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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, Seite 10

4.Weltsozialforum in Mumbai

Forum der Betroffenen

Das soeben in Mumbai zu Ende gegangene 4.Weltsozialforum war ein wichtiger Meilenstein für die globalisierungskritische Bewegung. Erstmals fand das Forum nicht im brasilianischen Porto Alegre, sondern in Asien statt. Dieser Umzug ist nicht nur geglückt, sondern das Forum hat in vielfacher Hinsicht davon profitiert. Die über 1200 Veranstaltungen und mehr als 100000 Teilnehmenden wurden stark von den Bewegungen des indischen Subkontinents geprägt. Wie in Porto Alegre gelang es, Gewerkschaftern, NGOs, soziale und ökologische Initiativen genauso wie radikale Basisgruppen im Geist der »Einheit in Pluralität« zu versammeln.
Viel stärker als auf den vorangegangenen Foren waren diesmal direkt von Unterdrückung Betroffene dabei. Die »Kastenlosen« (Dalit), Homo- und Transsexuelle, Frauengruppen, Behinderte, aus ihren Wäldern vertriebene Bewohner und Indigene brachten ihr Anliegen lautstark zu Gehör. Gerade Gruppen, die es in Indien sonst schwer haben, konnten das Forum für sich nutzen. Basisgruppen und Organisationen schufen mit Demonstrationen, Tänzen und Musik eine zweite Sprache auf dem Forum. Die Gespräche mit ihnen waren eine große Bereicherung. Der in einigen Medien geäußerte Vorwurf des Karnevals ist arrogant und zeugt von einer sehr äußerlichen Betrachtung. Auf den Straßen war ein Wissen über die realen Lebensverhältnisse versammelt, das in den Konferenzen oft nur abstrakt vorhanden war, und von dem das Forum sehr profitiert hat. Die indischen Organisatoren haben es geschafft, Gruppen zum Forum zu mobilisieren, die sonst unterrepräsentiert sind. Erfreulich war, dass die Großveranstaltungen mit den Bewegungsstars diesmal eine viel kleinere Rolle spielten als in Porto Alegre.
Bei den Seminaren und Konferenzen waren diejenigen Veranstaltungen besonders gut besucht, deren Fragestellung viele Menschen in Indien direkt betraf: der Zugang zu Wasser, Land und Saatgut, das Kastenwesen aber auch die Vertreibungen durch Großprojekte wie Staudämme. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Auseinandersetzung um ein Coca-Cola-Werk in Südindien, das den Kleinbauern zunehmend das Wasser abgräbt. Bei Veranstaltungsthemen, die derzeit in Indien wenig diskutiert werden, sah es allerdings anders aus. Hier blieben die internationalen Bewegungsvertreter eher unter sich. Der Dialog mit den indischen Gruppen gelang hier nur unvollkommen.
Auffallend war auf vielen Veranstaltungen, wie stark sich Initiativen der direkt von Ausbeutung Betroffenen auf das Konzept der Menschenrechte bezogen. Die frühere Kritik an diesem »bürgerlichen Rechtskonzept« spielte hier kaum eine Rolle. Neu war auch das große Interesse an Konzepten globaler Demokratie, z.B. am Vorschlag des britischen Autors und Aktivisten George Monbiot für ein Weltparlament. In die gleiche Richtung geht die Tendenz vieler Initiativen und Bewegungen, sich direkter in den institutionalisierten politischen Prozess einzubringen. Diverse Gruppen bezogen sich positiv auf die UNO. Das Entstehen der G21 in der WTO wurde auch von Akteuren begrüßt, die die Abschaffung der WTO fordern. Via Campesina arbeitet an einer internationalen Konvention zu Ernährungssicherheit. Breiten Raum nahmen schließlich Veranstaltungen zu »Globalisierung und Krieg« ein.

