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Heiner Müller, der im Januar 75 geworden wäre, praktizierte einen melancholischen, unzeitgemäßen
Kommunismus. Zigarre paffend und Whisky trinkend, mit verrauchter, leiser Stimme formulierte er in stets langsamer, aber expressionistisch-brachialer Sprache
Argumente einer Radikalität, die gleichermaßen provozierte wie faszinierte. Als Dichter überließ er die Bedeutungsarbeit, mit
zunehmender Stagnation des DDR-Sozialismus, seinem Publikum; sein nachdramatisches Theater laborierte unentwegt an der Erblast des Stalinismus,
verstrickte sich in die Paradoxien von Geschichtsphilosophie und in die Widersprüchlichkeiten des steinigen Weges linker Emanzipation.
Im Zentrum seines Werks steht die schwierige Beziehung zwischen Subjektivität und
Kollektiv und die Gewaltförmigkeit, die der Geschichte der Revolutionen immer schon als Signatur eingraviert ist. Dahinter gibt es kein Zurück.
Den Katastrophen des 20.Jahrhunderts, davon war Müller fest überzeugt, ist jedenfalls nicht mit Moral beizukommen. Auch nicht mit einem
universal-abstrakten Humanismus, den sich die Linke gern als Deckmantel für Besserwisserei überzieht.
Seine literarische Produktion steht daher oft sehr zu Unrecht unter dem
Verdacht des Zynismus. Denn statt Zuflucht in utopische Gemeinschaftsversprechungen oder in die Einheit eines Werkganzen sucht Müllers mitunter
antidialektische Schreib- und Theatertechnik beständig den Prozess des Durcharbeitens der Erfahrungen der modernen Tötungsmaschinerien: die
staatliche Mobilmachung, der Terror der Arbeit, die kapitalistischen Verwertungsmechanismen, die Liquidierungspraxis des Stalinismus.
Am 9.Januar hatte in Berlin Müllers Revolutionsstück Der Auftrag Premiere,
inszeniert von Ulrich Mühe, dem engen Freund und Schauspieler zahlreicher Müller-Stücke eine Aufführung, die an
Einfallslosigkeit und Mangel an interpretatorischer Courage kaum zu überbieten ist.
Dabei hatte man alles bestens arrangiert im Berliner Westen, um die Kulturschickeria und die
hippe, schwarz bebrillte »Mitte« der Republik, zu hofieren. Doch mehr als Starbesetzung, deftige Sponsorengelder und aufwendige
Hochglanzbroschüre ist dem Bühnenstück an »Neuem« leider nicht abzugewinnen. Stattdessen gerät es vollends zum
Rezitativ.
Gerade weil Müllers Theater sich mit seinem ausgeprägten Zitatcharakter und
seiner verdichteten Textur konsequent der spätmodernen Krise der Repräsentation stellt, der Zirkulation und gleichzeitigen Verfügbarkeit von
Zeichen, Orten und Bildern, gerade deshalb hätten dramaturgische Aussparungen und Pointierungen wesentlich zur politischen Aktualisierung beitragen
können.
Das Drama, das auf Anna Seghers Erzählung Das Licht auf dem Galgen
zurückgeht, handelt vom Export der Revolution in die Dritte Welt. Drei Männer, Debuisson, Sohn eines Großgrundbesitzers, der bretonische
Bauer Galloudec und der Sklave Sasportas landen in Port Royal auf der Sklaveninsel Jamaika, um dort im Auftrag des jakobinischen Konvents eine
Sklavenrevolte gegen die britische Krone anzuzetteln. Doch ehe sie ihren revolutionären Auftrag erfüllen können, hat ihn der 18.Brumaire
bereits in den Papierkorb der Geschichte befördert. In Paris triumphiert in der Gestalt Napoleons die Reaktion und »die Freiheit trägt jetzt
Uniform«. Die Revolution macht auf halber Strecke halt, der Thermidor festigt die Interessen der Bourgeoisie.
So einfach der Plot für ein Müller-Stück auch gestrickt ist im
Vergleich etwa mit kryptisch-monologischen Stücken wie Hamletmaschine oder Bildbeschreibung , umso komplizierter gestaltet sich die
Anordnung verschiedener Diskurse, die sich im intertextuellen Gewebe des Theatertextes überlagern und verflüchtigen. Müllers Drama
inszeniert das Scheitern der historischen Avantgardekonzeptionen, das Versagen des linken Intellektuellen, der einst, mit Walter Benjamin gesprochen,
»Verrat an seiner Herkunftsklasse« beging, jetzt aber durch den politischen Kurswechsel problemlos in seine vormalige soziale Rolle
zurückfallen kann, »mit Erbrecht auf eine Plantage mit vierhundert Sklaven«. Die Lust an Privateigentum und Luxus obsiegt über
Vernunft und Askese der Revolution.
