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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 12

Broschüre über Stand und Perspektiven der europäischen Gewerkschaftslinken

Maulwurfshügel

Hinter großen Mobilisierungen und Arbeitskämpfen, die wie Maulwurfshügel über Nacht auf der grünen Wiese entstehen, verbirgt sich — bei aller Spontaneität — immer auch ein komplizierter Vorbereitungs- und Aushandlungsprozess verschiedener sozialer und politischer Kräfte im Vorfeld. Die Demonstration von 100000 Menschen am 1.November letzten Jahres in Berlin, die das Klima der Passivität und Resignation durchbrach und den Boden für die folgenden Studierendenproteste bereitete, ist dafür ein gutes Beispiel: Der Standhaftigkeit der verschiedenen linken Strömungen innerhalb- und außerhalb der Gewerkschaften ist es zu verdanken, dass ein deutliches Zeichen gegen die Agenda 2010 gesetzt wurde.
Ähnlich verhält es sich bei Bewegungen in den europäischen Nachbarländern. Selbst wenn jedoch über die dortigen gesellschaftliche Kämpfe berichtet wird — was selten genug der Fall ist, wie die Beispiele der wilden Streiks in Italien oder der Streikbewegungen in Griechenland im vergangenen Herbst belegen —, ist es für Außenstehende äußerst schwer, diese Auseinandersetzungen einzuordnen und zu bewerten.
Das Gewerkschaftsforum Hannover, ein Zusammenschluss linker Gewerkschafter, hat nun eine Broschüre mit Positionen linker Gewerkschaftsaktiven aus neun europäischen Ländern vorgelegt, die zur Schließung dieser Lücke beiträgt. In Form von Interviews kommen erfahrene Gewerkschaftsaktive zu Wort wie Bent Gravesen, Hauptverantwortlicher für Gewerkschaftsfragen in der Sozialistischen Volkspartei Dänemarks, oder Antonio Doctor, u.a. Gewerkschaftsvertreter bei Opel Zaragoza.
Kurz und prägnant werden die wesentlichen Entwicklungslinien der jeweiligen Arbeiterbewegung und die Charakteristika der Lebens- und Arbeitsverhältnisse dargestellt. Auch wenn aktuelle Aspekte wie größere Klassenbewegungen in den letzten Jahren oder die innenpolitischen Folgen des »Krieges gegen den Terrorismus« eine Rolle spielen, geht es vorrangig um grundlegende Strukturen und Tendenzen, etwa die sozialökonomischen Besonderheiten des Landes, den gewerkschaftlichen Organisationsgrad in verschiedenen Sektoren oder die Organisierung von Frauen, Prekarisierten und Migranten.
So unterschiedlich die Aussagen der verschiedenen Interviewpartner auch ausfallen: Es wird überdeutlich, dass die Offensive auf die Rechte der Lohnabhängigen eine europaweite Angelegenheit ist, die sich in den einzelnen Ländern zwar verschieden gestaltet, in den grundlegenden Inhalten und Zielen jedoch kaum variiert. Im Kern handelt es sich um ein gesamteuropäisches gesellschaftliches Rationalisierungsprogramm, das neben einer Verlängerung der Arbeitszeiten (sei es die Lebens- oder Wochenarbeitszeit) und deren Flexibilisierung (d.h. eine prinzipiell ständige Verfügbarkeit der Arbeitskräfte unabhängig von der Tageszeit oder vom Wochentag) eine Senkung der Soziallöhne (also auch der Lohnnebenkosten, der Renten, der Arbeitslosenunterstützung usw.) und der Einschränkung bzw. den Abbau von Arbeiterrechten wie Kündigungsschutz oder Streikrecht umfasst.
Manche nicht unwichtigen Länderbeispiele fehlen ebenso wie bestimmte Themen (ökologische Krise und Alternativen der Vergesellschaftung). Doch trotz dieser Mängel, die den geringen Stand europäischer Kooperation im linksgewerkschaftlichen Bereich zum Ausdruck bringt, stellt das Heft einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die Überwindung der nationalen Grenzen im gewerkschaftlichen Bereich dar.
Gregor Kritidis

Die europäische Gewerkschaftslinke. Erfahrungen, Positionen, Diskussionen (Hg. Gewerkschaftsforum Hannover), Hannover 2003, 72 S., 3 Euro (mit Beiträgen aus den Niederlanden, Dänemark, Österreich, Deutschland, Italien, Spanien, Großbritannien, Frankreich und Griechenland). Zu bestellen über Gewerkschaftsforum Hannover, H.Brückner, Kötnerholzweg 48, 30451 Hannover.



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