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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 6

Hamburg-Wahl

Schillernde Regenbogen

»Die Bürger haben für klare Verhältnisse in Hamburg gesorgt. Für den neuen Senat ist dies eine große Herausforderung, Hamburg mit dem Konzept der Wachsenden Stadt in die Spitze der europäischen Metropolen zu führen«, erklärte Karl Joachim Dreyer offensichtlich befriedigt am 2.März, zwei Tage nach den Wahlen zum Landesparlament Bürgerschaft und den kommunalen Bezirksversammlungen in Hamburg. Dreyer ist Präsident der Handelskammer Hamburg und Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse.

»Ole Superstar«

Die klaren Verhältnisse bestehen vor allem darin, dass die CDU mit ihrem Bürgermeister Ole von Beust nun ohne ihre bisherigen Koalitionspartner, der Schillpartei und der FDP, solo regieren kann. Bei den Bürgerschaftswahlen im September 2001 erhielten die drei Parteien zusammen 432000 Stimmen, jetzt am 29.Februar 438000. 2001 waren die FDP mit 5,1% und die Schillpartei mit 19,4% zusammen annähernd so stark wie die CDU mit 26,2%. 2004 konzentrierten sich die Stimmen für den Bürgerblock auf die CDU, die 47,2% oder 389000 Stimmen erhielt, während die FDP und die beiden Nachfolger der Schillpartei zusammen nur noch 49000 Stimmen erhielten und alle drei an der Fünf-Prozent- Hürde scheiterten.
Die SPD sackte demgegenüber von 310000 Stimmen auf 251000 Stimmen (30,5%) ab, die GAL konnte sich von 72000 auf 101000 Stimmen (12,3%) steigern. Die Wahlbeteiligung sank um 3 Prozentpunkte auf 68% — viele SPD-Wähler blieben wohl zu Hause. Rot-Grün ist gegenüber der CDU in der klaren Minderheit, weitere Parteien sind in der Bürgerschaft nicht mehr vertreten. In den sieben Bezirksversammlungen sieht es etwas anders aus: hier hat Rot-Grün in 4 Bezirken die Mehrheit, und in einer Bezirksversammlung, Hamburg-Harburg, sitzen die letzten beiden Parlamentarier der PRO-DM/ Schillpartei.
Massiven Wahlkampf gegen Schill machte die Springerpresse, die in Hamburg monopolähnlich mit dem Abendblatt, Bild und Welt 90% des Tageszeitungsmarkts innehält und diesmal täglich »Ole Superstar« (so eine Bild-Schlagzeile) abfeierte. Die vor den Wahlen 2001 von der Springerpresse als Partner für die CDU hochgeschriebene Schillpartei wurde von dieser jetzt kaum noch beachtet und wenn, dann wegen Schills Eskapaden für unseriös erklärt. Offensichtlich lässt sich der überwiegende Teil der ehemaligen Schill-Wählerschaft gerne von Springer sagen, was es zu wählen gilt.

