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Vor zwanzig Jahren wurden sie in Südkorea mit volkswirtschaftlichem Stolz »Soldatinnen des Exports«
tituliert und in Hongkong als »Heldinnen des Wirtschaftswunders« gefeiert die Frauen in den arbeitsintensiven Exportindustrien.
Jede fünfte Einwohnerin von Pusan zum Beispiel, der zweitgrößten Stadt
Südkoreas, war damals in der Schuhindustrie beschäftigt, praktisch in jeder Familie eine Person. 1988 wurden in Pusan so viele Sportschuhe
produziert wie in keinem anderen Ort der Welt. Dann begann die große Abwanderung: Die Turnschuhkonzerne vergaben Aufträge nach Thailand,
Indonesien, Vietnam und China. Dort seien »die Arbeiterinnen billiger und weniger aufmüpfig«, erklärten die Manager den entlassenen
Frauen in Pusan. Zwischen 1990 und 1994 schlossen 580 Fabriken ihre Tore. Mitte der 90er Jahre waren nur noch 10% der 1988 164000 in der Schuhindustrie
Beschäftigten in Lohn und Brot.
Ein ähnlicher Schrumpfungsprozess fand in Hongkong statt. Durchnummeriert
Factory 1,2,3… stehen die Fabrikblocks wie stumme schäbige Denkmäler des Industriezeitalters heute leer.
Zeitversetzt ist der gleiche Deindustrialisierungsprozess im Augenblick in Thailand,
Indonesien, Sri Lanka und den Philippinen im Gange. In diesen Ländern hatten sich die Arbeiterinnen gewerkschaftlich organisiert und
Lohnerhöhungen erkämpft. So zum Beispiel Khun Sripai, die in einer Textilfabrik in Bangkok eine Betriebsgewerkschaft aufbaute. Jetzt ist sie
gerade einmal 30 Jahre alt und »überflüssig gemacht worden«. Der Betrieb, in dem sie 15 Jahre an Nähmaschinen gesessen hatte,
machte dicht. Ein andere Beschäftigung findet sie nicht mehr »null Chancen in meinem Alter und dann noch Gewerkschafterin«, sagt
sie bitter.
Das »Rennen nach unten«, der brutale Unterbietungswettbewerb, schleudert
Exportarbeiterinnen in immer mehr südostasiatischen Ländern auf die Straße. Wo in Raten entlassen wird, müssen überall zuerst
die »Alten« und die gewerkschaftlich Organisierten dran glauben. »Alt« sind die Frauen, wenn sie Ende zwanzig sind.
Zunächst, berichtet Khun Sripai, wurde der Produktivitätsdruck erhöht und
die Lohndrückerei. Mehr Maschinen wurden eingesetzt, aber nichts für die Sicherheit am Arbeitsplatz getan. Viele Arbeiterinnen litten an Augen-,
Atem- und Hautproblemen aufgrund des Textilstaubs oder der Chemikalien in den Stoffen.
Die große Zahl von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen in
thailändischen Industriebetrieben ist ein Indikator für geringe Schutzvorkehrungen und die Missachtung von sozialen und ökologischen
Standards. Unvergessenes Fanal ist das Feuer in der Spielzeugfabrik Kader, in dem 1993 188 Arbeiterinnen ihr Leben verloren und fast 500 verletzt wurden.
Produktionskosten lassen sich auch senken, wenn Herstellungsschritte aus dem Betrieb in den
informellen Sektor ausgelagert werden. Oft entließen Firmen Arbeiterinnen, boten ihnen aber an, als Zulieferinnen Unteraufträge auszuführen.
Die Frauen kauften mit einem Kredit Nähmaschinen und nähten die von den Firmen zugeschnittenen Teile von Schuhen oder Kleidung in
Heimarbeit oder kleinen Werkstätten mit fünf bis zehn Frauen zusammen. Der Stücklohn, den die Näherinnen in den kleinen
Sweatshops oder als »Ich-AG« daheim verdienten, lag erheblich unter ihrem früheren Verdienst in der Fabrik.
Jetzt versuchen die Agenten, die Löhne weiter zu drücken, Aufträge
kommen seltener rein, das Einkommen reicht kaum noch für die täglichen Nudelsuppen, und die Schulden können nicht zurückbezahlt
werden.
