SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2004, Seite 8

Gesundheitsversorgung im Revier

Vorbild oder Überversorgung?

Durststrecke oder Marktbereinigung, Umstrukturierung oder Ausverkauf — die Geschäftsführer in den Kliniken und Altenheimen des Ruhrgebiets sind sich nicht einig, wie sie ihre Beschäftigten auf die bevorstehende Krise einstimmen sollen. Sicher scheint nur: Das Jahr 2004 wird die Krise dramatisch verschärfen.
Wenn die NRW-Gesundheitsministerin Birgit Fischer gute Stimmung macht wie jüngst am 18.September beim 89.Unternehmertreff, dann trumpft sie mit eindrucksvollen Zahlen aus dem Ruhrgebiet auf. Fast 51000 Betten stehen in 133 Kliniken, was »in der Patientenversorgung einen Spitzenplatz in Europa bedeutet«. Hinzu kommen knapp 6000 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und 3000 Zahnärzte und Kieferorthopäden, rund 70 bio-medizinische Unternehmen und drei Universitäten mit medizinischen Fakultäten. »Die Gesundheitswirtschaft ist leistungsstarker Motor für den Aufschwung im Ruhrgebiet.«
Im Zusammenhang mit der aktuellen Runde der Krankenhausplanung in NRW deutet die Ministerin genau diesen »Spitzenplatz« ganz entgegengesetzt als »Überversorgung«. Seit Ende Dezember 2001 müssen die Krankenhäuser in regionalen Planungsrunden, moderiert von den Krankenkassen, sich selbst 9500 Betten wegstreichen. Lediglich eine »Grundversorgung« — wohnortnah im Umkreis von 20 Kilometern — soll es danach geben. Im Ballungszentrum zwischen Duisburg und Dortmund kann damit jedes Krankenhaus von seinen Konkurrenten auf die Abschussliste gesetzt werden.
Da unterbieten sich die Krankenhäuser gegenseitig mit Sonderangeboten an AOK, Barmer oder BKK. Sie treibt die Hoffnung, zum Schluss, wenn auch gerupft, so doch wenigstens zu den Überlebenden zu gehören. Und darum beschwören sie ihre Beschäftigten, mit gehörigen Opfern ihre Arbeitsplätze sichern zu helfen.
Die Hälfte der Häuser werden von kirchlichen Trägern betrieben. Die haben in diesem Preiskampf den Vorteil, ungebunden von Tarifverträgen und ungehindert durch Betriebs- oder Personalräte in die Abwärtsspirale abtauchen zu können. So konnte das evangelische Bethesda-Krankenhaus in Essen mit seiner Mitarbeitervertretung vereinbaren, die Arbeitszeit um eine Stunde in der Woche zu verlängern, das Weihnachtsgeld um 20% und den Monatslohn um 8% zu kürzen. Dagegen steht dort die zweifelhafte Hoffnung, wenigstens die Hälfte der Arbeitsplätze retten zu können.
Hierbei spielt der örtliche Bedarf an Gesundheitsversorgung, die Patienten und ihre Krankheiten, wenigstens als Idee noch eine Rolle. Im parallel bevorstehenden ersten Jahr der Einführung landesweit einheitlicher Preise für Krankenhausleistungen sortiert die unsichtbare Hand des Marktes. Ungeachtet der medizinischen und pflegerischen Kompetenz geraten jetzt die wirtschaftlich Schwächeren auf die schiefe Bahn; wer aber hat, dem wird gegeben.
Bei den im Revier niedergelassenen Ärzten können wir bereits heute beobachten, wie ungesund eine solche Steuerung über »monetäre Anreize« wirkt. Der Herner Statistiker Klaus Marquardt weist nach, Städte mit geringen durchschnittlichen Einkommen — wie Gelsenkirchen, Duisburg, Herne oder Oberhausen — haben auch eine kaum halb so dichte Ärzteversorgung wie z.B. Bonn, Düsseldorf oder Münster. Marquardt: »Bei mir entsteht der Eindruck, dass trotz einer gesetzlichen, verbandsrechtlichen und vertraglichen Regelung die Versorgung mit ambulanten ärztlichen Dienstleistungen ganz überwiegend vom Markt gesteuert wird. Ärztliche Praxen agieren als Unternehmen und orientieren sich wesentlich an Gewinnerwartungen und damit an der Kaufkraft der Bevölkerung.«
Nicht nur die Ärzte gehen nach Geld. Die privaten Klinikketten haben bislang einen Bogen um die Krankenhäuser des Ruhrgebiets gemacht. Doch sie stehen für ein Schnäppchen durchaus bereit. In Oberhausen kaufte sich Anfang 2003 die »Neue Pergamon« das bis dahin katholische St.-Elisabeth-Hospital. Bereits ein Jahr zuvor sicherte sich der MediClin-Konzern mit der Fachklinik Rhein- Ruhr in Kettwig am Essener Stadtrand nach eigenen Worten »eine Brückenkopffunktion — sowohl innerhalb des Ballungszentrums als auch für die Aktivitäten des Unternehmens in Nordrhein-Westfalen«. Auch die Helios-Kette hat nach dem St.-Josefs-Hospital in Bochum-Linden nun durch die jüngsten Übernahmen in Wuppertal und Schwelm mehr als einen Fuß in der Tür.
Es scheint nur noch eine Frage von 1—2 Jahren, bis die Krankenhauslandschaft im Revier ähnlich fest in privaten Händen ist wie heute schon die »Seniorenresidenzen«.

Tobias Michel

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