Nichtindisches

Parallel zum Weltsozialforum fanden verschiedene andere Treffen statt. Der Kongress »Mumbai Resistance« fiel besonders auf, weil dort das Forum hart kritisiert wurde. Kernpunkt der Kritik war der Pluralismus des Weltsozialforums. Gefordert wurde mehr politische Klarheit, man könnte es auch Enge nennen — also eine klare antiimperialistische und antikapitalistische Haltung sowie Sozialismus als konkrete Alternative zur bestehenden Weltordnung. Ob eine solche »Rückbesinnung« auf antiquierte Organisationsformen angesichts der Globalisierung der Herausforderungen und der Pluralität der Antworten innerhalb der Bewegungen klug ist, muss bezweifelt werden. Das sahen wohl auch die meisten indischen Basisgruppen so, die zahlreich am Weltsozialforum teilnahmen und dafür sorgten, dass Mumbai Resistance eine verhältnismäßig kleine Veranstaltung blieb.
Bedauerlich ist, dass das Thema China auf dem Forum kaum zur Sprache kam. So mussten die Tibeter ihre Lage ohne Chinesen diskutieren. Arbeitnehmer- und Menschenrechte in China wurden wenig diskutiert, ebenso die Bedrohung der jungen Industrie vieler asiatischer Länder durch die harte chinesische Konkurrenz. Teile der indischen Industrie drohen offen mit Abwanderung, wenn sie nicht drei weitere Sonderwirtschaftszonen bekommen. Dort sollen die ohnehin lausigen Arbeits- und Umweltstandards nicht gelten und steuerliche Vergünstigungen eingeräumt werden. Ähnliche Prozesse laufen auch in Südostasien.
Auch andere Teile der Welt wie Afrika, der Nahe Osten und Osteuropa waren auf dem Forum deutlich unterrepräsentiert. Leider haben es auch viele südamerikanische Gruppen nicht bis nach Indien geschafft. Erfreulich war dagegen, dass über 1000 Menschen aus Pakistan am Weltsozialforum teilgenommen haben. Zwar stoppte die indische Regierung — entgegen anderen Zusagen — die Vergabe von Visa. Trotzdem versammelte sich auf dem Forum die größte Konferenzdelegation aus dem Nachbarland seit der Unabhängigkeit.
Die Beteiligung aus Deutschland war von der Größe und politischen Zusammensetzung her ähnlich wie in Porto Alegre (Gewerkschaften, kirchliche Basisgruppen, Entwicklungs-NGOs, BUND, Studierende, parteinahe Stiftungen, Attac). Dieses Mal sind allerdings die Indien-Fans gefahren, während die Lateinamerika-Fraktion zu Hause geblieben ist. Leider fehlten in Mumbai führende Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden aus Deutschland. Erfreulich war die gestiegende Zahl von Aktiven aus Attac-Gruppen. Mit 40 Delegierten stellte Attac die größte deutsche Gruppe.
Die Erfahrungen von Mumbai zeigen deutlich: Um weitere Regionen in den weltweiten Sozialforumsprozess einzubeziehen, ist es nötig, das Forum immer wieder an anderen Orten stattfinden zu lassen. Derzeit gehen die Planungen dahin, dass das Weltsozialforum jedes zweite Mal in Porto Alegre stattfindet und dazwischen international wandert. Bei einem Treffen der anwesenden afrikanischen Gruppen überwog jedoch die Skepsis, ob man schon 2006 ein Weltsozialforum in Afrika ausrichten könne. Auch über die zeitliche Dimension wurde diskutiert: Immer mehr Stimmen fordern, das Forum solle nur noch alle zwei Jahre stattfinden. Fest steht, dass das nächste Forum im Januar 2005 in Porto Alegre stattfinden wird und zwar terminlich wieder parallel zum Weltwirtschaftsforums in Davos. Weitere Entscheidungen über Ort, Zeit und Häufigkeit wird der Internationale Rat des WSF treffen.

Wie weiter?