Hinter dieser Umstrukturierung der Arbeitsmärkte steht eine neue Verlagerungswelle von Produktion durch die großen Bekleidungs- und
Sportschuhkonzerne: Es gehen immer weniger Aufträge in die Schwellenländer und neuindustrialisierten Länder Südostasiens und
immer mehr an den Weltmeister des globalen Unterbietungswettbewerbs, nach China. Verlagert wird aus zwei Gründen: die Billigstlöhne dort und
das Ende des Multilateralen Textilabkommens im Jahr 2005.
Dieses Abkommen garantierte den kleinen Exportproduzenten bisher nach einem komplizierten
Quotensystem Zugang zu den Konsummärkten Europas und Nordamerikas. Wenn die Sonderregelungen 2005 auslaufen, steht der Weltmarkt für
China als neuem Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) offen, und Niedrigpreise werden einmal mehr zum marktentscheidenden Kriterium in der
globalen Konkurrenzschlacht werden. Die Weltbank schätzt, dass sich Chinas Anteil an den weltweiten Textilexporten von 20% im Jahre 2002 auf 47%
im Jahre 2010 steigern wird.
Aus diesem Grund investieren schon jetzt viele koreanische und taiwanesische Hersteller in
China, und Textilkonzerne verschieben ihre Produktionsaufträge ins Billig-El-Dorado, um sich gute Startpositionen zu verschaffen. In kein anderes Land
der Welt sind in den vergangenen beiden Jahren so viele ausländische Investitionen geflossen wie nach China. In Mauritius, Indonesien und Sri Lanka
versuchen einige Unternehmer Marktnischen ausfindig zu machen oder auf die Herstellung von Hochqualitätsware umzusteigen, um wenigstens einen Teil
der Produktion zu erhalten.
In der Ausflugsschneise, die die Unternehmen in den südostasiatischen Ländern
hinter sich lassen, verlieren Millionen Exportarbeiterinnen ihren Job. Was wird aus den Frauen, die ein paar Jahre zuvor noch als die Jobgewinnerinnen der
Globalisierung galten? Es gibt kein Netz von Sozial- und Arbeitslosenversicherung, das sie auffängt. Die wenigsten finden einen neuen Job.
Absurderweise reichen ihre Fähigkeiten nicht, um als selbstständige Schneiderin zu arbeiten. Denn in den Fabriken haben sie jahrelang lediglich
Ärmelnähte geschlossen, Knopflöcher fabriziert oder Taschen in Jeans genäht nie aber ein ganzes Kleidungsstück
hergestellt.
Verzweifelt versuchen sie, als Kleinhändlerin, Hausangestellte oder mit anderen
Tätigkeiten im informellen Sektor ein Einkommen zu erwirtschaften. Wegen mangelnder Ausbildung schaffen die wenigsten den Umstieg in den
qualifizierten Dienstleistungssektor. Zudem gelten sie als alt und verbraucht. In Südkorea boomt derzeit die kosmetische Chirurgie: Frauen lassen sich
liften oder verschönern, um ihre Chancen in der Dienstleistungsbranche zu verbessern.
Zwar werden immer mehr junge qualifizierte Frauen in den Arbeitsmarkt integriert, aber nach
dem Just-in-time-Prinzip: punktgenau angeheuert, wo es an Arbeitskräften fehlt, und als erste gefeuert, wenn die wirtschaftliche Lage sich verschlechtert
oder die Frauen keine Höchstleistungen mehr bringen. Die Krisenanfälligkeit der Arbeitsmärkte und ihr immer schnellerer Umbau trifft
Frauen heftig.
Als in Hongkong bereits Ende der 80er Jahre Zigtausende Exportarbeiterinnen auf der
Straße standen, ließen sich viele als Pager-Schreiberin ausbilden. Pager fanden damals als SMS-Vorläufer eine rasche Verbreitung in
Hongkong: Statt beim Anrufbeantworter hinterließen Anrufer ihre Nachricht bei einer Call-Center-Agentin. Die schrieb sie auf und übermittelte sie
auf den Display des Pagers. Dazu mussten die Frauen lernen, chinesische Schriftzeichen auf Schreibmaschinen zu tippen. Genau fünf Jahre dauerte der
Pagerboom. Dann verbreiteten sich in noch rasanterem Tempo Mobiltelefone, und der Pagerspuk war vorbei. Die Frauen standen wieder auf der Straße.
