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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 5

Joachim Bischoff über die Notwendigkeit einer wahlpolitischen Alternative, Missverständnisse und verteilungspolitische Offensiven

Kommt die neue Linkspartei?

Anfang März trafen sich in der Berliner DGB-Zentrale etwa 30 engagierte Intellektuelle, Gewerkschafter und Bewegungsaktivisten, um eine öffentliche Diskussion über eine mögliche Wahlalternative 2006 (www.wahlalternative.de) zu initiieren. Seitdem geistert die Gefahr einer möglichen neuen Linkspartei durch die bundesdeutsche Medienlandschaft. Für die SoZ sprach Christoph Jünke mit Joachim Bischoff, Mitherausgeber der Monatszeitschrift Sozialismus und einer der Mitinitiatoren.

Mit eurer Initiative für die mögliche Gründung einer wahlpolitischen Organisation zu den nächsten Bundestagswahlen 2006 habt ihr offenbar den richtigen Nerv zur richtigen Zeit getroffen, denn das Medienecho ist seit Wochen gewaltig. Selbst die Parteispitze der SPD hat zum offenen Sturm auf euch geblasen. Wer genau verbirgt sich hinter eurer Initiative und was hat euch zu diesem Schritt veranlasst?
Die Initiative hat mehrere Quellen, d.h. es gibt in verschiedenen Regionen — Berlin, Ruhrgebiet, Bayern — seit geraumer Zeit Diskussionen über ein Projekt »Wahlalternative 2006«. Hintergrund ist die Einschätzung, dass der augenblickliche Regierungskurs, v.a. der sozialdemokratischen Agenda 2010, dazu führen wird, dass die Regierung spätestens im Jahre 2006 abgewählt werden wird. Das ist nicht nur ein Votum der Wählerschaft, sondern auch der sozialdemokratischen Parteimitgliedschaft. Dort findet ja eine atemberaubende Absetzungsbewegung statt.
Auf der anderen Seite argumentieren die Regierungsparteien und das vereinte bürgerliche Lager im Angesicht des forcierten Sozialkahlschlags mit der Behauptung, dass diese Politik das geringere Übel sei, dass es keine Alternative zu ihr gäbe. Um aus dieser Situation der Erpressbarkeit herauszukommen, gab es unterschiedlichste regionale Ansätze. Gebündelt und vorangetrieben wurden diese Diskussionen sehr stark aus einem gewerkschaftlichen Spektrum und aus dem Spektrum der Sozialverbände, bspw. Caritas. Die Frage ist, ob es einen Ausweg aus dieser Sozialkahlschlagspolitik gibt, ob es eine Möglichkeit gibt, sich für einen Politikwechsel einsetzen zu können.
Wir, d.h. eine Gruppe um den Ver.di-Sekretär Ralf Krämer, haben diese Initiativen, soweit wir von ihnen wussten, Anfang März zu dieser Besprechung eingeladen und diskutiert, inwiefern es Sinn macht, diesen Prozess bundesweit voranzutreiben. Da waren u.a. zwei IGM-Bevollmächtigte aus Bayern vertreten, die an dem Projekt »Arbeit und Soziale Gerechtigkeit« arbeiten und dieses dann Mitte März auch der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Ähnliches gibt es in Berlin, wo mit Rot- Rot eine ganz komplizierte Konstellation vorherrscht, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Davon hatte die Presse Wind bekommen und es brach jener Sturm los, den du erwähntest.

Ihr beschränkt euch explizit auf die Forderung nach einer Wahlpartei, dass heißt, eine neue linke Partei als solche plant ihr bisher nicht. Es gibt Linke, die eine solche Beschränkung in Frage stellen, zum einen, weil sie Parteiorganisationen generell ablehnen und/oder zum zweiten, weil sie reale soziale und politische Bewegung für wichtiger halten. Worin liegt der Sinn eurer Beschränkung auf eine Wahlalternative?

