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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2004, Seite 21

Kultur der Gewalt

Der brasilianische Filmregisseur Glauber Rocha formulierte vor vielen Jahren: »Unsere Originalität ist der Hunger, und die wirkliche kulturelle Manifestation des Hungers ist die Gewalt.« Im Irak hat die Gewalt ihrerseits jetzt einen kulturellen Ausdruck gefunden, und einer ihrer bekanntesten Namen ist Sabah al-Janabi.
Sabah al-Janabi ist der zur Zeit populärste junge Sänger, und seine Popularität insbesondere unter der sunnitischen Jugend wächst weiter. Er ist kein Rock‘n Roller, aber seine Musik wird nicht als weniger subversiv verstanden als einst der Rock‘n Roll. Während die US-Besatzungsmacht die unterworfenen Iraker mit ständigen Breitseiten arabischer und nicht zuletzt auch amerikanischer Popmusik aus verschiedenen Rundfunksendern zu »modernisieren« versucht, wendet sich die irakische Jugend verstärkt einer dort verbotenen Musik zu. Sabah al-Janabi singt nämlich: »Amerika ist gekommen und hat Bagdad erobert. Die Armee und das Volk haben Waffen und Munition. Lasst uns kämpfen gehen und den Namen Allahs rufen.«
Die Lieder sind im Dialekt der mittelirakischen Region von Falluja und Ramadi gesungen, und über deren Männer singt er: »Die Männer von Falluja sind Männer mit einer schweren Aufgabe. Sie haben Amerika mit RPGs gelähmt. Möge Gott sie vor [amerikanischen] Flugzeugen schützen.« Offiziell verboten, werden seine CDs und Kassetten zunehmend in Falluja und Ramadi, aber auch in Bagdad mehr oder weniger unter dem Ladentisch verkauft und sprechen keineswegs ausschließlich sunnitische Aktivisten und deren Sympathisanten an.
Der Scotsman zitierte kürzlich einen Taxifahrer aus Bagdad. Der Schiit Ahmed Hussein sagt: »Ich mag die Musik und die Texte. Ich weiß nicht warum, ich bin gar nicht seiner Meinung, aber es gibt mir halt ein gutes Gefühl.« Mit dazu bei trägt wahrscheinlich die musikalische Form, der sich Al-Janabi bedient, und die von den seit Jahrhunderten vor allem in der Tradition der mystischen Bruderschaften gepflegten Preisgesängen (madih) geprägt wird.
Die Musikwissenschaftlerin Fatima Daher ar-Rubaie vom Bagdader Kolleg der Schönen Künste sagt über diese einst auf religiöse Themen beschränkte Musik: »Selbst ich fühle mich, wenn ich diese Musik höre, emotional angesprochen. Der rhythmische Aufbau schafft wirklich Gefühle. Es ist eine sehr ergreifende Musik.«
In einer der Straßen Fallujas befindet sich ein populärer Kassettenladen namens Sabah Recordings. Sein Eigentümer gibt nach längerem Bohren zu, dass diese illegalen Kassetten und CDs seine Bestseller sind. Das gilt auch für die anderer Sänger dieses Genres wie Abdul Rahman ar-Refai oder Sayid al-Hassooni. Sabah Recordings, denen es nach eigener Aussage ausschließlich um das Geschäft geht, hat inzwischen sogar Video-Versionen der CDs produziert und benutzt dafür z.B. Szenen aus dem berühmten Film, in dem Anthony Quinn Omar Mokhtar spielt, der in den 20er Jahren den Kampf der Libyer gegen die italienischen Kolonialisten angeführt hatte.
Die US-Besatzer und ihre irakischen Kollaborateure hingegen schätzen nichts davon. Sabah al-Jannabi ist deshalb — so zumindest die Auskunft von Leuten in seinem Viertel in Falluja — inzwischen vorerst nach Jordanien übergesiedelt.

Anton Holberg

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