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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, Seite 7

Die neuen Raffkes

Die Gentlemen bitten zur Kasse

Zwei Affären der letzten Wochen werfen ein bezeichnendes Licht auf Denk- und Verhaltensformen der selbsterklärten Eliten in einer Gesellschaft mit neoliberaler Schlagseite.
Insgesamt flossen bei der feindlichen Übernahme von Mannesmann durch den britischen Mobilfunkgiganten Vodafone ca. 110 Mio. Mark in verschiedene Taschen. Den Löwenanteil, rund 60 Mio. Mark, sicherte sich Klaus Esser, bis dahin Vorstandsvorsitzender der Mannesmann AG. Der zuständige Aufsichtsratsausschuss segnete die Abfindungen ab. Im Gegenzug erhielt der damalige Aufsichtsratsvorsitzende, Joachim Funk, eine Anerkennungsprämie von rund 10 Mio. DM.

Klaus Esser: Pokern als Spitzenleistung?

Dass sich Esser und Co. überhaupt, und dann noch vor Gericht, für diesen durchaus nicht einzigartigen Fall von schamloser Selbstbedienung verantworten müssen, empört die feinen Herren sehr. Esser sprach empört von »übler Nachrede« und behauptete allen Ernstes, die 60 Mio. seien »gutes Geld für gute Arbeit«. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sekundierte: »Wir haben uns vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit leiten lassen.«
Essers Leistung soll darin bestehen, dass er im Verlauf des Übernahmepokers den Aktienwert von Mannesmann um ca. 100 Mrd. Mark gesteigert habe. Dabei unterschlagen Esser und Co. einige interessante Umstände. Die Übernahme erfolgte vor dem Hintergrund des beginnenden Börsenhypes um Technologiewerte. Dass dabei auch der Kurs des Mobilfunkunternehmens Mannesmann nach oben gespült wurde, hat wenig mit irgendwelchen »Leistungen« Essers zu tun.
Durch Übernahmegerüchte gewann der Kurs von Mannesmann zusätzlich an Schwung. Das ist normal und keine besondere Leistung Essers. Zudem war klar, dass auf das Hochtreiben des Börsenkurses der Absturz folgen würde. Das Einzige, was man Esser zugute halten kann, ist, dass er wie ein Pokerspieler gut gereizt hat. Ist das aber eine »Leistung«, die 60 Mio. Mark wert ist?
Jedem Lohnabhängigen in diesem Land muss das die Zornesröte ins Gesicht treiben. Unter Berufung auf Esser könnte jeder Trickbetrüger an der Haustüre sein Treiben rechtfertigen. Schließlich erbringt auch er eine Leistung, die der Essers nicht unähnlich ist — er zieht leichtgläubigen Menschen mit viel Geschick das Geld aus der Tasche. Je höher die Abzocke, desto besser die Leistung. In Zeiten des Shareholderkapitalismus ist der Unterschied zwischen Spitzenmanager und Trickbetrüger nur ein gradueller.

Florian Gerster: Gnadenlos gegen Arbeitslose

Florian Gerster ist im Vergleich zu Esser eine kleine Nummer. Aber auch er wollte Manager sein. Schon bei seiner Inthronisierung als Chef der Bundesanstalt für Arbeit machte er das deutlich. Als erstes setzte er eine Verdoppelung seines Gehalts auf 250000 Euro durch. Um Managerdynamik zu demonstrieren, ließ er sogleich seine Untergebenen wissen, die Hälfte von ihnen (45000) sei überflüssig.
Sein besonderes Markenzeichen war Gnadenlosigkeit gegenüber Erwerbslosen: Er krempelte die Behörde, deren ursprüngliche Funktion in der Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Fortbildung bestand, in eine Institution zur Drangsalierung von Erwerbslosen um: Weiterbildungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden drastisch zurückgefahren.
Besonderes Merkmal der Ära Gerster aber ist die brutale Verhängung von Sperrzeiten: Sie stiegen im Jahr 2003 um 180%. Das kommt nicht daher, dass die Arbeitslosen weniger arbeitswillig geworden seien. Verantwortlich ist die neue Vorgabe an die Bundesagentur, soviel Erwerbslose wie möglich nicht in eine existenzsichernde Arbeit zu bringen, sondern aus dem Leistungsbezug zu drängen. Die Willkür der Sachbearbeiter hat massiv zugenommen und »Versäumnisse« werden nunmehr auch konstruiert.