Das muss ich korrigieren. Wir haben das ganze zwar immer Wahlalternative genannt. Aber es geht nicht in erster Linie um die Gründung einer politischen Partei. Es geht auch nicht darum, im Laufe dieses Jahres zu entwickeln, wie man in den Bundestag einziehen kann. Die Herangehensweise ist etwas anders. Unser zentrales Problem ist dreifach. Wir haben es mit einem beschleunigten Sozialabbau zu tun und, damit verbunden, mit einer massiven Verstärkung der sozialen Spaltung. Gegenüber dieser Tendenz gibt es — zweitens — wachsende Proteste, das wird sich Anfang April erneut erweisen. Zum Dritten ist aber auch richtig, dass wir Tendenzen der Entpolitisierung bemerken: Leute, die zuvor in politischen Parteien aktiv waren, ziehen sich zurück, die Wahlbeteiligung geht zurück, und auch die Ebene des sozialen Protestes reicht nicht aus, eine wirkliche Veränderung der Politik zu erzwingen. Da kann man auch auf Österreich, Italien oder Griechenland verweisen, wo Massendemonstrationen und Generalstreiks zu keinem Kurswechsel der Politik geführt haben.
Es geht also um die Entwicklung einer politischen Plattform, wo die bisher politisch aktiven Menschen einen neuen Zusammenhang entwickeln können, mit dem man dann auf dem politischen Terrain gegen die vorherrschende Politik angehen kann. Wenn wir nicht bereit sind, uns bei den dann anstehenden Grundsatzentscheidungen auch wahlpolitisch einzumischen, dann werden wir weder von den sich zurückziehenden Enttäuschten noch von den Gegnern wirklich ernst genommen werden.

Auf der einen Seite grenzt ihr euch gegen den Parteigedanken ab, sprecht mal von Diskussionszusammenhang und mal von wahlpolitischer Initiative, auf der anderen Seite wird festgestellt, dass man für so etwas einen Hauptamtlichenapparat und »etliche Millionen Euro« brauche. In der Logik der Debatte geht es also um eine Partei.

Ich will das mit einem Beispiel verdeutlichen. Die Merkel hat für den Fall der politischen Regierungsübernahme einen ganz brutalen Sanierungskurs innerhalb von zwei Jahren angekündigt. Auch Schröder, Müntefering und Benneter haben, für den Fall anhaltender ökonomischer Stagnation, weitere Einschnitte ins soziale Netz in Aussicht gestellt. Eine der Hauptfragen ist bspw. der Systemwechsel in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auf der einen Seite die völlig unsoziale Konzeption der Kopfprämie: der Deutsche-Bank-Chef Ackermann mit seinen 11 Millionen Euro Jahreseinkommen bezahlt denselben Beitrag wie die Kollegin aus der Schalterhalle. Auf der anderen Seite gibt es nun unter dem Vorsitz der SPD-Linken Andrea Nahles eine Arbeitsgruppe für eine allgemeine Erwerbstätigen- oder Bürgerversicherung. In diese konkrete Auseinandersetzung müssen wir uns ebenso konkret einbringen. Wir sind für die allgemeine Erwerbstätigenversicherung, sind aber skeptisch gegenüber dem zu erwartenden Gestaltungsvorschlag der SPD. Dies ist auch eine Bewährungsprobe für uns, inwieweit wir eine schlüssige Alternative zu solchem Sozialabbau formulieren und vertreten können. Letztlich ist unzweifelhaft, dass wir ein solches Alternativprogramm, bspw. für die gesetzliche Krankenversicherung, auch in bundesweiten Wahlen zur Abstimmung zu stellen haben.

Ihr wollt mit eurer Initiative Aufklärung und Diskussionen auch auf der parlamentarischen Ebene auslösen und damit ein größeres Massenpublikum erreichen als bisher. Welche Programmatik ist geeignet, »die Massen« zu erreichen und sie für eine andere Politik in Bewegung zu setzen?

