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Der Anbau von gentechnisch manipulierten Pflanzen, insbesondere von Soja, nimmt in Brasilien stark zu. Trotz erheblicher Widerstände aus der
brasilianischen Gesellschaft und aus der regierenden PT hat die Regierung Lula den Anbau von Gensoja im September letzten Jahres wie bereits die
Vorgängerregierung durch ein Präsidialdekret erlaubt, wenn auch befristet und mit Auflagen verbunden. Warum dies?
Angesichts der vorgefundenen Lage und der Tatsache, dass wir selbst vom Ausmaß der bereits mit Gensoja bestellten landwirtschaftlichen
Flächen, insbesondere in Rio Grande do Sul, überrascht waren, blieben der Regierung nur zwei Handlungsalternativen: entweder das Verbrennen
der Produktion und/oder ihr Export, aber beide waren nicht zu verwirklichen.
Angesichts der bereits erfolgten Verunreinigung von Anbauflächen entschied sie sich
dazu, die Landwirte nicht zu bestrafen und erließ das Präsidialdekret 113, mit dem ausnahmsweise der Verkauf der Ernte 2002/2003 erlaubt wurde.
Die Verantwortung dafür lag allerdings bei der Vorgängerregierung Cardoso. Das zweite Präsidialdekret, das den Anbau von Gensoja
für 2003/2004 zulässt, halten wir für einen Fehler der Regierung. Angesichts der Schwierigkeiten mit der Umsetzung der geplanten Reformen
und des kurzen Zeitraums, der noch vor der Aussaat blieb, versuchte die Regierung zu vermitteln. Sie zielt darauf ab, an den Reformvorhaben festzuhalten und
den Fokus der Debatte auf das Projekt zum Schutz des Biosphäre zu lenken, was in diesem Zusammenhang viel entscheidender ist, aber derzeit auch viel
schwieriger in der Durchsetzung.
Wer hat schließlich den Nutzen von den Genpflanzen?
Nutznießer sind in erster Linie die landwirtschaftlichen Produzenten, die geringere Kosten und weniger Aufwand geltend machen. In zweiter
Linie haben wir den Konzern Monsanto und EMBRAPA (Brasilianische Forschungsgesellschaft für Ackerbau und Viehzucht), die ihre Patentrechte auf
das Saatgut vermarkten, und, insbesondere Monsanto, sowohl Saatgut als auch die dazu gehörigen Herbizide verkaufen können.
Das Land verliert unmittelbar mit den Genpflanzen und mittelbar mit dem Verlust der
großen Alternative, nämlich im Weltmaßstab frei zu bleiben von genmanipuliertem Soja. Unglücklicherweise war es mit Blick auf das
Kräfteverhältnis in Brasilien und angesichts des Entscheidungsdrucks, mit dem die Sache angegangen wurde, nicht möglich, sich der Lobby
von Monsanto und der großen landwirtschaftlichen Unternehmen erfolgreich entgegenzustellen.
Diese Lobby darf nicht unterschätzt werden, und der Zuspruch, den die Genpflanzen
selbst aus den Reihen der kleinbäuerlichen Betriebe erfahren, ist nicht ohne Bedeutung. So bin ich mir durchaus bewusst, dass ich einen Teil meiner
gesellschaftlichen Basis auf dem Land durch meine klare Haltung in der Genfrage verloren habe und ich erlebe, wie verschiedene Abgeordnete, die
genmanipulierte Pflanzen bisher abgelehnt haben, inzwischen ihre Position ändern.
Aber durch die Forderungen aus dem Patentrecht, die bisher keine Rolle gespielt haben, weil
genmanipuliertes Soja Schmuggelware und illegal war, sehen wir jetzt, wie zweideutig die Sache mit dem Gensoja ist. Das stärkt wiederum unsere
Position, denn wir haben von Anfang an auf diese Gefahr hingewiesen. Wir wurden allerdings nicht ernst genommen aufgrund des fanatischen Klimas, das die
Befürworter der Genmanipulation über die großen Medien, über Agronomen, Genossenschaften und landwirtschaftliche
Interessenverbände erzeugt hatten.
Wie schätzt du den Ausgang der Auseinandersetzung um das Projekt Schutz der Biosphäre ein?
