SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, Seite 7

IGLU im Bundesländervergleich

Eine Frage des Elternhauses

Eine große Anzahl von Schülerinnen und Schülern verlässt die Grundschule mit einem erheblichen Defizit sowohl an Lese- wie auch an naturwissenschaftlicher und mathematischer Kompetenz. Sie werden in der Sekundarschule erhebliche Probleme haben, dem Unterricht überhaupt folgen zu können. Ohne die dringend erforderliche Förderung laufen sie Gefahr, später zu denen zu gehören, die die Schule ohne Abschluss verlassen — das sind unter den deutschen Schüler ca. 8%, bei den Migranten liegt der Anteil bei satten 20%. Die bekannten Probleme zu großer Risikogruppen und die soziale und ethnische Benachteiligung zeigen sich in allen Bundesländern.
Getestet wurde bei IGLU (Internationale Grundschulleseuntersuchung) das Leseverständnis am Ende der vierten Klasse in vier Kompetenzstufen (I—IV), bei IGLU-E die Kompetenz in Mathematik, Naturwissenschaften und Orthografie; gleichzeitig wurden Zusatzinformationen zum Elternhaus und zur Schule eingeholt. Der innerdeutsche Vergleich zwischen sieben Bundesländern weist zwar, mit Ausnahme von Bremen und Brandenburg, keine gravierenden Unterschiede auf, doch ein Grund zum Jubeln ist er nicht, eher sollte er Anlass zum Handeln sein. So hat der erste Platz für Baden-Württemberg einen mehr als bitteren Nachgeschmack, in keinem anderen Bundesplatz ist der Schulerfolg so stark vom Elternhaus abhängig wie hier.
Eine Empfehlung für das Gymnasium zu bekommen, ist in Baden-Württemberg für Kinder oberer Sozialschichten um das 5,63-fache leichter als für »Arbeiterkinder«. In allen Bundesländern zeigt sich, dass die Entscheidung über die Schullaufbahn eines Kindes eng an den sozioökonomischen Status des Elternhauses und nicht an die tatsächlichen Leistungen gekoppelt ist; in Baden-Württemberg gilt das in besonderem Maße auch für Migrantenkinder.
In Brandenburg und Bremen ist der Anteil von Kindern, die nicht einmal die Kompetenzstufe I (Wörter in einem Text erkennen) erreichen, mehr als doppelt so hoch wie in den anderen Vergleichsländern (aus EU und OECD). Der Anteil derjenigen, die nicht die Kompetenzstufe II (Sachverhalte aus einer Textpassage erschließen) erreichen, liegt in Brandenburg bei 14,2%, in NRW bei 12,9%, in Bremen dramatisch hoch bei 21,1%. Im Bundesdurchschnitt liegen 39% unterhalb der Kompetenzstufe III (implizierte Sachverhalte auf Grund des Kontextes erschließen), in Bremen sind es fast 60%.
Nun kann aber niemand sagen, ein hoher Migrantenanteil drücke das Niveau, denn Baden- Württemberg hat zwar einen Migrantenanteil von 27%, aber den größten Prozentanteil in der Kompetenzstufe IV (mehrere Textpassagen sinnvoll miteinander in Beziehung setzen), während das schlecht platzierte Brandenburg mit 6,3% den geringsten Migrantenanteil hat.
Der innerdeutsche Vergleich bestätigt ebenso wie der Ländervergleich, dass die schulischen Leistungen der Schülerinnen und Schüler der Grundschulen deutlich besser sind als die der 15-Jährigen im gegliederten Schulsystem der Sekundarstufe (siehe PISA-Studie), doch auch in der Grundschule zeigen sich deutliche Schwachstellen, sie liegen vor allem in der unzureichenden Förderung von Kindern aus sozial benachteiligten Schichten und aus Migrantenfamilien.
Und wie reagiert die Kultusbürokratie? Unterstützt sie die Grundschulen dort, wo sie erfolgreich arbeiten, finanziert sie Förderkonzepte, denkt sie über eine bessere Ausstattung der Schulen nach (ich meine jetzt mal nicht Computer), sorgt sie für kleinere Klassen? Nein! Sieht sie im dreigliedrigen Schulsystem ein überholtes Relikt, das in keinster Weise den Anforderungen an ein modernes Bildungssystem gerecht wird? Nein!
Stattdessen wird die Pflichtstundenzahl für Lehrerinnen und Lehrer erhöht, natürlich zum Nulltarif. Die Lernmittelfreiheit wird sukzessive ausgehöhlt, ihre Abschaffung ist geplant (Bayern) oder bereits vollzogen (Berlin). Horte werden aufgegeben zugunsten einer Billiglösung von Betreuungskonzepten an den Grundschulen (NRW). Die Schüler-Lehrer-Relation wird Jahr für Jahr schleichend erhöht, die Klassengrößen steigen. Der Ruf nach nationalen Bildungsstandards alleine ändert an der tatsächlichen Situation in den Schulen gar nichts, soll aber der Öffentlichkeit suggerieren, damit werde Qualität geschaffen.
Was die Schulen brauchen, ist eine deutliche Verbesserung der Ausstattung, eine gezielte Fortbildung für alle Lehrerinnen und Lehrer, die sich an den Erfordernissen eines modernen, offenen Unterrichts orientiert und nicht zuletzt ein breit gefächertes pädagogisches Personal in kleinen Klassen.
Wir wollen: Eine Schule für alle — Vielfalt statt Einfalt.

Larissa Peiffer-Rüssmann

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