das Drogenproblem aus seinem sozialen, ökonomischen, kulturellen und psychischen Kontext herausgerissen und mediensensationell aufgebauscht und militarisiert wurde und wird. Wer von bereits in früher Kindheit gestörtem Ernährungs- und Körperbewusstsein oder von der politischen Ökonomie der Droge nicht reden will, sollte auch in der Drogendebatte schweigen.

Kontrollierte Freigabe

Was also tun? Amendt gibt sich nüchtern und plädiert für praktische Vernunft. Der »Schlüssel zur Lösung des sogenannten Drogenproblems« sei die Aufhebung der Prohibition, die wohlüberlegte Legalisierung. Herstellung, Handel und Konsum sollen staatlich reguliert werden. Das Drogenmonopol solle beim Staat liegen, der unter Auflagen Lizenzen an Produzenten und Händler vergebe und die Auflagen überwache. In Amendts Szenario werden Drogen in speziellen Verkaufsstellen mit speziell ausgebildetem Personal (neue Drogerien) zu staatlich festgelegten und kontrollierten Preisen (mit nur einem geringen Steueranteil, um den Schwarzmarkt auszutrocknen) angeboten und einer aktiven Konsumentenkontrolle unterworfen. Ein Werbe- und Vermarktungsverbot für alle Drogen sei dazu ebenso unabdingbar wie ein Reinheitsgebot.
Dass solch praktische Vernunft trotz der ihr zugrunde liegenden Liberalität nicht ohne nachhaltige Brüche in der Gesellschaftsordnung abgehen wird, liegt für ihn auf der Hand. Legalisierung bedeutet die Enteignung von Drogenhändlern und Drogenkapital, die Konfrontation mit der Tabak- und Alkoholindustrie ebenso wie mit den Drogenkartellen und dem organisierten Verbrechen. Und auch ohne Konfrontation mit dem neoliberalen Deregulierungswahn der Machteliten, allen voran die UN und die USA, wird es dabei nicht abgehen.
Amendts Werk ist nicht nur ein schonungsloses Buch, indem er das ausspricht, was ist. Es ist auch ein machtvolles und überzeugendes Plädoyer für eine differenzierte Drogen-Freigabe. Es macht deutlich, wie eng sich das Drogenproblem mit unserer Gesellschaftsordnung verzahnt und wie stark sich ein gleichsam kulturrevolutionärer Aufbruch in diesem Bereich auch auf die Gesellschaft als ganze auswirken würde.
Günter Amendt ist provozierend nüchtern geworden. Wo er früher nie versäumte darauf hinzuweisen, dass es auch eine Kultur ohne Drogen geben muss und gab (Beispiel Arbeiterbewegungskultur), rationalisiert er nun nicht nur die gesellschaftliche Realität des letzten Jahrzehnts, sondern auch die individuelle Enttäuschung über seine eigene linke Vergangenheit. »Ohne Drogen keine Zukunft« sagt er, und dass er dies ernst meine. Auch wenn man die Hoffnung hat, dass dies nicht stimmt, die Konsequenz, die er daraus zieht, bleibt der Emanzipation des Menschen verpflichtet.

Christoph Jünke

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