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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 9

Mit Hartz in die

Wohnungslosigkeit

Laut dem verabschiedeten Gesetzespaket zur Sozialhilfe- und Arbeitsmarktreform (Hartz IV) sollen Mietschuldenübernahmen für die Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II künftig nur noch auf Darlehensbasis und gekoppelt an die »konkrete Aussicht auf eine Beschäftigung« gewährt werden.
Ein Recht auf Wohnraum existiert in Deutschland nicht. Mit den Hartz-Gesetzen zur Sozialhilfe- und Arbeitsmarktreform droht nun auch noch der Abbau sozialpolitischer Instrumente, die überschuldeten Mietern bis das eigene Dach über dem Kopf sicherten. Nach dem vom Bundestag und Bundesrat abgesegneten Gesetzentwurf sollen der Erhalt von Wohnraum und die Vermeidung von Wohnungsverlust zukünftig keine vorrangige Aufgabe des Staates mehr sein. Jedenfalls nicht für die Bezieher von ALG II. Die bislang in §15a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) vorgesehenen präventiven Maßnahmen werden im Rahmen des ALG II erheblich eingeschränkt. So soll die Übernahme von Mietschulden dann von den neu eingerichteten »Agenturen für Arbeit« erbracht werden können. Für sie soll allerdings nicht mehr die Mietschuldenübernahme nach dem BSHG, sondern nach dem wesentlich enger gefaßten künftigen Sozialgesetzbuch (SGB) XII gelten. Laut §20 des SGB XII können Mietschulden ausschließlich als Darlehen und auch nur dann übernommen werden, wenn der drohende Verlust der Wohnung die Aufnahme »einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung« verhindern würde.
Zwar stehen Leistungen zur »Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen« (künftig §35 SGB III) prinzipiell auch den Beziehern von ALG II zu — nach Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) allerdings nur auf dem Papier. »Die auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Agenturen für Arbeit werden auf die geschaffene Öffnungsklausel im ALG II zurückgreifen. Dies wird für die Betroffenen zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Durch die langen Antragswege und Interventionszeiten werden anhängige Räumungen bereits vollzogen sein, ehe das notwendige Verwaltungsverfahren für eine Mietschuldenübernahme durchlaufen ist«, prognostiziert Thomas Specht-Kittler, Geschäftsführer der BAGW. Die Organisation fordert deshalb die Streichung der restriktiven Regelung und die Möglichkeit, dass die Leistungen nach §35 SGB III allen Bezieher von ALG II offen stehen. Danach sollen Mietschulden dann übernommen werden, »wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht«.
Kerstin Bauer (PDS), Sozialstadträtin von Berlin Friedrichshain/Kreuzberg, teilt die Einschätzung der BAGW: »Die Regelungen aus dem Sozialhilferecht und dem BSHG bilden sich im ›Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt‹ aus meiner Sicht nicht ab. Der Schwerpunkt liegt im gesamten Gesetz tatsächlich auf arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Sollten die Pläne in der jetzigen Form umgesetzt werden, droht eine massive Zunahme von Obdachlosigkeit. Die Übernahme von Mietschulden wird nur noch bei Bruchteil unserer Klienten überhaupt in Betracht kommen. Folgerichtig wird der Wohnungsverlust drohen.«
Nach den neuen Gesetzen sei lediglich denkbar, dass der Sozialhilfeträger die Kosten für ein Notquartier übernimmt. Den Betroffenen bleibt dann nämlich nur noch eine ordnungsrechtliche Unterbringung in einer Pension. Denn selbst die bisher im BSHG vorgesehene Unterbringung in einer qualifizierten Betreuungseinrichtung ist nach Einschätzung von Bauer ausgeschlossen.
Die Stadträtin hat das Horroszenario, das dann auf die Kommunen zukommt, im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage exemplarisch für Friedrichshain/Kreuzberg durchgerechnet. So existieren im Bezirk 29 gewerbliche Pensionen mit 800 Plätzen, von denen rund 211 für Familien geeignet seien. Für Einpersonenhaushalte stünden in der Regel lediglich Quartiere in Mehrbettzimmern zur Verfügung. Nach Angaben der Sozialen Wohnhilfe waren im 2.Quartal 2003 im Bezirk 546 Personen ordnungsrechtlich untergebracht.
Zum gleichen Zeitpunkt lagen 277 gerichtliche Mitteilungen über Räumungsklagen; 99 wurden davon vollstreckt. Berlinweit waren es nach Angaben der Senatssozialverwaltung 3091, vollstreckt wurden 1449. Ursache hierfür ist jetzt schon die restriktive Praxis der Sozialämter, Mietschuldenübernahmen immer häufiger zu verweigern. Bei einer Umsetzung der Hartz-Gesetze rechnet die Sozialstadträtin Bauer für Friedrichshain/Kreuzberg mit einem weiteren spürbaren Anstieg. In dem Stadtteil leben, laut einer Anfang November vom Institut für angewandte Demografie vorgelegten Studie, mit 13,5% der Bewohner berlinweit die meisten Sozialhilfebeziehenden — die zukünftigen Klienten der Agenturen für Arbeit.
Auch die Wohnungswirtschaft schlägt Alarm. Nach Auskunft des Verbands der Berlin- Brandenburgischen Wohnungsunternehmen sind die Mietschulden allein bei den Mitgliedsunternehmen in der Hauptstadt von 69 Mio. Euro 1994 auf jetzt rund 180 Mio. Euro gestiegen. »Die Mietschulden steigen rasant. Weil die Tendenz weiter nach oben zeigt, haben einzelne Unternehmen inzwischen Sozialdienste eingerichtet, um Räumungen schon im Vorfeld zu verhindern«, sagt Vorstandsmitglied Wolfgang Bohleber. Der Verband verwaltet rund die Hälfte der in Berlin vermieteten Wohnungen.
Eine Beratergruppe, die im Auftrag des Senats Empfehlungen für den Ausbau präventiver Maßnahmen erarbeiten soll, legt im Frühjahr ihre Vorschläge vor.

Christian Linde

Aus: Motz, Berliner Straßenmagazin, Nr.5/04


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