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Das soeben in Mumbai zu Ende gegangene 4.Weltsozialforum war ein wichtiger Meilenstein für die
globalisierungskritische Bewegung. Erstmals fand das Forum nicht im brasilianischen Porto Alegre, sondern in Asien statt. Dieser Umzug ist nicht nur
geglückt, sondern das Forum hat in vielfacher Hinsicht davon profitiert. Die über 1200 Veranstaltungen und mehr als 100000 Teilnehmenden
wurden stark von den Bewegungen des indischen Subkontinents geprägt. Wie in Porto Alegre gelang es, Gewerkschaftern, NGOs, soziale und
ökologische Initiativen genauso wie radikale Basisgruppen im Geist der »Einheit in Pluralität« zu versammeln.
Viel stärker als auf den vorangegangenen Foren waren diesmal direkt von
Unterdrückung Betroffene dabei. Die »Kastenlosen« (Dalit), Homo- und Transsexuelle, Frauengruppen, Behinderte, aus ihren Wäldern
vertriebene Bewohner und Indigene brachten ihr Anliegen lautstark zu Gehör. Gerade Gruppen, die es in Indien sonst schwer haben, konnten das Forum
für sich nutzen. Basisgruppen und Organisationen schufen mit Demonstrationen, Tänzen und Musik eine zweite Sprache auf dem Forum. Die
Gespräche mit ihnen waren eine große Bereicherung. Der in einigen Medien geäußerte Vorwurf des Karnevals ist arrogant und zeugt
von einer sehr äußerlichen Betrachtung. Auf den Straßen war ein Wissen über die realen Lebensverhältnisse versammelt, das in
den Konferenzen oft nur abstrakt vorhanden war, und von dem das Forum sehr profitiert hat. Die indischen Organisatoren haben es geschafft, Gruppen zum
Forum zu mobilisieren, die sonst unterrepräsentiert sind. Erfreulich war, dass die Großveranstaltungen mit den Bewegungsstars diesmal eine viel
kleinere Rolle spielten als in Porto Alegre.
Bei den Seminaren und Konferenzen waren diejenigen Veranstaltungen besonders gut besucht,
deren Fragestellung viele Menschen in Indien direkt betraf: der Zugang zu Wasser, Land und Saatgut, das Kastenwesen aber auch die Vertreibungen durch
Großprojekte wie Staudämme. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Auseinandersetzung um ein Coca-Cola-Werk in Südindien, das den
Kleinbauern zunehmend das Wasser abgräbt. Bei Veranstaltungsthemen, die derzeit in Indien wenig diskutiert werden, sah es allerdings anders aus. Hier
blieben die internationalen Bewegungsvertreter eher unter sich. Der Dialog mit den indischen Gruppen gelang hier nur unvollkommen.
Auffallend war auf vielen Veranstaltungen, wie stark sich Initiativen der direkt von
Ausbeutung Betroffenen auf das Konzept der Menschenrechte bezogen. Die frühere Kritik an diesem »bürgerlichen Rechtskonzept«
spielte hier kaum eine Rolle. Neu war auch das große Interesse an Konzepten globaler Demokratie, z.B. am Vorschlag des britischen Autors und
Aktivisten George Monbiot für ein Weltparlament. In die gleiche Richtung geht die Tendenz vieler Initiativen und Bewegungen, sich direkter in den
institutionalisierten politischen Prozess einzubringen. Diverse Gruppen bezogen sich positiv auf die UNO. Das Entstehen der G21 in der WTO wurde auch von
Akteuren begrüßt, die die Abschaffung der WTO fordern. Via Campesina arbeitet an einer internationalen Konvention zu
Ernährungssicherheit. Breiten Raum nahmen schließlich Veranstaltungen zu »Globalisierung und Krieg« ein.
