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In der Nacht vom 11. auf den 12.Februar einigten sich die Bezirksleitung der IG Metall Baden-Württemberg und
Südwestmetall auf ein Tarifabkommen und beendeten damit auch eine beeindruckende, nach wie vor ansteigende Warnstreikwelle in den Betrieben.
500000 Metaller hatten sich bundesweit an Warnstreiks beteiligt.
»Einkommen gesichert, keine unbezahlte Mehrarbeit!«, titelten die Metall-Nachrichten vom 13.2.; sie ziehen eine
erwartungsgemäss positive Bilanz für die IG Metall.
Im Unternehmerlager, bei Regierung und Opposition fallen die Bilanzen unterschiedlich aus:
Zufriedenheit bei Schröder und der CDU, zurückhaltende Zustimmung bei Gesamtmetall-Chef Kannegiesser. »Ein tarifpolitisches
Waterloo« für die Metallunternehmer stöhnte dagegen der Kommentator der FAZ, und meinte: »Die Niederlage der Arbeitgeber ist
vernichtend, und nirgendwo ist Hilfe in Sicht.«
Maßgeblich für eine realistische Einschätzung ist selbstverständlich weder die Presseschau der herrschenden Kreise noch die
Außendarstellung der IG-Metall-Führung. Vielmehr sind die Gesamtsituation vor und während der Tarifrunde, deren Verlauf und die
Ergebnisse im Detail zu betrachten.
Die Diskussion um die Höhe der Tarifforderung im Herbst 2003 stand noch ganz im
Zeichen der desaströsen Beendigung des Oststreiks und der darauf folgenden öffentlichen Schlammschlacht der sog. »Modernisierer«
in der IG-Metall-Führung. Die von Spitzen-IG-Metallern selbst ausgerufene »historische Niederlage« war, völlig unabhängig
vom Realitätsgehalt dieser Bewertung, zur Self-fulfilling Prophecy geworden und beschädigte das Selbstbewusstsein im Apparat massiv. Die
Lohntarifrunde sollte deshalb, so das Drehbuch der IG-Metall-Spitze, als ruhige sachorientierte Verhandlung mit einer bescheidenen Forderung über die
Bühne gehen.
Konfliktvermeidung stand ganz oben auf der Prioritätenliste. Auch an der Basis wirkte
das Desaster nach und führte, gespeist auch aus der allgemeinen Krisenangst, zu großer Verunsicherung. Die Folge war, dass selbst aus den
süddeutschen Großbetrieben heraus kaum Druck für eine höhere Forderung als die vorgegebenen 4% entstand. Das zaghafte Konzept
wurde jedoch von den Metallunternehmern, die Rückenwind aus Regierung und Opposition verspürten, mit bisher unüblicher
Aggressivität vom Tisch gewischt. Ihre Gegenforderungen nach z. T. unbezahlter Verlängerung der Arbeitszeit, Abschaffung der bindenden
tariflichen Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche und Verlagerung der Regelungskompetenz in die Betriebe sind nur erklärbar aus einer Verkennung des
Kräfteverhältnisses: Eine solche Niederlage in offener Auseinandersetzung ist nur einer von der Spitze bis an die Basis angezählten
Organisation beizubringen.
Die Massivität der Warnstreikwelle, der Zorn in den Betrieben, den die Forderung nach
Unterwerfung auslöste, lehrte die Strategen von Gesamtmetall ein weiteres Mal, dass es ein folgenschwerer Irrtum sein kann, aus dem zaghaften
Erscheinungsbild der Führung der IG Metall allzu schnell auch auf eine Kampfunfähigkeit an der Basis der Organisation zu schließen. Die
Streikbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen wuchs von Tag zu Tag. Otmar Zwiebelhofer, Verhandlungsführer von Südwestmetall, konstatierte
besorgt, die Warnstreiks hätten schon den »Charakter eines Erzwingungsstreiks«.