Mit dem Projekt Schutz der Biosphäre haben wir einen Erfolg erzielt. Der Druck in beiden Häusern des Kongresses, auf den die
Befürworter der Genmanipulation ihre Aktivitäten konzentriert hatten, war enorm. Das Thema wurde in der Mehrheit der Parteien kontrovers
diskutiert. Das Auftreten des Abgeordneten Aldo Rebelo [zählt zum Regierungslager, ist aber ein Verfechter der Gentechnik] führte leider zu
Konzessionen an die Befürworter und zu einer Änderung des Regierungsentwurfs, was wiederum die Gegner noch stärker auf den Plan rief.
Nach dem Vermittlungsverfahren haben wir dennoch alles in allem ein positives Ergebnis.So
wird die Forschung zwar freigegeben, aber gleichzeitig wurde ein Ministerrat gebildet, der über die Vermarktung und den Anbau entscheidet. Dies
gewährleistet die Prüfung der Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit vor der Zulassung und sieht den ausnahmsweisen Anbau in
Übereinstimmung mit den Regeln des Präsidialdekrets vor. Das Gesetz muss zwar noch durch den Senat, aber seine Verabschiedung im
Abgeordnetenhaus rief bereits große Empörung bei Monsanto und beim Agrobusiness hervor. Der Gesetzentwurf geht in Ordnung und findet
Zustimmung von Seiten der Umweltbewegung.
Nach neuesten statistischen Zahlen spielt Brasilien bei einer Reihe von Landwirtschaftsprodukten, Orangensaft, Soja, Geflügel usw., in der
Weltliga. Dennoch leiden immer noch Millionen Menschen in Brasilien an Hunger und Unterernährung. Seit der Regierungsübernahme einer
Koalitionsregierung unter Führung der PT läuft eine landesweite Kampagne gegen den Hunger, und Präsident Lula hat unlängst auf
einer Ausstellung über die Aktivitäten der Kampagne in Rio erklärt, dass in Brasilien niemand hungern müsste, wenn die Einkommens-
und Sozialstrukturen anders wären.
Ich teile Lulas Meinung in dieser Frage und denke, dass seine Aussage die Meinung der ganzen Regierung wiedergibt. Sie kämpft gegen soziale
Ausgrenzung, für industrielle und allgemeine Entwicklung des Landes sowie für die Ausweitung des internationalen Handels.
Unser großes Hindernis sind die Wirtschaftspolitik und die Abhängigkeit des
Landes vom Ausland. Hinzu kommen der mangelnde Zugang der Mehrheit der Bevölkerung und der Kleinbetriebe zu Informationen und Krediten, was die
soziale Ausgrenzung verschärft. Die Regierungspolitik zielt auf ein allmähliches und beständiges Wachstum der Wirtschaft ab und setzt auf
das enorme Potenzial unseres Landes. Wir sind aber immer noch mit dem Rückstand in Forschung und Technologie und dem Fehlen von Ressourcen auf
vielen Gebieten konfrontiert.
Handelt es sich bei der Kampagne »Null Hunger« nicht mehr um Publicity als um strukturelle Veränderungen, die die Ursachen
des Hungers und den gesellschaftlichen Ausschluss von großen Teilen der Bevölkerung tatsächlich beseitigen können?
Bei der Kampagne »Null Hunger« handelt es sich nicht um ein abgeschlossenes Programm. Es wird bis auf die lokale Ebene diskutiert. In
einem ersten Schritt lässt die Regierung über einen Zeitraum von 18 Monaten Lebensmittelkarten im Wert von 50 Reais pro Monat an arme
Familien verteilen. Pakete mit Grundnahrungsmitteln werden auf Wunsch der Landlosenbewegung MST nur an Landbesetzer und die Bewohner anerkannter
Landnahmen verteilt. Die MST ist für die Verteilung verantwortlich. Mit der Idee der Karte anstatt der Lebensmittelzuteilung will man die Nachfrage und
die örtliche Produktion von Lebensmitteln steigern.
In dieser ersten Phase des Programms geht es vor allem darum, die Menschen aus dem
Teufelskreis der Armut zu holen, ihnen zu helfen, an Alphabetisierungsprogrammen teilzunehmen und sich in die Gesellschaft zu integrieren. In einer zweiten
Phase geht es um ihre Integration in den Produktionsprozess durch die Verzahnung des Programms mit Arbeits- und
Einkommensförderungsmaßnahmen, wie z.B. in der Solidarwirtschaft, in kleineren Unternehmen, landwirtschaftlichen Familienbetrieben und
kleineren landwirtschaftlichen Verarbeitungsbetrieben.