Mehr aber als das Thema des Verrats interessiert heute der Bezug zur Dritten Welt. Mit dem
Auftrag schrieb Müller ein Stück Welttheater, das in den 80er Jahren, in Zusammenarbeit mit Robert Wilson, im globalen Projekt der Civil Wars
mündete. Hier wird abgerechnet mit einem Politikverständnis der Stellvertretung, einem eurozentrischem Relikt, das sowohl das 68er
Sendungsbewusstsein für die Dritte Welt als auch die Vereinnahmung ihrer Befreiungsbewegungen durch stalinistische Regime prägte. Implizit
trifft dies allerdings auch die paternalistische Dritte-Welt-Soli diverser NGOs und das historische Scheitern eines Internationalismus, der sich stets als Sprachrohr
für die Dritte Welt verstanden hat, geleitet von der Anmaßung, Marginalisierte adäquat repräsentieren zu können.
Übrig bleibt am Ende allein der Revolutionär mit schwarzer Hautfarbe, der im
gespenstischen »Maskenspiel der Revolution« als einziger unmaskiert dasteht. Ihm ist durch seine koloniale Erfahrungswirklichkeit die Revolte
gleichsam auf den Leib geschrieben. Man könnte Müller hier eine essenzialistische Sicht auf die »fremde« Revolution unterstellen,
stark an der Grenze zum Exotismus, zum vitalistisch-körperlichen Klischee. Körperpolitisch, in deutlicher Anlehnung an Thesen Frantz Fanons,
zeigt das Stück das Scheitern der Verständigung zwischen Kolonialherren und Kolonisierten und das unüberbrückbare
Gewaltverhältnis zwischen beiden.
Doch ist es kein Zufall, dass gerade der Verräter Debuisson die folgenreichen Worte
ausspricht: »Das Theater der weißen Revolution ist zu Ende.« Was folgt, bleibt Theater. Dem vermeintlich »authentischen«
Aufstand der »Neger aller Rassen« ist von vornherein ein Moment der Inszenierung beigegeben, was im brechtschen Sinne Distanz
schafft und zur kritischen Reflexion ermächtigt. Von hier aus lässt sich der Bogen zu den heutigen Formen revolutionärer Politik in den
armen Ländern spannen. Nicht umsonst gehören Rollenspiele und ironische Brechungen, bei aller politischen Ernsthaftigkeit des antikapitalistischen
Aufstands, zur zeitgemäßen Guerillatechnik, wie das Beispiel der Zapatistas zeigt.
Es ist der Müller-Satz überliefert, dass, solange Shakespeare immer noch unsere
Stücke schreibe, wir nicht bei uns angekommen seien. Müllers Auftrag, das passende Stück also zur kapitalistischen Globalisierung? Mit der
Problematisierung der revolutionären Praxis in einer internationalen Kapitalformation, die kein nichtkapitalistisches Außen mehr kennt, weist das
Stück 1980 bereits über die Blockkonfrontation des Kalten Krieges hinaus. Der Auftrag markiert den Riss zwischen zwei Epochen: dem Kalten
Krieg und der neokolonialen Weltordnung des globalen Kapitalismus. Zu dieser »globalen Differenz« der kapitalistischen Globalisierungstendenzen
vermerkte Heiner Müller kurz vor dem Untergang des Staates, an dem seine gesamte intellektuelle Produktion hing: »Nur dass eben auch
Solidarität neu definiert werden muss im Zusammenhang von Interdependenz und Regionalisierung. Als Alibi für das Zudecken und
Verdrängen eigener Probleme war sie schon immer eine Phrase.«
An den Bruchstellen von Müllers geschichtsbesessenen Dramen öffnet sich ein
prekärer Raum von Widerständigkeit, die nicht delegiert werden kann, weder an die Partei noch an andere Stellvertreter. Oder wie es die
globalisierungskritische Aktivistin Arundhati Roy vor kurzem auf dem Weltsozialforum in Bombay formulierte: »Wenn wir wirklich gegen Imperialismus
und Neoliberalismus sind, dann müssen wir nicht nur den Widerstand im Irak unterstützen, wir müssen selbst zum Widerstand im Irak
werden.« Eine Kriegserklärung gegen den Neoliberalismus. Nur dass leider nichts von all dem im Berliner Schauspielhaus zu sehen war. Statt dem
im Stück geforderten »Krieg der Landschaften« bot sich vor marsroter, posthistorischer Trümmerkulisse hoffnungsloser Rost.
Schiffbruch mit Zuschauer.
Patrick Ramponi
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