Die führenden Tarifpolitiker der IG Metall, Gefangene ihres eigenen zaghaften
Konzepts, beantworteten dagegen die Unternehmerprovokation mit Beschwichtigungsversuchen. Vielzitiertes Beispiel dafür ist Bertold Hubers
Bekenntnis, man sei doch »offen wie ein Scheunentor« für weitere Flexibilisierung, bloss unbezahlte Arbeitszeitverlängerung sei nicht
akzeptabel.
Die unerwartet schnelle Entwicklung der Kampfbereitschaft in den Belegschaften, die ersten
sichtbaren Haarrisse in der Betonwand der veröffentlichten Meinung, die Bündnispartner bei den Redakteuren im Arbeitskampf gegen
ähnliche Zumutungen, und andere günstige äussere Faktoren lassen die Einschätzung zu: Die IG Metall hätte, bei weiterer
Eskalierung der Auseinandersetzung, gestützt auf eine wachsende Kampfkraft und wiederentstehendes Selbsbewusstsein, aus dieser Tarifrunde ohne jede
Konzession in der Arbeitszeitfrage und deutlich gestärkt hervorgehen können.
Dass die Verhandlungsführer dies nicht versucht haben, sondern lieber einen schnellen Abschluss inklusive Öffnungsklauseln für
Arbeitszeitverlängerung wollten, liegt nicht einfach an ihrer Zaghaftigkeit und Scheu vor tendenziell schwer steuerbaren Massenmobilisierungen. Im
Pforzheimer Verhandlungsergebnis werden gemeinsame Positionen von Südwestmetall und IG Metall formuliert, die man nicht mehr als folgenlose
»Tarifvertragslyrik« abtun kann: Mit Bekenntnissen zur Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsbedingungen (!) wird hier
das »Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit« per Tarifvertrag festgeschrieben.
Diesem Ziel dienen auch die Öffnungsklauseln in Richtung verlängerter
Arbeitszeiten. War in den Arbeitszeitdiskussionen in der IG Metall in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert worden, die 40-Stünder-Quote von
18% (18% der Belegschaften, die abweichend vom Tarifvertrag 40 Stunden arbeiten können) müsse reduziert und wirksame
Kontrollmöglichkeiten für deren Einhaltung durchgesetzt werden, so geht die Vereinbarung von Pforzheim in die entgegengesetzte Richtung.
Die Möglichkeiten, längere Arbeitszeiten als 35 Stunden einzuführen,
werden ausgeweitet. Dass in Betrieben mit hochqualifizierter Belegschaft (mit über 50% der Beschäftigten in den Gehaltsgruppen T6/K6 und
höher) eine 40-Stünder-Quote bis zu 50% vereinbart werden darf, wird in all den Betrieben, wo die 18% bisher gehalten oder unterschritten wurden,
einen Anpassungsdruck nach oben erzeugen. Zumal die Kontrollmöglichkeiten für Betriebsräte über die Einhaltung der Quote nur
für Betriebe mit einer erhöhten Quote festgelegt wurden.
Weiter erlaubt das Tarifabkommen auch für Betriebe mit einer niedrigeren
Gehaltsstruktur die Erhöhung der 40-Stünder-Quote, »um Innovationsprozesse zu ermöglichen oder Fachkräftemangel zu
begegnen«. Die IG Metall soll solche Erhöhungen vereinbaren, wenn die Betriebsparteien dies beantragen. Dass dies ebenfalls den Druck auf
Verlängerung der Arbeitszeiten nicht begrenzen, sondern erhöhen wird, ist offensichtlich. Die im Pforzheimer Ergebnis gemachten Konzessionen an
die Arbeitszeitforderungen der Unternehmer sind, zusammengefasst, zwar nicht der Dammbruch bei der 35-Stunden-Woche. Es sind jedoch weitere Bohrungen
in einem bereits löchrigen Damm, der bekanntlich erst dann bricht, wenn die Erosion an den Bohrstellen eine gewisse Größe erreicht hat.
Der von den Unternehmern versuchte Einsatz des arbeitszeitpolitischen »Daisy
Cutter« wurde mit der Kampfkraft der Metaller zwar erfolgreich verhindert in den nächsten Jahren werden es die IG Metall und die
Beschäftigten in den Betrieben dafür mit Zeitbomben und Tretminen zu tun bekommen.
Tom Adler
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