Die PT hat sich traditionell für eine Landreform eingesetzt, weil die Landkonzentration in Brasilien schreiende Ungerechtigkeiten verursacht,
die Landflucht anhält und Millionen Menschen auf dem Land, aber auch in den städtischen Ballungsgebieten, unterhalb der Armutgrenze leben.
Bisher sind die von der Regierung Lula versprochenen Landzuteilungen und Ansiedlungen weit hinter den Erwartungen und eigenen Versprechen zurück
geblieben. Woran liegt das?
Der neue Nationale Plan für die Agrarreform (PNRA) ist sicher nicht das Optimale, aber das derzeit Mögliche. Er zielt auf die Schaffung
von lebensfähigen Ansiedlungen mit Infrastruktureinrichtungen ab. Er unterscheidet sich dabei ganz klar von der Landwirtschaftspolitik der
Vorgängerregierung. Dies angesichts der enormen Erwartungen in der PT, der Fraktionierungen in der Agrarreformbewegung selbst, in der es etwa 16
Strömungen gibt, sowie angesichts der enormen Differenzen in der Regierung selbst, in der zwei Minister sitzen, die in Bezug auf die
Landwirtschaftspolitik ganz andere Vorstellungen haben. Es ist gelungen, einen machbaren und gemeinsam mit den Sozialbewegungen umsetzbaren Plan
aufzustellen.
Die überkommenen Strukturen in Brasilien erschweren die Landreform, so bspw. das
Nationale Institut für Ansiedlung und Landreform (INCRA), dem es hinten und vorne an Personal für die Überwachung und Erhebung von
unproduktiv genutzten Flächen fehlt. Die Aufwertung der Landwirtschaft durch die Regierung und die auf diesem Gebiet erzielten Ergebnisse zusammen
mit günstigen Wetterbedingungen und verbesserten Erzeugerpreisen haben bereits zu einer Aufwertung der Agrarflächen geführt. Ein
weiteres historisches Problem, das die Enteignung von Latifundien erschwert, ist die Gerichtsbarkeit.
Die PT hat sich neben der Überwindung des häufig unproduktiven Großgrundbesitzes immer für die massive
Förderung der kleinbäuerlichen Familienbetriebe eingesetzt. Gilt diese programmatische Position auch in der Koalitionsregierung weiter oder liegt
der Schwerpunkt der Landwirtschaftspolitik nicht doch immer noch klar im Agrobusiness?
Das Regierungsprogramm sieht die friedliche Koexistenz beider Typen von Landwirtschaft vor und daran hält sich die Regierung auch.
Über das Agrobusiness kann Brasilien seine Handelsbilanz verbessern, denn es handelt sich um den wichtigsten Exportsektor. Aber auch die
familiäre Landwirtschaft trägt dazu bei, denn vor allem in diesem Bereich werden Lebensmittel erzeugt. Sie trägt zu 70% zum Binnenmarkt
bei und zu 30% zum Export. Daraus ergibt sich, dass die Unterstützung der bäuerlichen Familienbetriebe nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht
wichtig ist, sondern auch vom Standpunkt eines Entwicklungsmodells, das sich in die Gesamtpolitik unserer Regierung einfügt.
Wenn unter früheren Regierungen die bäuerlichen Familienbetriebe als
wirtschaftlich unwichtig angesehen wurden, so gibt es heute einen gewissen Konsens in dieser Frage, und die Regierung trägt insbesondere über das
Ministerium für landwirtschaftliche Entwicklung zu seiner Festigung bei. Für die landwirtschaftlichen Familienbetriebe hat die Regierung 2003
allein 3,8 Milliarden Reais investiert, doppelt soviel wie die Vorgängerregierung.
Die Neuorganisation der technischen Unterstützung, bei der früher nur sechs
Bundesländer auf öffentliche Zuschüsse zurückgreifen konnten, führte auch zu besseren Strukturen bei Neuansiedlungen im
Rahmen der Agrarreform. Die Bundesländer verfügen jetzt über mehr Ressourcen. Der neue Agrarreformplan ist sicherlich der mutigste und
demokratischste, den wir je in unserer Geschichte hatten.
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