Böser Bube Schill

Erstaunlich, wie reibungslos der vor zweieinhalb Jahren zum Shootingstar aufgebaute populistische Rechtsaußen Ronald Schill im Verbund von Springer und CDU von der politischen Bühne weggeredet und -geschrieben werden konnte. Am 8.Dezember hatte Ole von Beust die Bürgerschaft aufgelöst, weil die Schillpartei nicht mehr verlässlich sei, und verkündete das Verdikt: Schill veranstalte ein »unwürdiges politisches Kasperletheater mit zum Teil psychopathischen Zügen. Dieses ist mit der Würde und dem Ansehen der Stadt nicht vereinbar.«
Schill selbst hat bis zuletzt die Spielregeln des Parlamentarismus nicht verstanden und sich weiter für den unentbehrlichen Polizisten im Kasperletheater gehalten: »Ich bin zuversichtlich: Klasse setzt sich durch.« Nun kommt die Bühne der Bürgerschaft ohne Schill aus. Das bedeutet keineswegs, dass die von ihm persönlich engagiert vorangetriebene Verschärfung polizeilicher Repression gegenüber sozial oder politisch unerwünschtem abweichenden Verhalten ein Ende hat.
»Tempo ist jetzt gefragt«, so Hans-Jörg Schmidt-Trenz, ebenfalls ein Repräsentant der Handelskammer, nach der Wahl: Tempo bei der Umsetzung der Forderungen der Handelskammer, die eine weitere Beschleunigung bei der Modernisierung der Bedingungen zur Kapitalakkumulation anstrebt, etwa einen Verzicht auf langwierige Planungsprozesse mit zumindest formaler Bürgerbeteiligung: »Mit nur einer Regierungspartei haben wir die beste Chance, die Verwaltung zu vereinfachen«, so Schmidt-Trenz.
Eine Beschleunigungsbremse wurde allerdings am 29.Februar auch gezogen. Parallel zur Bürgerschaftswahl fand das Volksbegehren »Gesundheit ist keine Ware« statt. 77,6% der Wählerschaft sprachen sich dagegen aus, Hamburgs staatliche Krankenhäuser vollständig zu privatisieren. Initiiert von der Gewerkschaft Ver.di, richtete sich das Volksbegehren nicht kompromisslos gegen Privatisierung — bis zu 49,9% sollen verkauft werden dürfen.
Der Landesbetrieb Krankenhäuser ist ein Filetstück bisherigen staatlichen Besitzes und durch das Volksbegehren zum Symbol geworden. Deshalb forderte Dreyer auch sofort die weitere konsequente Privatisierung der öffentlichen Unternehmen der Stadt und betonte: »Davon darf auch der Landesbetrieb Krankenhäuser nicht ausgeschlossen werden.«
Auch der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Dietrich Wersich, sekundierte, etwa mit dem Argument, die Nichtwähler hätten sich ja nicht an dem Volksbegehren beteiligt und so repräsentiere dies gar nicht die absolute Mehrheit. Das Volksbegehren sei deswegen nicht bindend — eine Herausforderung nicht nur für Ver.di, sondern auch für stadtpolitisch aktive Linke.