Beeindruckend war, wie es in Indien erstmals gelungen ist, das Forum weitgehend ohne Beteiligung transnationaler Unternehmen zu organisieren. Fast alle Lebensmittel und Dienstleistungen kamen von lokalen Anbietern. Auch bei der Finanzierung blieb das Forum ziemlich konsequent. Zuschüsse von der Ford Foundation mussten draußen bleiben, genauso wie Entwicklungsgelder von Regierungen, die am Irakkrieg teilnehmen.
In den deutschen und zum Teil auch internationalen Medien wurden die Stimmen lauter, die fragten, was denn beim Forum eigentlich herauskäme. Da es anders als bei Parteitagen keinen Leitantrag und keine Beschlüsse aller Teilnehmenden gibt, ist es angesichts von 1200 Veranstaltungen für Berichterstatter schwer einen Überblick über die Ergebnisse zu bekommen. Das ändert jedoch nichts daran, dass in den verschiedenen Kampagnenbereichen viele Beschlüsse über die weitere Arbeit gefasst und unzählige internationale Kontakte geknüpft wurden. Allerdings binden diese Absprachen immer nur die daran Beteiligten und niemals das gesamte Forum. Nur so ist seine Pluralität möglich.
Das Weltsozialforum ist international der beste Ort, Kampagnen zu planen und mit Aktiven aus der ganzen Welt zu diskutieren. Nirgendwo sonst sind so viele Akteure an einem Ort versammelt. Um die politische Wirkung des Forums noch zu erhöhen, wäre es trotzdem förderlich, einen Schritt weiter zu gehen. Einige politische Kernforderungen könnten zu einer Art »Konsens von Porto Alegre« gebündelt werden, wie ihn Bernard Cassen von Attac Frankreich vorschlägt. Diese Forderungen müssten in einem offenen Prozess ermittelt werden. Die Kunst wird dabei darin liegen, Forderungen zu finden, die konkret und klar genug sind, um politisch Biss zu haben, ohne gleichzeitig die Breite des Forums zu gefährden. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass dies nicht gelingt, bleibt das Forum eine wichtige und unverzichtbare Veranstaltung, die keineswegs folgenlos ist.
Das diesjährige internationale Treffen von Attac war ebenfalls ein Erfolg. Es gab einen sehr guten Erfahrungsaustausch zu den verschiedenen Kampagnen — GATS, Tobinsteuer, Steueroasen, Europäische Verfassung und Privatisierung. Von vielen Mitgliedern und mehreren Sektionen wurde bedauert, dass zur Kampagne zur Tobinsteuer wegen anderer Prioritätensetzungen viel weniger gelaufen ist als noch vor zwei Jahren. In einigen Ländern ist hier ein Umdenken im Gange. In Belgien steht der Beschluss der Tobinsteuer durch das Parlament kurz bevor.
In der parallel zum Forum tagenden Versammlung sozialer Bewegungen wurden verschiedene Aktivitäten für dieses Jahr verabredet. Unter Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern, Antikriegsbewegung, dem Kleinbauernnetzwerk Via Campesina, Friends of the Earth International, Frauennetzwerken, diversen lokalen und nationalen Sozialforen und Attac wurde beschlossen, am 20.März zu einem internationalen Aktionstag gegen die Besatzung im Irak aufzurufen. Auf der Versammlung der europäischen Initiativen wurden nochmals die Aktionstage gegen Sozialabbau in Europa am 2./3.April bekräftigt. Außerdem werden die anwesenden Bewegungen zur nächsten WTO- Ministerratskonferenz in Hongkong mobilisieren (der genaue Termin steht noch nicht fest). Auf der Versammlung der Antikriegsinitiativen hat sich außerdem auf Initiative von Focus on the Global South ein Netzwerk gegen ausländische Militärbasen gegründet. In vielen Teilen der Welt regt sich zunehmend Widerstand gegen die US- und NATO-Stützpunkte.

Sven Giegold

Sven Giegold vertritt den BUND im Koordinationskreis von Attac in Deutschland.



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