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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, Seite 4

Wechsel des SPD-Parteivorsitzes:

Spiel über Bande

von DANIEL KREUTZ

In der öffentlichen Diskussion überwiegen Deutungen, wonach der Wechsel zu Franz Müntefering als »Schwächung des Reformkurses« zu verstehen sei. Die harsche Reaktion Clements, des neoliberalen Motors der postsozialdemokratischen Regierungspolitik, scheint dies zu bestätigen. Meine persönliche Erfahrung mit »professioneller« Politik, Müntefering und Clement spricht eher dafür, dass es der SPD-Spitze insgesamt um den einzig aussichtsreichen Versuch geht, dem »Reformkurs« für die Bundestagswahl 2006 wieder Wasser unterm Kiel zu verschaffen.
Die Rücksichtslosigkeit des »Basta!«-Kanzlers bei der Exekution von Reformen, die die altsozialdemokratischen Grundwerte der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarpflicht der Starken gegenüber den Schwachen mit Füßen treten und dahin tendieren, die sozialdemokratischen Errungenschaften des 20.Jahrhunderts auszulöschen, führt offensichtlich zu dem Dilemma, dass mit kaputter Partei und flüchtender Wählerschaft auch der härteste »Reformer« nichts mehr bewegen kann. Auch Clement weiß: sein marktradikales Konzept bleibt darauf angewiesen, dass andere den Laden zusammen halten und Wahlkämpfer und Wähler motivieren. Unvermeidliche Konzessionen an das Gerechtigkeitsempfinden dürfen nur nicht so weit gehen, dass die Richtung in Frage stünde.
Der verbliebene »Sozialflügel« der SPD bietet gute Voraussetzungen, dass eine Strategie symbolischer Befriedung des sozialdemokratischen Gewissens gelingen kann. Ein gewichtiger Faktor im Machtgefüge der Partei ist er längst nicht mehr. Auch SPD-Parteitage haben den »Reformkurs« stets mit erdrückenden Mehrheiten und ohne ernste Herausforderung abgesegnet. Offene Kritik am Kurs beschränkt sich unter sorgsamer Umgehung der Richtungsfragen auf symbolische Details.
»Der Franz« ist selbst ein Symbol. Seine Aura aus NRW-Zeiten, für »was anderes« zu stehen als Clement, wirkt auch dann noch, wenn er nicht müde wird, auf die Fortsetzung des Agenda-Kurses zu drängen. Gerade Clements Reaktion stärkt seine »soziale Glaubwürdigkeit«. Das Spiel geht ähnlich wie in der Tarifpolitik, wo Krokodilstränen der Arbeitgeber der beste Beitrag dazu sind, der gewerkschaftlichen Mitgliedschaft eine Niederlage als Erfolg zu verkaufen. Schon mit Beginn der Debatte stiegen die Umfragewerte der SPD.
Schon sprachlich hat Münteferings »Tempo raus« mit »Kursänderung« nichts zu tun. Der Reformkanzler selbst hat die Agenda-Reform bei der Pflege verzögert. An der Richtung der laufenden Reformen gegen die Rente wird nicht gerüttelt. Mit diesen Vorhaben ist aber die aktuelle Agenda der Sozialreformen erschöpft. »Tempo raus« entspricht dem ohnehin zu erwartenden Verlauf auf 2006 zu. Dass auch SPD-Landeschefs vom »Reform«-Flügel vor Wahlen fürs Soziale blinken — gestern Sigmar Gabriel (Vermögensteuer), derzeit Harald Schartau (Betriebsrente) — ist Routine.
Zu den thematischen Symbolen zählt gegenwärtig die Debatte um die Ausbildungsabgabe. Schleierhaft, warum Medien die aktuelle Diskussion als Indiz einer drohenden »Kurskorrektur« werten. Schließlich war die Abgabe Teil von Schröders Agenda-Rede vom März 2003 — als Drohgebärde, um die Wirtschaft zu Zugeständnissen zu bringen, deren Symbolkraft ausreicht, um den Verzicht auf die Abgabe vertretbar zu machen.
In NRW hat Rot-Grün Mitte der 90er Jahre die Wirtschaft mit der Abgabendrohung in den Ausbildungskonsens NRW mit den Gewerkschaften genötigt — und damit den DGB dazu gebracht, seine Forderung einzumotten. Zwar blieb der Ausbildungsstellenmarkt katastrophal, doch galt vorerst der Grundsatz der Politprofis: Entscheidend sind nicht die Zahlen, sondern dass die Menschen das Gefühl haben, dass dran gearbeitet wird. Warum sollte die SPD-Spitze kein Remake dieser Erfolgsstrategie versuchen? Und mit der Drohphrase der »sozialdemokratischen Seele« zur Illusion einer Konfrontation mit dem Kapital verhelfen? Mit Bedacht formulierte »Münte«, dass über die Abgabe (wie über die Erbschaftsteuer) »gesprochen« werden müsse.
Wenn die Post-Sozialdemokratie eine Chance hat, wie 2002 die Aufholjagd aus der Defensive heraus am Ende doch zu gewinnen, dann nur mit symbolischer Integration des Sozialen. Mit »Bürgerversicherung statt Kopfpauschale« und »Rettung der Tarifautonomie« lässt sich die Illusion eines Lagerwahlkampfs »Sozial gegen Unsozial« allemal inszenieren. Mit der Rochade an der Spitze beginnt ein Spiel über Bande, um die »Reformregierung« vor dem gefährlichen Akzeptanzverlust zu retten.

Daniel Kreutz war von 1990 bis 2000 sozialpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion in NRW und ist seither parteilos.



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