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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, Seite 6

Metalltarifrunde:

Bohrungen im löchrigen Damm

In der Nacht vom 11. auf den 12.Februar einigten sich die Bezirksleitung der IG Metall Baden-Württemberg und Südwestmetall auf ein Tarifabkommen und beendeten damit auch eine beeindruckende, nach wie vor ansteigende Warnstreikwelle in den Betrieben. 500000 Metaller hatten sich bundesweit an Warnstreiks beteiligt.

»Einkommen gesichert, keine unbezahlte Mehrarbeit!«, titelten die Metall-Nachrichten vom 13.2.; sie ziehen eine erwartungsgemäss positive Bilanz für die IG Metall.
Im Unternehmerlager, bei Regierung und Opposition fallen die Bilanzen unterschiedlich aus: Zufriedenheit bei Schröder und der CDU, zurückhaltende Zustimmung bei Gesamtmetall-Chef Kannegiesser. »Ein tarifpolitisches Waterloo« für die Metallunternehmer stöhnte dagegen der Kommentator der FAZ, und meinte: »Die Niederlage der Arbeitgeber ist vernichtend, und nirgendwo ist Hilfe in Sicht.«

Offen wie ein Scheunentor

Maßgeblich für eine realistische Einschätzung ist selbstverständlich weder die Presseschau der herrschenden Kreise noch die Außendarstellung der IG-Metall-Führung. Vielmehr sind die Gesamtsituation vor und während der Tarifrunde, deren Verlauf und die Ergebnisse im Detail zu betrachten.
Die Diskussion um die Höhe der Tarifforderung im Herbst 2003 stand noch ganz im Zeichen der desaströsen Beendigung des Oststreiks und der darauf folgenden öffentlichen Schlammschlacht der sog. »Modernisierer« in der IG-Metall-Führung. Die von Spitzen-IG-Metallern selbst ausgerufene »historische Niederlage« war, völlig unabhängig vom Realitätsgehalt dieser Bewertung, zur Self-fulfilling Prophecy geworden und beschädigte das Selbstbewusstsein im Apparat massiv. Die Lohntarifrunde sollte deshalb, so das Drehbuch der IG-Metall-Spitze, als ruhige sachorientierte Verhandlung mit einer bescheidenen Forderung über die Bühne gehen.
Konfliktvermeidung stand ganz oben auf der Prioritätenliste. Auch an der Basis wirkte das Desaster nach und führte, gespeist auch aus der allgemeinen Krisenangst, zu großer Verunsicherung. Die Folge war, dass selbst aus den süddeutschen Großbetrieben heraus kaum Druck für eine höhere Forderung als die vorgegebenen 4% entstand. Das zaghafte Konzept wurde jedoch von den Metallunternehmern, die Rückenwind aus Regierung und Opposition verspürten, mit bisher unüblicher Aggressivität vom Tisch gewischt. Ihre Gegenforderungen nach z. T. unbezahlter Verlängerung der Arbeitszeit, Abschaffung der bindenden tariflichen Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche und Verlagerung der Regelungskompetenz in die Betriebe sind nur erklärbar aus einer Verkennung des Kräfteverhältnisses: Eine solche Niederlage in offener Auseinandersetzung ist nur einer von der Spitze bis an die Basis angezählten Organisation beizubringen.
Die Massivität der Warnstreikwelle, der Zorn in den Betrieben, den die Forderung nach Unterwerfung auslöste, lehrte die Strategen von Gesamtmetall ein weiteres Mal, dass es ein folgenschwerer Irrtum sein kann, aus dem zaghaften Erscheinungsbild der Führung der IG Metall allzu schnell auch auf eine Kampfunfähigkeit an der Basis der Organisation zu schließen. Die Streikbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen wuchs von Tag zu Tag. Otmar Zwiebelhofer, Verhandlungsführer von Südwestmetall, konstatierte besorgt, die Warnstreiks hätten schon den »Charakter eines Erzwingungsstreiks«.
Die führenden Tarifpolitiker der IG Metall, Gefangene ihres eigenen zaghaften Konzepts, beantworteten dagegen die Unternehmerprovokation mit Beschwichtigungsversuchen. Vielzitiertes Beispiel dafür ist Bertold Hubers Bekenntnis, man sei doch »offen wie ein Scheunentor« für weitere Flexibilisierung, bloss unbezahlte Arbeitszeitverlängerung sei nicht akzeptabel.
Die unerwartet schnelle Entwicklung der Kampfbereitschaft in den Belegschaften, die ersten sichtbaren Haarrisse in der Betonwand der veröffentlichten Meinung, die Bündnispartner bei den Redakteuren im Arbeitskampf gegen ähnliche Zumutungen, und andere günstige äussere Faktoren lassen die Einschätzung zu: Die IG Metall hätte, bei weiterer Eskalierung der Auseinandersetzung, gestützt auf eine wachsende Kampfkraft und wiederentstehendes Selbsbewusstsein, aus dieser Tarifrunde ohne jede Konzession in der Arbeitszeitfrage und deutlich gestärkt hervorgehen können.