Wir unterscheiden uns deutlich von systemtheoretischen Diskussionen bspw. auf Seite der radikalen Kapitalismuskritiker, die durchaus ihre Berechtigung haben, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Unser Bezugspunkt ist, dass wir den neoliberalen Kurs der Bundesrepublik blockieren und verändern wollen, sowohl in den Bereichen Produktion und Distribution, aber auch im Bereich der Lebensverhältnisse. Die These der Alternativlosigkeit zur Agenda 2010, wie sie auch gerade noch mal auf dem SPD-Parteitag abgefeiert wurde, ist für uns nicht akzeptabel.
Eine politische Alternative ist möglich. Wir sehen die Probleme weniger auf dem Terrain der Globalisierung oder der demografischen Entwicklung. Das gesellschaftliche Problem besteht in einer Verschiebung in den Verteilungsverhältnissen. Wenn das Lohneinkommen und die Lohnquote insgesamt zurückgehen, die Sozialsysteme aber auf dem Arbeitseinkommen basieren, dann ist logisch, dass die Sozialkassen Finanzprobleme haben. Aus dieser spiralförmigen Bewegung nach unten kommen wir nur heraus, wenn die gesellschaftspolitischen Verteilungsverhältnisse direkt angegriffen werden. Insofern gibt es in der Initiative ein programmatisches Fundament, dass wir nicht neu erfinden mussten, und dass sich bspw. auf die seit Mitte der 70er Jahre agierende Memorandum-Gruppe stützt. Diese alternativen Entwicklungswege haben etwas zu tun mit Erbschaftsteuern, einer wirklichen Vermögensteuer, mit öffentlichen Investitionen und einem anderen Finanzierungskonzept für soziale Sicherheit.

Wodurch unterscheidet sich eure Alternative von derjenigen eines Oskar Lafontaine?

Ich nehme Lafontaine als Kommentator wahr und als SPD-Mitglied, der im Saarland für einen Regierungswechsel eintritt. Bestimmte Überschneidungen gibt es. Auch er weist immer wieder darauf hin, dass der jetzige Regierungskurs zu weiteren Einschnitten und Verschlechterungen führen wird. Einen wirtschaftlichen Aufschwung wird es auf Basis dieser Umverteilung zulasten der Masseneinkommen nicht geben können.

Es hat Lafontaine, als er noch an den Hebeln der politischen Macht saß, sicher weniger an programmatischen Alternativen gefehlt, als am politischen Willen, diese notfalls auch mit außerparlamentarischem Druck durchzusetzen.
Das ist richtig.

Aber wie seht ihr dann das Verhältnis von Bewegungen und aufzubauender politischer Plattform?

Wir begreifen uns als politische Initiative von Menschen, die bisher woanders politisch aktiv waren und die sich nun ein politisches Engagement in diesen Bewegungen vorstellen können, aber nicht auf der Basis der bisherigen Partei- und Politikstrukturen. Es wäre vollkommen verkehrt, erneut eine Organisation mit denselben Strukturen reproduzieren zu wollen, von denen alle wissen, dass der Großteil der Menschen diese nicht akzeptieren, weil sie sie nicht als Hebel der Veränderung von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ansehen.
Auf der anderen Seite ist es auch kein Weg, sich wegen dieser Deformation politischer Strukturen nicht auf das parlamentarisch-politische Terrain zu begeben, sich auf die Rolle von Ideengebern zu beschränken und die Umsetzung anderen zu überlassen. Auch dies ist unserem Verständnis nach kein Weg, der funktioniert. Es geht also um eine Verknüpfung von sozialem Protest und Politik, nicht in den bisherigen Strukturen.

Die PDS-Führung hat euer Projekt ausgesprochen wohlwollend kommentiert. Das nährt den Verdacht, dass hier einmal mehr eine neue Vorfrontorganisation für die in ernste Schwierigkeiten geratene Ostpartei gebastelt werden soll. Ein nennenswerter Teil der bisher bekannten Initiatoren, u.a. auch du, waren jahrelang Führungskader der PDS.

