SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 20

Mord & Totschlag

Jacques Berndorf, Die Raffkes, Grafit-Verlag 2003, 347 S., 9,90 Euro.,
Buddy Giovinazzo, Potsdamer Platz, Maas-Verlag 2003, 411 S., 13,80 Euro.

»Der neue Berndorf ist ausgeliefert, bitte besprechen«, lautet die telefonische Botschaft. Nach 11 Eifelkrimis hat Jacques Berndorf seinen Tatort aus der beunruhigenden Abgeschiedenheit des Westens nach Berlin verlegt und auch sein Personal gewechselt. Nicht Siggi Baumeister ermittelt in Die Raffkes, sondern Jochen Mann. Der ist junger Staatsanwalt — Bereich Jugendkriminalität — und wird von seiner Tante gedrängt, ein Gespräch mit einem hohen Berliner CDUler zu führen. Irgendwie soll es um die Bankgesellschaft gehen. Von dem, was sich da als Kompensationsgeschäft für die nach der Vereinigung weggefallenen Subventionen entwickelt hat, hat Mann keine Ahnung, er will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden, beruflich und privat. Damit ist es allerdings ab dem Zeitpunkt vorbei, wo aus dem Ort des halb konspirativen Treffens mit Dr.Sirtel ein Tatort geworden ist: eine Bombe hat das Restaurant zerstört und Sirtel ist eines der Opfer. Hier trifft Mann auf Erich Ziemann von der Kripo und der zieht die Unschuld vom Lande in eine neue Welt, die Manns Leben und seine Wahrnehmung der Hauptstadtwirklichkeit auf den Kopf stellt. Bei selbst gemachtem Tartar klärt das Ehepaar Ziemann den Novizen über die Geschäfte der Bankgesellschaft auf, über Immobilienfonds, die mit Objekten ohne finanzielle Substanz aufgefüllt werden, über garantierte Mieteinnahmen, die wiederum über Steuergelder abgesichert werden, über einen ersten Selbstmord, den einer begangen haben sollte, der reden wollte, über Oberstaatsanwälte und Generalstaatsanwälte, die den Geschäften der Bankgesellschaft nichts kriminelles abgewinnen können, und darüber, dass all dies in der Jungen Welt zu lesen gewesen wäre.
Kurz darauf ist Erich Ziemann tot, alle Dokumente seiner privaten Recherche sind verschwunden, und spätestens ab diesem Moment ist Mann dem Fall Bankgesellschaft verfallen. Mit Hilfe seiner auch im Immobiliengeschäft tätigen Tante, seiner neuen Geliebten und eines russischen Dons versucht er, einem nicht korrumpierten Polizeiklüngel zuzuarbeiten. Er durchstöbert die Welten der Berliner High Society, der Villenwitwen und derjenigen, die auch ohne klaren Auftrag wissen, dass sie jemanden umbringen sollen — und Mann kommt fast immer zu spät. Damit ist der Roman hart an der Realität.
Wer im Oktober den köstlichen Münster-Tatort »Dreimal schwarzer Kater« mit dem von Prahl/Liefers dargestellten Ermittlerduo gesehen hat, wird beim Lesen des roman noir Potsdamer Platz kaum glauben können, dass Autor und Regisseur identische Personen sind. Buddy Giovinazzos Krimi über die größte Baustelle der Republik erschlägt einen mit seiner Brutalität und Widerwärtigkeit. Auch hier geht es um einen Platz an der Sonne, um das Leben zerstörende Gerangel der Vereinigungsgewinnler Mitte der 90er Jahre: Ein aus der Türkei stammender Bauunternehmer, der zu Aufträgen am Potsdamer Platz gekommen ist, sieht sich deutsch-russischer Konkurrenz ausgesetzt. Um denen etwas entgegensetzen zu können, lädt er sich Hilfe aus den USA ein, eine befreundete Mafiasippe soll ein paar breite Schultern stellen. Aus New Jersey reisen Tony und Hardy ein, richten ein Massaker an und warten auf den Chef. Der kommt und will den ganzen Laden übernehmen. Die Globalisierung zwingt zum großen Sprung über den Teich und was liegt bei der Suche nach einer neuen Dependance nicht näher als Berlin. Nicht der Mangel an Entschlossenheit, nicht fehlende Waffen oder Manpower führt zu Problemen bei der feindlichen Übernahme: Die US-Profis kennen sich einfach nicht aus in und mit Berlin, sie kennen weder die hier lebenden Menschen noch ihre Geschichte. Trotz eines immer höheren Blutzolls klappt die Übernahme nicht, die Jäger werden zu Gejagten oder drehen, wie der Psychopath Hardy , vollkommen durch. Am Ende bleibt ein Schild: Willkommen in Polen.

Udo Bonn

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang