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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 10

Journalistenstreik

Neue Zeitkampagne fällig

Sie haben sich gewehrt, doch es hat nicht gereicht. Länger arbeiten bei geringerer Bezahlung, um am Ende zum Abbau weiterer Stellen in den Redaktionen beizutragen — diese Zumutungen der Medienunternehmer konnten die Redakteurinnen und Redakteure der Tageszeitungen nur teilweise abwehren. Auch die größte Streikbewegung, die Journalisten in Deutschland je auf die Beine gebracht haben, war nicht stark genug, um eine falsche tarifpolitische Weichenstellung zu verhindern.

Es geht zurück! Zurück zu verlängerten Arbeitszeiten trotz rasant wachsender Produktivität: Je nach Lebensalter müssen die Redakteure, deren Mobilisierung nach vier Streikwochen erschöpft war, auf ein bis drei Urlaubstage verzichten und erhebliche Gehaltseinbußen hinnehmen.
Die aggressiv auftretenden Verleger konnten ihre Forderung, die tarifliche Arbeitszeit um 3,5 auf 40 Wochenstunden (unbezahlt) zu verlängern, zwar nicht durchsetzen. Dabei half, dass die Redakteure Unterstützung von Verlagsangestellten und Druckern erhielten, die in Solidaritätsstreiks traten. Doch darf dieser Teilerfolg nicht überbewertet werden. Die Verleger verhielten sich in dieser Frage nicht zufällig nachgiebig.
Bereits Ende der 90er Jahre hatten sie den Redakteuren die in einem Stufenplan vereinbarte 35- Stunden-Woche wieder abgepresst. Auch können sie davon ausgehen, dass selbst die tarifliche Arbeitszeit von 36,5 Wochenstunden in den meisten Redaktionen nur auf dem Papier steht — jedenfalls bisher, das mag sich nach dem Streik ändern.
Bislang arbeiten Redakteure ergebnisorientiert — d.h., sie arbeiten häufig unbezahlt mehr als 40 Wochenstunden. Die Bereitschaft, sich diesem Stress weiter auszusetzen, scheint vor allem in den häufig unterbesetzten Lokalredaktionen zu sinken, wie deren hohe Streikbeteiligung gezeigt hat. Anders sieht es in den immer noch von Statusideologien geprägten Zentralredaktionen aus. Deren Redakteure geben in den Zeitungen in der Regel den (neoliberalen) Ton an.
Viele haben sich nur zurückhaltend oder gar nicht (wie in Köln, Düsseldorf, Berlin, Leipzig und Hamburg) am Streik beteiligt. Der simplen Erkenntnis, dass Geld verschenkt, wer kostenlos Mehrarbeit leistet, folgt nur zögernd eigene Handlungsbereitschaft.
Auch ist die Bereitschaft der Betriebsräte, Arbeitszeiten in den Redaktionen zu dokumentieren und zu kontrollieren, trotz bester rechtlicher Grundlagen wenig ausgeprägt. Dieses Versäumnis will die Ver.di-Medienabteilung nun mit einer neuen Zeitkampagne unter Redakteuren korrigieren — eine der positiven Lehren aus der Tarifniederlage.
Beim Kampf um kürzere Arbeitszeiten geht es rückwärts ausgerechnet in einer Branche, in der die Folgen der digitalen Revolution brutal erfahrbar sind: Die Setzer wurden längst wegrationalisiert; heute dominieren riesige computergesteuerte Druck- und Versandmaschinen die Hallen der technischen Abteilungen, die fast menschenleer sind.

Halbierung der Belegschaften

Der »digitale workflow« hat inzwischen auch die Verwaltungsabteilungen erfasst. Analog zum »Home-Banking« verlagern die Verleger viele Arbeiten einfach auf ihre Kunden. Die »dürfen« am eigenen PC Anzeigen aufgeben oder die Urlaubsadresse für die Zeitungszustellung selbst eingeben — den Rest erledigen die Verlagscomputer. Da kann nicht überraschen, dass das Management der Zeitungen mit deutlich sinkenden Beschäftigtenzahlen plant — bis hin zur (erneuten) Halbierung der Belegschaften binnen weniger Jahre.
Das hindert die Verleger nicht, gleichzeitig auch für diese Beschäftigten erhebliche Arbeitszeitverlängerungen zu fordern: 64% des gesamten Tarifwerks für die Druckindustrie haben sie zur Disposition gestellt, was einen harten Arbeitskampf im Frühjahr 2005 vorprogrammiert.
Übrigens: Große Rationalisierungspotenziale gibt es nicht nur bei Zeitungen. Nach Berechnungen, die die Unternehmensberatung McKinsey bereits Ende der 90er Jahre vorgelegt hat, könnten bei Anwendung des höchsten Standes der verfügbaren Technik in deutschen Firmen und Verwaltungen in kürzester Zeit 9 Millionen Arbeitsplätze wegfallen; die Arbeitslosigkeit würde dadurch auf 38% steigen (siehe Michael Buckmiller in »Weniger Arbeit — weniger Demokratie«, Offizin-Verlag).
Die Gehaltskürzungen führen ebenfalls zu mehr Arbeitslosigkeit, weil sie die Kaufkraft, also die Nachfrage verringern. In der Öffentlichkeit ist dieses Wissen wenig verbreitet. Viel Glauben finden stattdessen immer noch die Unternehmer-Märchen, Mehrarbeit und Lohnverzicht sicherten Arbeitsplätze. Aufzuklären, dass das Gegenteil stimmt, ist vorrangig gewerkschaftliche Aufgabe, um die Offensive der Unternehmer zu stoppen.
Während der Tarifrunde der Redakteure war viel von »der Krise« der Zeitungsbranche die Rede. Die Verleger predigten Opferbereitschaft mit Hinweis auf sinkende Anzeigeneingänge und die stagnierende Konjunktur. Besonders aggressiv tat sich der Vertreter des Axel-Springer-Verlags hervor. Einen Tag nach der Tarifniederlage der Redakteure stellte dieser Verlag, der größte Zeitungskonzern Europas, seine Bilanz für das Jahr 2003 vor. Danach hat er seinen Jahresüberschuss auf 130 Millionen Euro verdoppelt und alle Schulden abgebaut, obwohl die Anzeigenerlöse um 6% sanken. Die Dividende soll um 0,65 auf 1,20 Euro erhöht werden.
Die Gewerkschaftsbewegung sollte sich auf ein neues gemeinsames Ziel verständigen: die Vier-Tage-Woche mit 28 Arbeitsstunden. Nach dem heutigen Stand der Technik ist sie längst fällig.

Reinhold Russbad

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