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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 7

Neuordnung von Bund und Ländern

Föderaler Wettbewerbsstaat

Mit der am 17.Oktober 2003 von Bundestag und Bundesrat gemeinsam eingesetzten Kommission »zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung« ist ein weiterer Anlauf dazu genommen worden, die Formierung der BRD im Sinne einer neoliberalen »Wettbewerbsordnung« voranzutreiben.

Die Systemkonkurrenz nach außen und das daraus ableitbare Erfordernis einer möglichst gleichmäßigen Einbindung der sozialen Klassen in den kompromisshaften »rheinischen Kapitalismus« nach innen, drängten nach der Konstituierung der Bundesrepublik auf ein System des finanziellen Ausgleichs von regionalen, entlang der Grenzen der Bundesländer verlaufenden Entwicklungsdisparitäten, von denen die BRD auch heute noch geprägt ist, wie aus der Unausgeglichenheit der Wirtschafts- und Siedlungsstruktur zwischen den alten nördlichen und südlichen Bundesländern leicht ablesbar ist. Einen sichtbaren Ausdruck hat dieser politische Wille in den Regelungen der Art.72 Abs.2 sowie Art.106 Abs.3 Satz 4 Ziffer 2 des Grundgesetzes gefunden: dort geht es um die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet.
Das Bestreben für ein zumindest annähernd gleiches Versorgungsniveau durch den Länderfinanzausgleich und eine abgestimmte regionale Struktur- und Raumordnungspolitik sowie die Erhaltung der föderativen Solidarität gegenüber dem Bund und die Gleichberechtigung der Länder sind die verfassungspolitischen Standards einer Republik, die ihre Funktionsfähigkeit als auf kapitalistischer Grundlage funktionierendes Modell einer parlamentarischen, föderalistischen Demokratie zu beweisen hatte.
Das Erfordernis, die neuen Länder in die Bundesrepublik zu integrieren, führte zwar 1995 zu einer erneuten Novellierung des Finanzausgleichgesetzes, das die Erfordernisse der Solidarität beherzigte. Doch schon bei der Gewährung von Sonderzahlungen des Bundes an die chronisch defizitären Länder Bremen, Berlin und das Saarland zeichnete sich das Ende der wohlfahrtstaatlichen Ausgleichsregelung ab, weil das Murren der wirtschaftsstarken westdeutschen Bundesländer wie Bayern, Baden- Württemberg und Nordrhein-Westfalen über die kleineren Kostgänger unüberhörbar geworden war.

Angriffsziel Länderfinanzausgleich

Dem verfassungsrechtlichen Leitbild entspricht eine feinziselierte Ausgleichsordnung, der Länderfinanzausgleich, der umfassende und komplizierte Ausgleichsregelungen zwischen den Ländern und vom Bund an die Länder enthält. Die Komplexität und mithin eingeschränkte Transparenz der Regelungen hat erheblich dazu beigetragen, dass auch dieses Regelwerk in die Kritik geraten ist. Es sind nun jene schrecklichen Vereinfacher am Werk, deren zuerst einleuchtendes Anprangern fehlender Transparenz und Rechenschaft doch nur verdeckt, was angestrebt wird: Umverteilung zulasten schwacher Bundesländer. Wie bei den Regulierungen der Sozialsysteme wird auch beim Finanzausgleich mit den Schwachpunkten bürokratischer Aufwand und regulative Komplexität operiert. In Zeiten der grenzenlosen Kritik an »Überregulierung« und »Bürokratie« erscheinen solche Regularien als etatistische Dinosaurier, die den alten und neuen Drachentötern vom Orden der Marktwirtschaftler leichte Beute verheißen.
Die ganze Komplexität des Länderfinanzausgleichs ist im Wesentlichen dem Paradigma der bisherigen bundesdeutschen Finanzmittelverteilung geschuldet. Diese Ausgleichsregelung ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den Geboten sozialer Gerechtigkeit und föderativer Solidarität einerseits und dem Streben der Länder und Gemeinden nach Eigenständigkeit, Selbstverwaltung und Gestaltungsfreiheit andererseits.
Die Schieflage zwischen der Finanzkraft von West und Ost, von großen und kleinen Stadtstaaten und Flächenländern gab Bayern und Baden-Württemberg den Anlass, bereits 1998 eine politische Offensive einzuleiten, die einige Brisanz aufwies. Die beiden süddeutschen Länder stellten im März 1998 ein Modell vor, mit dem das gesamte Ausgleichssystem zulasten der finanzschwachen Länder geändert würde.
Propagandistisch abgestützt wurde diese politische Offensive durch publizistische Begleitmusik, wie sie beispielhaft in der Studie »Föderaler Wettbewerb statt Verteilungsstreit« vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft unter Leitung des sattsam bekannten Prof. Meinhard Miegel aufgespielt wird. Darin wird die Notwendigkeit einer Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, die Neugliederung der Länder (7 statt 16) und eine Reform der föderalen Finanzverfassung abgeleitet, wobei durch die vorgeschlagene Neustrukturierung des Finanzausgleichs eine massive Schlechterstellung der Stadtstaaten und ein ökonomischer Zwang zur Länderneugliederung ausgehen sollte, dessen Gewinner Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen wären.
Die Studie fordert apodiktisch: die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Art.72 Abs.2 GG) sei darauf zu beschränken, »ein Mindestmaß an öffentlicher Infrastruktur und Daseinsvorsorge« zu schaffen, das »im Rahmen gebietstypischer Gegebenheiten ausreichende Wahlmöglichkeiten und weit gehende Chancengleichheit in der persönlichen Entfaltung gewährt« bzw. auf Maßnahmen einer gesetzlichen Grundsicherung reduziert wird. Mittlerweile hat diese Position auch der sozialdemokratische NRW-Ministerpräsident Steinbrück explizit übernommen.