Viele leben seitdem mehr schlecht als recht von Gelegenheits- und Putzjobs.
Hundert Kilometer weiter nördlich, in der Sonderproduktionszone von Shenzhen in
China, schuften jetzt Hunderttausende junge Frauen, frisch zugewandert aus ländlichen Regionen, unter miesesten Bedingungen 1214 Stunden pro
Tag, bestenfalls für den Mindestlohn von 40 Cent pro Stunde, meistens aber für weniger; Überstunden werden meist nicht bezahlt. Sie
löten Halbleiter, produzieren Spielzeug, nähen Sportschuhe und T-Shirts für den nimmersatten Weltmarkt.
Stolz verkündet die chinesische Regierung, sie könne die niedrigen Löhne
mindestens zwei Jahrzehnte halten. Solange kann sie mit einem sicheren Nachschub weiblicher Arbeitskräfte vom Land rechnen. Schneller Umschlag von
Waren und Arbeitskräften belebt das Geschäft. Die Verschleißindustrien entlassen ihre Kinder.
Was machen Gewerkschaften, wenn ihre Mitglieder in Scharen entlassen werden? »Sie sterben oder sie verändern sich«, ist die lapidare
Antwort von Arunee Srito, die von der Bangkoker Textilfirma Thai Durable gefeuert wurde. Von den früher 4200 Beschäftigten sind nur noch 1000
übrig geblieben. Die Betriebsgewerkschaft Thai Kriang schrumpfte, aber sie starb nicht, weil sie sich veränderte. Einige hundert entlassene Frauen
sind immer noch Mitglied, und neue Mitglieder, die nicht bei Thai Durable arbeiten, sind dazu gekommen.
In den 80er Jahren erkämpfte die Thai-Kriang-Gewerkschaft bessere Löhne, in
den 90er Jahren den Mutterschutz, jetzt stehen soziale Sicherungssysteme ganz oben auf der Tagesordnung und der Kampf gegen die Diskriminierung
älterer Frauen. Außerdem bieten sie in Kooperation mit dem »Netzwerk erwerbsloser Arbeiterinnen« den Mitgliedern Fortbildung an
und unterstützen sie bei der Gründung von Kooperativen oder von »Ich-AGs«.
Sripai, früher Textilarbeiterin und Gewerkschafterin, organisiert heute
Heimarbeiterinnen und baut Kooperativen auf. »Als ich in der Fabrik arbeitete, habe ich nur unsere Arbeitsprobleme beachtet. Als wir uns mit anderen
Betriebsgewerkschaften austauschten, lernten wir zu kämpfen. Als wir Arbeiterinnen und Gewerkschafterinnen aus anderen Ländern trafen, fingen
wir an, nach Lösungen zu suchen.«
Tatsächlich fand in den letzten 15 Jahren kontinuierlich ein Austausch zwischen
Arbeiterinnenorganisationen in Süd- und Ostasien statt, vermittelt von dem Frauennetzwerk CAW. So lernten die Thailänderinnen von den
Südkoreanerinnen, wie sie für Mutterschutz und Kinderbetreuung lobbyieren und kämpfen können, und dass sich gewerkschaftliche
Organisationen im Prozess der Deindustrialisierung öffnen und verändern müssen. Transnationaler Austausch und Vernetzung sind ihre
Antwort auf das Taktieren der transnationalen Konzerne. »Alle beschäftigten und erwerbslosen Arbeiterinnen müssen sich wehren, sonst
werden sie auf den Märkten schneller verschlissen, als die Stoffe, die sie zusammennähen«, meint Arunee, »und sie müssen ganz
neue gewerkschaftliche Organisationen erfinden.«
Nach jahrelangem Rechtsstreit hat gerade die Frauengewerkschaft in Seoul das Recht
bekommen, den Namen Gewerkschaft zu tragen. Bisher hatte sich die koreanische Regierung geweigert, eine Organisation als Gewerkschaft anzuerkennen,
deren Mitglieder erwerbslos sind und keine Arbeitgeber als Gegenüber haben. Daneben sind auf regionaler und globaler Ebene neue Netzwerke von
informell Arbeitenden und Erwerbslosen entstanden, so Homenet, eine Organisation von Heimarbeiterinnen, und Streetnet, in der sich
Straßenhändlerinnen organisieren. Sie kämpfen national wie auch transnational für Rechte und soziale Sicherung.
Christa Wichterich
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