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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 4

Bildungsreform

SPD entdeckt die »Eliten« — und vergisst den Rest!

von TORSTEN BULTMANN

Bekanntlich hat die SPD schon einmal nach mehreren Legislaturperioden eine Regierungsmehrheit im Bundestag verloren. Bei der letzten »Wende« 1982/83 stellte die neu ins Amt gespülte CDU-Wissenschaftsministerin Dorothee Wilms ihre bildungspolitische Programmatik unter den Leitbegriffen Elite, Leistung, Wettbewerb vor. Diese richteten sich ausdrücklich und konfrontativ gegen politische Maximen von »Chancengleichheit«, »sozialer Durchlässigkeit« oder »Bildung für alle!«, an welche die damalige Öffentlichkeit infolge der Ersten Bildungsreform zumindest positiv gewohnt war. Das Elitemotiv galt daher gleichzeitig als bildungspolitischer Bestandteil der sog. »geistig-moralischen Wende« von Dr.Helmut Kohl. Diese versackte allerdings recht bald — zumindest in ihren kurzfristigen Vorhaben — und wurde zu einer ergiebigen Quelle des politischen Kabaretts. Das Projekt etwa, an den Hochschulen damals eine sog. Zwei-Klassen- Studienstruktur einzurichten, scheiterte auf der ganzen Linie. Damals!
Wenn nun nach mehr als 20 Jahren ausgerechnet die SPD eine bildungspolitische rhetorische »Innovationsoffensive« unter der Überschrift »Eliten« einleitet, mögen sich manche frage, ob diese Partei mittlerweile das Stadium vollendeter Traditions- und Begriffslosigkeit erreicht hat! Es gibt aber auch Unterschiede: Frühere Elitendebatten in der Bildungspolitik waren immer mit erklärenden und entschuldigenden Zusätzen verbunden: Das Thema »Eliten« müsse in Deutschland erst »enttabuisiert« werden usf.!
Davon ist der technokratische Pragmatismus, mit dem die SPD jetzt das Thema serviert, gänzlich frei. Dieser kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Reserviertheit gegenüber einem normativen Hantieren mit »Eliteförderung« in Deutschland berechtigte historische Gründe hat, die fortbestehen: In der deutschen Bildungstradition, die keine demokratische ist, taucht der Elitebegriff immer in Synthese mit Vorstellungen »natürlicher Ungleichheit« der Menschen auf. Er verband daher die obrigkeitsstaatliche Konstruktion ungleicher Bildungsmöglichkeiten (zwischen »Volksschule« und Universität) mit einer Naturalisierung gesellschaftlicher Unterschiede.
Bei Einwänden dieser Art stößt man immer reflexhaft auf die entwaffnende Gegenfrage, was man denn gegen »Spitzenleistungen« hätte? Darum geht es aber gar nicht. Der Elitebegriff ist kein Leistungsbegriff sondern ein Herrschaftsbegriff zur bildungspolitischen Legitimation gesellschaftlicher Hierarchien. Er macht nur Sinn in Gegenüberstellung zu seinem Gegenbegriff, dem der »Masse« . Der bildungspolitische Kontext ist daher auch immer der einer gewollten institutionellen Separierung ungleicher Chancen. Dabei muss zwangsläufig eine verschärfte Selektion stattfinden, deren (vorhersehbare!) Ergebnisse — »Masse« und »Elite« — ihre zugrunde liegenden Motive rechtfertigt. Ein tautologischer Zirkel!
Warum aber ausgerechnet jetzt diese abstruse Debatte? Im Neoliberalismus tritt an die Stelle der früheren ständisch-industriell-halbfeudalen deutschen Gesellschaftsgliederung der »Markt«. In dem Maße, wie dieser entfesselt wird, werden gesellschaftliche Ungleichheit und Armut verstärkt (Agenda 2010). Dies bedarf der Legitimation, welche durch eine künftige Bildungspolitik beschafft werden könnte, die — im optimalen Fall — alle sozialen Positionen auf Unterschiede an subjektiver Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, messbar etwa in verschieden wertigen Bildungsabschlüssen, zurückführt. Es gibt nichts Gerechteres auf der Welt! So gesehen heißt »Elitenförderung« heute nichts anderes als eine politisch in Kauf genommene Vergrößerung sozialer Abstände.
Man könnte es auch so formulieren: Die SPD weiß, dass in Folge ihrer eigenen Politik die soziale Polarisierung zunimmt, dass sogar der Konkurrenzkampf, im oberen sozialen Drittel mitzuspielen, immer härter wird — und sucht dafür eine »neue« bildungspolitische Legitimation unter Zugriff auf ein altes Motiv. Die Frage nach dem Verhältnis von strategischem Kalkül dabei und blindem Hineintappen in eine Debatte, in der die konservativ-neoliberale Diskurshegemonie schon vorher feststeht, ist schwer zu beantworten. Das ändert aber nichts an der gesellschaftlichen Wirkung.

Torsten Bultmann ist Bundesgeschäftsführer des BdWi.



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