Parallel zum Weltsozialforum fanden verschiedene andere Treffen statt. Der Kongress »Mumbai Resistance« fiel besonders auf, weil dort das
Forum hart kritisiert wurde. Kernpunkt der Kritik war der Pluralismus des Weltsozialforums. Gefordert wurde mehr politische Klarheit, man könnte es
auch Enge nennen also eine klare antiimperialistische und antikapitalistische Haltung sowie Sozialismus als konkrete Alternative zur bestehenden
Weltordnung. Ob eine solche »Rückbesinnung« auf antiquierte Organisationsformen angesichts der Globalisierung der Herausforderungen
und der Pluralität der Antworten innerhalb der Bewegungen klug ist, muss bezweifelt werden. Das sahen wohl auch die meisten indischen Basisgruppen
so, die zahlreich am Weltsozialforum teilnahmen und dafür sorgten, dass Mumbai Resistance eine verhältnismäßig kleine
Veranstaltung blieb.
Bedauerlich ist, dass das Thema China auf dem Forum kaum zur Sprache kam. So mussten die
Tibeter ihre Lage ohne Chinesen diskutieren. Arbeitnehmer- und Menschenrechte in China wurden wenig diskutiert, ebenso die Bedrohung der jungen Industrie
vieler asiatischer Länder durch die harte chinesische Konkurrenz. Teile der indischen Industrie drohen offen mit Abwanderung, wenn sie nicht drei weitere
Sonderwirtschaftszonen bekommen. Dort sollen die ohnehin lausigen Arbeits- und Umweltstandards nicht gelten und steuerliche Vergünstigungen
eingeräumt werden. Ähnliche Prozesse laufen auch in Südostasien.
Auch andere Teile der Welt wie Afrika, der Nahe Osten und Osteuropa waren auf dem Forum
deutlich unterrepräsentiert. Leider haben es auch viele südamerikanische Gruppen nicht bis nach Indien geschafft. Erfreulich war dagegen, dass
über 1000 Menschen aus Pakistan am Weltsozialforum teilgenommen haben. Zwar stoppte die indische Regierung entgegen anderen Zusagen
die Vergabe von Visa. Trotzdem versammelte sich auf dem Forum die größte Konferenzdelegation aus dem Nachbarland seit der
Unabhängigkeit.
Die Beteiligung aus Deutschland war von der Größe und politischen
Zusammensetzung her ähnlich wie in Porto Alegre (Gewerkschaften, kirchliche Basisgruppen, Entwicklungs-NGOs, BUND, Studierende, parteinahe
Stiftungen, Attac). Dieses Mal sind allerdings die Indien-Fans gefahren, während die Lateinamerika-Fraktion zu Hause geblieben ist. Leider fehlten in
Mumbai führende Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden aus Deutschland. Erfreulich war die gestiegende Zahl von
Aktiven aus Attac-Gruppen. Mit 40 Delegierten stellte Attac die größte deutsche Gruppe.
Die Erfahrungen von Mumbai zeigen deutlich: Um weitere Regionen in den weltweiten
Sozialforumsprozess einzubeziehen, ist es nötig, das Forum immer wieder an anderen Orten stattfinden zu lassen. Derzeit gehen die Planungen dahin, dass
das Weltsozialforum jedes zweite Mal in Porto Alegre stattfindet und dazwischen international wandert. Bei einem Treffen der anwesenden afrikanischen
Gruppen überwog jedoch die Skepsis, ob man schon 2006 ein Weltsozialforum in Afrika ausrichten könne. Auch über die zeitliche Dimension
wurde diskutiert: Immer mehr Stimmen fordern, das Forum solle nur noch alle zwei Jahre stattfinden. Fest steht, dass das nächste Forum im Januar 2005 in
Porto Alegre stattfinden wird und zwar terminlich wieder parallel zum Weltwirtschaftsforums in Davos. Weitere Entscheidungen über Ort, Zeit und
Häufigkeit wird der Internationale Rat des WSF treffen.