Der größte Teil der Initiatoren — bisher haben sich über 5000 Leute eingetragen, um an dem Projekt teilzunehmen — kommt aus der Sozialdemokratie und ist — sonst würde das ganze auch keinen Sinn machen — engagiert in der Gewerkschaftsarbeit, in den Sozialverbänden etc. Diese Leute haben einen Realitätsbezug, erfahren ganz unmittelbar, was die Agenda-Politik konkret in den Lebens- und Arbeitsverhältnissen anrichtet. Und es gibt in der Initiative auch Grüne, PDSler und Ex-PDSler.
Es herrscht auch bei uns eine ziemliche Unzufriedenheit gegenüber der PDS vor, was aber auf unseren Treffen nicht ausdiskutiert wurde. Im Westen ist die PDS ja kaum vorhanden, hat oft ein sektiererisches Gesicht, was die Methodik der politischen Arbeit angeht. In Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern dagegen gibt es gerade von den sozialen Verbänden und Bewegungen massive Vorbehalte gegen die dortige PDS-Regierungspolitik. Gerade im Osten bleibt die PDS natürlich ein gewichtiger Faktor, den man nicht einfach beiseite schieben kann.
Ich habe die Offenheit von Lothar Bisky uns gegenüber zur Kenntnis genommen. Ob die PDS diese Haltung durchhält, kann ich nicht beurteilen. Ich habe aber auch nicht die Vorstellung, die du jetzt unterstellst, dass die PDS eine solch stabile Organisation ist, dass sie sich eine solche Vorfrontorganisation oder allein die Debatte darüber leisten kann. Mein Eindruck ist vielmehr, dass ihre jahrelange Beschäftigung mit Grundsatzfragen über den gegenwärtigen Kapitalismus zulasten konkreter Widerstandslinien gegen neoliberale Politik ging.

Ihr betont, dass eure Einladung an alle, an Kommunisten, Sozialisten, Christen und Sozialstaatsanhänger gerichtet ist, verwahrt euch jedoch gleichzeitig gegen eine nicht näher definierte, sektiererische Linke. Wen meint ihr damit?

Gestern Abend gab es hier in Hamburg eine Diskussion, bei der ein Teil der radikal kapitalismuskritischen Linken sehr deutlich gemacht hat, dass sie mit einer solchen Initiative nichts zu tun haben will, da sie zu harmlos sei. Insofern ist das nicht das Problem, dass wir irgendwelche Leute ausgrenzen müssten.

Wie wird es weiter gehen?
Wir sind erst einmal alle engagiert, ich möchte dies betonen, in den regionalen Initiativen zur Vorbereitung des europäischen Aktionstag am 2./3.April. Wir brauchen und wollen den Protest auf der Straße. Wir werden uns dann aktiv einbringen in den von Gewerkschafts- und Sozialverbänden und von Attac u.a. organisierten Perspektivkongress Mitte Mai. Und nach diesen Etappen, wollen wir Anfang Juni, am 6.Juni, eine Konferenz machen, wo wir die weiteren Schritte dieses Jahres abstecken wollen.
Parallel werden wir versuchen, direkt und per Website, einige Hauptfragen notwendiger und möglicher Veränderungen anzugehen. Wir wollen uns bewusst absetzen von der Deformierung des Reformbegriffs. Im weiteren Diskussionsprozess wird sich dann zeigen, ob wir darüber Konsens erzielen können. Eine sog. »Ein-Punkt-Bewegung« ist sicherlich nicht möglich. Wenn man der Frage der gesetzlichen Krankenversicherung gerecht werden will, muss man zugleich auch etwas zur Renten- und Pflegeversicherung sagen können, muss auch sagen können, wie die Kommunen ihre Aufgaben hinbekommen, wie man das mit der Bildung machen will, was an ökologischen Projekten notwendig ist usw. und woher die gesellschaftlichen Ressourcen einer wirklichen, schrittweisen Veränderung kommen können.

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