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Was Medienmacht bedeutet, erfahren zur Zeit deren Macher: Die Redakteurinnen und Redakteure an den Tageszeitungen, die
streiken. Zeitweise waren (und sind) mehr als 3000 der rund 14000 deutschen Tageszeitungsjournalisten im Ausstand. Betroffen sind bundesweit rund 100
Zeitungshäuser. Ein Tarifkonflikt, der seit August 2003 läuft. Der sich verhalten mit drei Warnstreiks gesteigert hat und der nach einer
Urabstimmung seit dem 28.Januar in etlichen Redaktionen in einen flexibel geführten unbefristeten Streik übergegangen ist.
Dieses Ereignis ist alles andere als alltäglich. Doch es wird (fast) totgeschwiegen. Die
Zeitungen und die kommerziellen (TV-)Sender scheinen einen Informationsboykott über den Streik verhängt zu haben, den nur der öffentlich-
rechtliche Rundfunk ab und an aufbricht.
Dabei wurden selbst Optimisten von der Kraft der Bewegung überrascht. Noch vor
wenigen Wochen hätten es weder die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU) in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) noch
der konkurrierende Deutsche Journalistenverband (DJV) für möglich gehalten, dass sie gemeinsam eine kleine Sensation schaffen würden:
Die größte und längste Streikbewegung, die es in Deutschland je unter Redakteuren gegeben hat.
Die empören sich, weil die Verleger bei ihnen kräftig Kasse machen wollen:
Obwohl die meisten Zeitungen weiterhin (teilweise zweistellige) Renditen erzielen, wollen sie die Gunst der Wirtschaftskrise nutzen. Ihr als
»habgierig« empfundenes »Angebot« lautet, die Redakteurstarife um bis zu 20% im materiellen Volumen zu verschlechtern: Streichung
von bis zu fünf Urlaubstagen, 32% weniger Urlaubsgeld, Einschränkung der urheberrechtlichen Vergütungsansprüche, unbezahlte
Verlängerung der Wochenarbeitszeit von 36,5 auf 40 Stunden, Nullrunden beim Gehalt, Streichung einer Gehaltsstaffel und weit gefasste
Öffnungsklauseln nicht nur für in Not geratene Betriebe.
Das hat den Langmut vieler Redakteure überfordert, die bislang alles andere als eine
Speerspitze gewerkschaftlicher Interessenvertretung waren: »Je mehr sie zu industriellen Warenproduzenten werden, um so mehr suchen sie Zuflucht bei
Statusideologien«, hatte Bodo Zeuner 1972 nach dem gescheiterten Kampf der Spiegel-Redaktion um (publizistische) Mitbestimmung die vorherrschende
Bewusstseinslage von Redakteuren analysiert. An diesem Befund schien sich lange nichts jedenfalls nichts zum Besseren geändert zu
haben. Das Arbeitnehmerbewusstsein von Redakteurinnen und Redakteuren ist unterentwickelt. Die ideologische Offensive der Neoliberalen in den 90er Jahren
hat gewerkschaftliche Arbeit in den Redaktionen noch schwerer gemacht.
Doch das Sein dringt eben doch immer wieder auf verschlungenen Wegen in das ideologisch
verstopfte Bewusstsein. Schleichend hat sich in den vergangenen Jahren das Berufsbild der Redakteure verändert. Sie müssen rund um die Uhr
einsetzbar sein. Freiräume schrumpfen. Die neoliberale Formierung beschneidet publizistische Pluralität. Stress durch flexible Arbeitszeiten und
Arbeitsverdichtung nimmt zu. Das weckt Gedanken, sich wehren zu müssen. Antigewerkschaftliche Vorbehalte schwinden. Menschen, denen anfangs
selbst die Ver.di-Fahne als zu rotes Tuch erschien, sind streikend dabei, ihre Vorurteile zu revidieren. Die Politisierung wächst.
Ökonomischen Schaden können die Redakteure kaum anrichten. Dafür ist
die Zahl der Streikbrecher zu hoch. Zudem ist die digitale Technik zu weit fortgeschritten, als dass starke Arme die Rotationen schnell stillstehen lassen
könnten. Selbst Zeitungen, bei denen wie in Bremen von 120 Redakteurinnen und Redakteuren 100 seit nunmehr länger als 20 Tagen streiken,
erscheinen weiterhin täglich, wenn auch in mieser Qualität. Selbst wenn wie mehrfach geschehen Drucker und Verlagsangestellte in
Solidaritätsstreiks treten kann die voll computerisierte Produktion von leitenden Angestellten mit nur geringer Chaosrate vorübergehend
fortgesetzt werden. Die Zeiten, da die (wegrationalisierten) kampfstarken Setzer das technologisch entscheidende Nadelöhr jeder Zeitungsproduktion
waren, sind längst vorbei.
Doch die Solidarisierungen, die es zwischen Verlag, Technik und Redaktion gegeben hat,
müssen den Medienunternehmern Sorge bereiten: Selbst wenn der Redakteursstreik scheitern sollte, wäre er nicht erfolglos: alle anderen
Beschäftigten in den Zeitungshäusern, die in den nächsten Monaten ihre separaten Tarife verhandeln müssen, wissen nun, was ihnen
blüht und wer versprochen hat, ihnen zu helfen: Redakteure, die gerade am eigenen Leib die Mechanismen der von Hans Magnus Enzensberger
beschriebenen »Bewusstseinsindustrie« erfahren: »Wer Herr und wer Knecht ist, das entscheidet sich nicht nur daran, wer über Kapital,
Fabriken und Waffen, sondern auch, je länger je deutlicher, daran, wer über das Bewusstsein der anderen verfügen kann.«
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