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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 9

Ein Blick auf die Gesetzentwürfe der Länderregierungen

Auf dem Weg zum Kopftuchverbot

In seinem »Kopftuch-Urteil« vom 24.9.2003 stellte das Bundesverfassungsgericht (BVG) fest, dass ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage finde. Der Ausschluss von Frau Ludin für den Schuldienst sei also verfassungswidrig. Nach dem geltenden Recht (soweit bekannt aller Landesverfassungen) könnten muslimische Frauen mit Kopftuch also Lehrerinnen werden.
Laut BVG-Urteil können Landesregierungen Gesetze verabschieden, um die Frage des Umgangs mit religiösen Symbolen zu regeln, müssten das jedoch nicht. Die seit über einem halben Jahr öffentlich geführte Debatte zeigt, dass die Motive der Befürworter eines Kopftuchverbots blanker Rassismus sind, gepaart mit antiislamischer Stimmungsmache. Das zeigt sich auch in den bisher vorgelegten Gesetzesentwürfen.
Bisher gibt es in den Landtagen bereits in erster Lesung diskutierte Gesetzesentwürfe der Landesregierungen aus Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Hessen, dem Saarland und der Berliner CDU. Der Berliner SPD/PDS-Senat will Mitte April einen Gesetzesentwurf einbringen. In Schleswig-Holstein wird vorerst auf ein Kopftuchverbot verzichtet, da die Grünen als Koalitionspartner der SPD ein Verbot nicht unterstützen. Die anderen Landesregierungen verhalten sich ablehnend oder wollen warten, was in den anderen Bundesländern umgesetzt wird.
Alle Gesetzesentwürfe haben im Kern dieselbe rassistische Argumentation, unterscheiden sich aber darin, ob nicht auch der gesamte Öffentliche Dienst für kopftuchtragende muslimische Frauen künftig versperrt sein soll. Insbesondere Schüler sollen vor den gefährlichen Auswirkungen des Kopftuchs geschützt werden, denn nach Meinung der CDU und SPD ist das Kopftuch in erster Linie ein Symbol des politischen Islam. Der Staat müsse für diejenigen, die sich zum politischen Islam bekennen, tabu sein — und das sei ja mit dem Kopftuch der Fall. Die wehrhafte Demokratie müsse sich mit Berufsverboten gegen seine Feinde wehren.
So soll es nach dem neu gefassten §38 Abs.2 des Schulgesetzes Baden- Württemberg Lehrkräften verboten sein, in der Schule »politische, religiöse weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen« abzugeben, »die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören«. Insbesondere ist ein solches äußeres Auftreten untersagt, »welches bei Schülern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrkraft gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen … oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt.«
Der hier konstruierte Zusammenhang zwischen religiöser Symbolik und einer Handlung ist jedoch fragwürdig und eindeutig antimuslimisch. Denn warum müssen individuell getragene religiöse Symbole staatlicher Angestellter dem Staat zugerechnet werden? Beamte und Angestellte sind Individuen und haben weltanschauliche und religiöse Überzeugungen, die zu Recht durch das Grundrecht der Religionsfreiheit geschützt werden. Es kann natürlich vorkommen, dass Staatsbedienstete falsche Entscheidungen treffen oder ihre Macht bewusst missbrauchen. Es kann auch sein, dass solches Handeln religiös motiviert ist. Zwischen solchen Entscheidungen und religiösen Symbolen gibt es aber keinen direkten Zusammenhang. Und schon gar nicht lassen sich religiös motivierte Entscheidungen durch ein Glaubenssymbolverbot verhindern. Verbotsgegner sagen daher zu Recht: Entscheidend ist, was im Kopf drin ist, und nicht was drauf ist.
Um sich gegen Fehlentscheidungen und Willkür von Staatsbediensteten zur Wehr zu setzen, müssen daher die Rechte und Möglichkeiten von Betroffenen, ausgebaut werden. Eine Stärkung der Rechte von Schülern und die umfassende Demokratisierung der Schule, und nicht die Einschränkung der Meinungs- und Glaubensfreiheit von Lehrerinnen und Lehrern müsste daher gefordert werden.
In der Begründung der Landesregierung Baden-Württembergs heißt es, dass zumindest ein Teil der Kopftuch-Befürworter mit diesem sowohl eine mindere Stellung der Frau in Gesellschaft, Staat und Familie verbinde, die mit Art.1,3 Abs.2 und 3 GG unvereinbar sei, als auch eine fundamentalistische, kämpferische Stellungnahme für ein theokratisches Staatswesen entgegen den Grundwerten von Art.20 GG.
Das Tragen von christlichen und jüdischen Symbolen wird in allen Gesetzesentwürfen ausdrücklich gestattet. So heißt es in der Begründung des niedersächsischen Entwurfs, Verfassung und Schulgesetz hätten sich ausdrücklich zur Vermittlung bestimmter Werte aus der abendländisch-christlichen Tradition bekannt. Niedersachsen sei vom Christen- und vom Judentum, nicht aber vom Islam geprägt. Das Kopftuchverbot ist also kein erster Schritt in Richtung einer Trennung von Staat und Kirche. In Unterrichtsräumen und Gerichtssälen darf das Kreuz weiter hängen, in den Schulen weiter Religionsunterricht der beiden Großkirchen abgehalten werden, der Staat treibt weiterhin die Kirchensteuer ein usw.
Der am 18.Februar 2004 in erster Lesung diskutierte Gesetzesentwurf in Hessen sieht ein generelles Kopftuchverbot für alle Beamten vor. Die hessische SPD lehnt den Gesetzesentwurf ab, ist mit ihrer zurückhaltenden Position in Sachen »Kopftuch« innerhalb der Bundes-SPD jedoch isoliert. Im Saarland hat die SPD mit der CDU einen gemeinsamen Gesetzesentwurf für ein Kopftuchverbot eingebracht. In Berlin und NRW will sie gerne, aber es gibt noch Widerstand vom jeweiligen Koalitionspartner. In Baden-Württemberg unterstützt die SPD die Landesregierung und mittlerweile gibt es Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion, das Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Dienst des Bundes zu verbieten. Die Berliner Grünen unterstützen als einziger Landesverband ein Kopftuchverbot, wollen jedoch auch sichtbare Symbole anderer Religionen verbieten.

Sascha Kimpel

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