Etappensieg der Wohlstandschauvinisten

Die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen klagten vor dem Bundesverfassungsgericht und erwirkten am 11.November 1999 ein Urteil zum bundesstaatlichen Finanzausgleich, mit dem das geltende FAG nur noch als Übergangsrecht fortgelten durfte. In der sich anschließenden Diskussion feierte der Wettbewerbsföderalismus seine ersten rhetorischen Siege. Beispielhaft gaben die Finanzminister der klagenden Länder 2000 in der Finanzministerkonferenz zu Protokoll, dass sie ihre Einnahmesituation regelnd zu beeinflussen wünschten, da sich die Qualität einer Finanz- und Wirtschaftspolitik eines Landes insbesondere an der Höhe der Einkommen- und Körperschaftsteuer zeige. Deshalb begehrten sie ein Tarifgestaltungs- und Zuschlagsrecht für die Länder bei diesen Steuerarten, was die maßgeblich historisch bedingten wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Ländern noch weiter verstärkt hätte.
Im Sommer 2001 war das Etappenziel erreicht: am 13.Juli stimmte der Bundesrat einem Maßstäbegesetz des Bundes zu, mit dem auf allen Stufen des Ausgleichssystems ein höherer Eigenanteil der Länder bei den Steuereinnahmen vorgesehen wurde. Aber so, wie jede kampflose Kapitulation der Schwächeren die Stärkeren zu noch größeren Massakern anreizt: am 7.November 2003, unmittelbar vor Beginn der Beratungen der Föderalismuskommission, ließ der hessische Justizminister Wagner über die Deutsche Presseagentur verlautbaren, dass der Länderfinanzausgleich gänzlich abzuschaffen sei, da dies den Wettbewerb unter den Ländern fördern würde.
Einmal begonnen, war dieses Thema in den politischen Diskursen der politischen Eliten präsent und in Permanenz auf der Tagesordnung. Hinzu kam nun die Frage einer Entflechtung der bundesstaatlichen Kompetenzen in der Gesetzgebung und Mischfinanzierung von Aufgaben, die im Zuge der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Ende der 60er Jahre geschaffen worden waren, um den Modernisierungsstau der Republik im Übergang vom adenauerschen Restaurations- zum sozialliberalen Sozialstaat mit technokratischen Planungsansätzen aufzulösen. Weder die SPD-geführten Bundesländer noch die Ostländer stellten den politischen Ansatz dieser Debatte in Frage, ein Indiz dafür, wie verfestigt die neoliberale Hegemonie ist.
Welche Philosophie in der Ende November 2003 konstituierten Föderalismuskommission regieren wird, ist aus der Verhandlungsposition des Bundes deutlich abzulesen: Handlungsautonomie und Eigenverantwortung müssten auf der jeweils richtigen Entscheidungsebene gestärkt werden, damit der Standort Deutschland Wirtschaftskraft und Lebensqualität gewinne.
Ihren Vorreitercharakter beim zügigen Abbau von Errungenschaften der Bürgerinitiativ- und Ökologiebewegung haben die ostdeutschen Länder bis heute behalten. Am 20.März 2002 haben sie im Rahmen der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung weitere Zuständigkeitslockerungen und Öffnungs- und Experimentierklauseln gefordert. Flankiert wird das ganze vom Bund: jüngst sollen ganze Landstriche zu Testregionen für »Bürokratieabbau« gemacht werden. Dahinter steht die Forderung des Deutschen Industrie- und Handeskammertags nach einer »möglichst unbürokratischen und wirtschaftsfreundlicheren Gesetzgebung und Verwaltungspraxis«. Bezeichnenderweise sind alle drei benannten Testregionen Bestandteil sozialdemokratisch geführter Länder: Bremen, Ostwestfalen-Lippe und Westmecklenburg.

Formierung statt Partizipation

In der ganzen Diskussion um die »Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung« kommen Forderungen nach mehr Partizipation und mehr direkter Demokratie nicht vor. Modernisierung heißt knapp und eindeutig: innere und äußere Formierung des Staatsapparats nach den Anforderungen der nach Shareholder Value gierenden Wirtschaft. Das sich innerhalb der bürokratischen Eliten Widerstand gegen diesen Formierungsprozess herausbilden könnte, dafür gibt es derzeit keine Hinweise.
Dies macht die Tragik des sozialdemokratischen Flügels der Staatsbürokratie deutlich: sie hat keinerlei konzeptionelles Leitbild einer »anderen Moderne«, die wenigstens die erreichten Standards der sozialen Bewegung und ihr Demokratiepotenzial verteidigt. Stattdessen hat sie dort, wo sie in Bund und Ländern regiert, im vorauseilenden Gehorsam solche Potenziale zerstört und politische und soziale Bürgerrechte abgeschafft. Die SPD bereitet so den Boden für eine Union, die unter der Fahne der »Modernisierung« Recht und Verwaltung noch besser an den Anforderungen des Neoliberalismus ausrichten kann und wird.
Daran ändert auch nichts, dass nun der neue SPD-Parteivorsitzende Müntefering die Föderalismusdebatte steuern soll: hier ist nur mehr vom selben zu erwarten. Die Bedingungen für emanzipatorische Bewegungen und den sozialen Widerstand der Lohnabhängigen werden durch dieses Szenario leider um keinen Deut besser.

Stefan Janson

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