Roland Berger & Co

Während Erwerbslosen die Daumenschrauben angelegt werden, wurde parallel dazu über die sogenannten Beraterfirmen mit dem Füllhorn das Geld ausgeschüttet. Unter Umgehung des Vergaberechts wurden ihm die staatlichen Aufgaben zugeschanzt, die die Bundesanstalt für Arbeit, aber auch verschiedene Ministerien gemäß der Doktrin der »Verschlankung des Staates« nicht mehr erledigen dürfen. Statt eines öffentlichen, gibt es nun private Monopole.
Unternehmensberaterfirmen wie Roland-Berger oder McKinsey gelten nicht nur Gerster, auch der Bundesregierung und verschiedenen Landesregierungen als Garant dafür, dass der öffentliche Dienst »effizient« wird. Über das Ergebnis schreibt der Spiegel: »Mehr als 1 Milliarde Euro lässt sich der Staat die Hilfe der Externen pro Jahr kosten. Dabei ist der Einsatz oft überflüssig, die Ergebnisse sind teils grotesk.« Ganze Heerscharen von frischen Absolventen der Betriebswirtschaft werden mit Checklisten durch die Behördengeschickt — um nachher hohe Stundenzahlen in Rechnung stellen zu können.
Auch Scharping hat als Verteidigungsminister diese Dienste in Anspruch genommen, um die Bundeswehr zu »reformieren«: Das Roland-Berger-Team erhielt damals 3500 Euro pro Tag und Berater. Seine Leistung beschreibt der Spiegel wie folgt: »Als schließlich Peter Struck im Juli 2002 das Verteidigungsministerium übernahm, lag das große Reformprojekt in Trümmern. Die Berater hätten offenkundig ›keine Ahnung von den Gegebenheiten im öffentlichen Dienst‹ gehabt, erklärte Strucks neuer Staatssekretär Peter Eickenboom.«
Wenn Beraterfirmen vom öffentlichen Dienst und seinen Anforderungen keine Ahnung haben und zudem noch teuer sind, warum werden sie dann immer öfter angefordert? Weil das den Verantwortlichen erlaubt, sich gleich gegen zwei Quellen der Kritik abzusichern: die »Wirtschaft« und die Beschäftigten. Der Spiegel berichtet von einem, der aus dem Nähkästchen plaudert: »Zu vorgerückter Stunde, ein Glas Wein in der Hand, kann Bausenator Peter Strieder (SPD) auch eine klare Antwort auf die Frage nach dem Sinn mancher Beratung geben. Mehrere hundert Angestellte seiner Behörde muss er in den kommenden Monaten wegrationalisieren. Dabei kann er die Berater der Firma Roland Berger als Verantwortliche vorschieben: ›Die sagen mir nicht nur, wie viele Leute erschossen werden müssen, sie schreiben auch die Namen auf die Kugeln.‹«
Leider sieht es so aus, als habe das neoliberale Umverteilungsprojekt durch die beiden Affären politisch kaum Federn gelassen. Zwar musste Florian Gerster zurücktreten. Der mit seinem Namen verbundene Kurs der Umstrukturierung der alten Bundesanstalt für Arbeit in eine Bundesagentur zur Drangsalierung der Erwerbslosen wird unter dem neuen Vorstandsvorsitzenden ohne Abstriche fortgeführt.
Was die Absahneraffäre um Mannesmann betrifft, so hätte man erwarten dürfen, dass die Gewerkschaften die schamlose Selbstbedienung der Nieten in Nadelstreifen aufs Korn nehmen. Ein integrer IG-Metall-Chef als Mitglied des Mannesmann-Aufsichtsrats hätte vor Gericht als Zeuge der Anklage auftreten und aus dem Nähkästchen plaudern können. Aber wie wir alle wissen, steht beim Düsseldorfer Prozess der ehemalige IG-Metall-Chef Klaus Zwickel in der Rolle des Mitangeklagten. Nicht zuletzt hier erweist sich der unschätzbare Nutzen der Sozialpartnerschaft für das Unternehmerlager.

Franz Mayer

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