Wettbewerbsfähigkeit festgeschrieben

Dass die Verhandlungsführer dies nicht versucht haben, sondern lieber einen schnellen Abschluss inklusive Öffnungsklauseln für Arbeitszeitverlängerung wollten, liegt nicht einfach an ihrer Zaghaftigkeit und Scheu vor tendenziell schwer steuerbaren Massenmobilisierungen. Im Pforzheimer Verhandlungsergebnis werden gemeinsame Positionen von Südwestmetall und IG Metall formuliert, die man nicht mehr als folgenlose »Tarifvertragslyrik« abtun kann: Mit Bekenntnissen zur Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsbedingungen (!) wird hier das »Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit« per Tarifvertrag festgeschrieben.
Diesem Ziel dienen auch die Öffnungsklauseln in Richtung verlängerter Arbeitszeiten. War in den Arbeitszeitdiskussionen in der IG Metall in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert worden, die 40-Stünder-Quote von 18% (18% der Belegschaften, die abweichend vom Tarifvertrag 40 Stunden arbeiten können) müsse reduziert und wirksame Kontrollmöglichkeiten für deren Einhaltung durchgesetzt werden, so geht die Vereinbarung von Pforzheim in die entgegengesetzte Richtung.
Die Möglichkeiten, längere Arbeitszeiten als 35 Stunden einzuführen, werden ausgeweitet. Dass in Betrieben mit hochqualifizierter Belegschaft (mit über 50% der Beschäftigten in den Gehaltsgruppen T6/K6 und höher) eine 40-Stünder-Quote bis zu 50% vereinbart werden darf, wird in all den Betrieben, wo die 18% bisher gehalten oder unterschritten wurden, einen Anpassungsdruck nach oben erzeugen. Zumal die Kontrollmöglichkeiten für Betriebsräte über die Einhaltung der Quote nur für Betriebe mit einer erhöhten Quote festgelegt wurden.
Weiter erlaubt das Tarifabkommen auch für Betriebe mit einer niedrigeren Gehaltsstruktur die Erhöhung der 40-Stünder-Quote, »um Innovationsprozesse zu ermöglichen oder Fachkräftemangel zu begegnen«. Die IG Metall soll solche Erhöhungen vereinbaren, wenn die Betriebsparteien dies beantragen. Dass dies ebenfalls den Druck auf Verlängerung der Arbeitszeiten nicht begrenzen, sondern erhöhen wird, ist offensichtlich. Die im Pforzheimer Ergebnis gemachten Konzessionen an die Arbeitszeitforderungen der Unternehmer sind, zusammengefasst, zwar nicht der Dammbruch bei der 35-Stunden-Woche. Es sind jedoch weitere Bohrungen in einem bereits löchrigen Damm, der bekanntlich erst dann bricht, wenn die Erosion an den Bohrstellen eine gewisse Größe erreicht hat.
Der von den Unternehmern versuchte Einsatz des arbeitszeitpolitischen »Daisy Cutter« wurde mit der Kampfkraft der Metaller zwar erfolgreich verhindert — in den nächsten Jahren werden es die IG Metall und die Beschäftigten in den Betrieben dafür mit Zeitbomben und Tretminen zu tun bekommen.

Tom Adler

Tom Adler ist Betriebsrat bei Daimler in Stuttgart.



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