Regenbogen

Die linke Bündnisliste Regenbogen erhielt bei der Bürgerschaftswahl 9221 Stimmen (1,1%) gegenüber 14247 Stimmen (1,7%) 2001. Zu dem Ergebnis von 2001 kommen noch die 0,5% hinzu, die die damals in Konkurrenz zu Regenbogen kandidierende PDS erhielt. Diesmal beteiligte sich die PDS ebenso wie DKP, SAV und Linksruck an der Regenbogen-Liste. Bei den Bezirksversammlungen waren die Verluste noch größer.
Im Wahlkampf 2001 war Regenbogen noch in den Parlamenten vertreten, nachdem sich jeweils kleine Fraktionen im Juni 1999 von der GAL aus Protest gegen die grüne Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien abgespalten hatten. Diesmal kam Regenbogen mangels parlamentarischer Repräsentanz in den Medien nicht vor und somit fast inexistent — außer im klimatisch bedingt geringen Straßenwahlkampf.
Mit Presseerklärungen versuchte Regenbogen irgendwie in die Medien zu kommen. So appellierte die Spitzenkandidatin von Regenbogen, Heike Sudmann, auch schon mal an den Bürgermeister, doch den Innensenator Nockemann von der Schillpartei wegen Amtsmissbrauchs zu entlassen. Dieser hatte mit Polizeigewalt u.a. Esther Bejerano, eine Überlebende des KZ Auschwitz, das Rede- und Demonstrationsrecht genommen. Doch warum sollte ein brutaler Polizeieinsatz für von Beust eine Ungeheuerlichkeit sein? An welche vermeintliche Gemeinsamkeit von Demokraten wird hier appelliert? Warum soll es aus Sicht der CDU ein Amtsmissbrauch sein, gegen linke Demonstrationen vorzugehen?
Dieses Beispiel zeigt, wie nah viele Ex-Grüne der Politik der GAL noch sind. Auch das Wahlprogramm von Regenbogen liest sich wie ein realpolitisch-linkes Programm der GAL aus der Zeit, bevor sie 1997 für das Koalieren mit der SPD linke Forderungen verabschiedete. Die Hamburger Gruppe Demontage schrieb in einer Kritik am Wahlprogramm: »Keine der Forderungen kann im Sinne einer systemkritischen Ausrichtung interpretiert werden. Alle sind realpolitisch und grundsätzlich anschlussfähig, d.h. sie könnten ganz seriös in Koalitionsverhandlungen mit GAL und SPD eingebracht werden. Dies verwundert ein wenig, würden sich doch die meisten Träger des Bündnisses zumindest als Sozialisten verstehen. Auch besteht überhaupt kaum die Gefahr, dass Regenbogen in die Bürgerschaft einzieht oder gar einer Regierungskoalition beitreten könnte. Warum also nicht das fordern, was über den Alltag hinausgeht?«
»Die Alternative zu dem großen Übel CDU/Schill/Offensive/FDP und dem kleineren Übel SPD/GAL heißt REGENBOGEN!« Im Rahmen der parlamentarischen Spielregeln gedacht, mag das stimmen, aber eine politische Alternative könnte sich nur im außerparlamentarischen Raum bilden. Genau dieses Problem wurde bei der Regenbogen-Kandidatur weitgehend ausgeblendet, stattdessen euphorisch anmaßend verkündet: »Die 24 KandidatInnen auf der offenen Liste von REGENBOGEN spiegeln den breiten linken Widerstand in der Stadt wieder.« Einmal abgesehen von der Frage, ob die 1,1% Stimmen für Regenbogen den angeblich »breiten linken Widerstand« widerspiegeln, gibt es auch Linke, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht an der Kandidatur beteiligt haben. Obwohl Lucy Redler von der SAV, der Bambulero Bernd Welte und Olaf Harms von der DKP auf der Liste standen — die ganze (radikale) Linke ist das nicht.
An der Regenbogen-Kandidatur haben sich v.a. Linke beteiligt, die traditionelle Formen von »Politik mit den Massen« für möglich halten und den Aktionismus der Kandidatur für eine inhaltliche Weiterentwicklung halten. Folgerichtig sprach die DKP in ihrer Wahlauswertung von einem »Erfolg« für Regenbogen: Das sei »ein großer Ansporn für die Hamburger Linke«. Auch Heike Sudmann erklärte im Interview mit der jungen Welt: »Aus unserer Sicht hat der Aufbruch stattgefunden. In Hamburg ist es der Linken zum ersten Mal gelungen, sich trotz aller Differenzen auf gemeinsame Ziele zu verständigen und mit vereinten Kräften für eine solidarische Stadt zu kämpfen. Allein das markiert einen großen Aufbruch, der auch anhalten wird.«
Dass Regenbogen zum Wahlausgang versprochen hat, die vereinte Kraft nicht verpuffen zu lassen, verwundert angesichts dessen, dass Regenbogen nach der Bürgerschaftswahl 2001 bei linken Aktivitäten weitgehend unsichtbar war und sich mit dem plötzlichen Wiederauftauchen unmittelbar nach Ankündigung von Neuwahlen bisher nicht gerade als kontinuierlich tätige politische Formation dargestellt hat.
Aber vielleicht wird jetzt ja alles anders und Regenbogen wird sogar in die notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen grünen Geschichte eintreten, die Entwicklung der GAL aufarbeiten und selbstkritisch darüber reflektieren, was denn linke Wahlbeteiligungen ohne halbwegs radikale außerparlamentarische Bewegungen überhaupt anderes sein können als ein Hinterherlaufen hinter dem Medienzirkus.

Gaston Kirsche

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