Beeindruckend war, wie es in Indien erstmals gelungen ist, das Forum weitgehend ohne Beteiligung transnationaler Unternehmen zu organisieren. Fast alle
Lebensmittel und Dienstleistungen kamen von lokalen Anbietern. Auch bei der Finanzierung blieb das Forum ziemlich konsequent. Zuschüsse von der
Ford Foundation mussten draußen bleiben, genauso wie Entwicklungsgelder von Regierungen, die am Irakkrieg teilnehmen.
In den deutschen und zum Teil auch internationalen Medien wurden die Stimmen lauter, die
fragten, was denn beim Forum eigentlich herauskäme. Da es anders als bei Parteitagen keinen Leitantrag und keine Beschlüsse aller Teilnehmenden
gibt, ist es angesichts von 1200 Veranstaltungen für Berichterstatter schwer einen Überblick über die Ergebnisse zu bekommen. Das
ändert jedoch nichts daran, dass in den verschiedenen Kampagnenbereichen viele Beschlüsse über die weitere Arbeit gefasst und
unzählige internationale Kontakte geknüpft wurden. Allerdings binden diese Absprachen immer nur die daran Beteiligten und niemals das gesamte
Forum. Nur so ist seine Pluralität möglich.
Das Weltsozialforum ist international der beste Ort, Kampagnen zu planen und mit Aktiven aus
der ganzen Welt zu diskutieren. Nirgendwo sonst sind so viele Akteure an einem Ort versammelt. Um die politische Wirkung des Forums noch zu
erhöhen, wäre es trotzdem förderlich, einen Schritt weiter zu gehen. Einige politische Kernforderungen könnten zu einer Art
»Konsens von Porto Alegre« gebündelt werden, wie ihn Bernard Cassen von Attac Frankreich vorschlägt. Diese Forderungen
müssten in einem offenen Prozess ermittelt werden. Die Kunst wird dabei darin liegen, Forderungen zu finden, die konkret und klar genug sind, um
politisch Biss zu haben, ohne gleichzeitig die Breite des Forums zu gefährden. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass dies nicht gelingt, bleibt das
Forum eine wichtige und unverzichtbare Veranstaltung, die keineswegs folgenlos ist.
Das diesjährige internationale Treffen von Attac war ebenfalls ein Erfolg. Es gab einen
sehr guten Erfahrungsaustausch zu den verschiedenen Kampagnen GATS, Tobinsteuer, Steueroasen, Europäische Verfassung und Privatisierung.
Von vielen Mitgliedern und mehreren Sektionen wurde bedauert, dass zur Kampagne zur Tobinsteuer wegen anderer Prioritätensetzungen viel weniger
gelaufen ist als noch vor zwei Jahren. In einigen Ländern ist hier ein Umdenken im Gange. In Belgien steht der Beschluss der Tobinsteuer durch das
Parlament kurz bevor.
In der parallel zum Forum tagenden Versammlung sozialer Bewegungen wurden verschiedene
Aktivitäten für dieses Jahr verabredet. Unter Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern, Antikriegsbewegung, dem Kleinbauernnetzwerk Via
Campesina, Friends of the Earth International, Frauennetzwerken, diversen lokalen und nationalen Sozialforen und Attac wurde beschlossen, am 20.März
zu einem internationalen Aktionstag gegen die Besatzung im Irak aufzurufen. Auf der Versammlung der europäischen Initiativen wurden nochmals die
Aktionstage gegen Sozialabbau in Europa am 2./3.April bekräftigt. Außerdem werden die anwesenden Bewegungen zur nächsten WTO-
Ministerratskonferenz in Hongkong mobilisieren (der genaue Termin steht noch nicht fest). Auf der Versammlung der Antikriegsinitiativen hat sich
außerdem auf Initiative von Focus on the Global South ein Netzwerk gegen ausländische Militärbasen gegründet. In vielen Teilen der
Welt regt sich zunehmend Widerstand gegen die US- und NATO-Stützpunkte.
Sven Giegold
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