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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2004, Seite 8

Historischer Rückblick

Kampf um Arbeitszeitverkürzung

Der Streit um die Arbeitszeit ist so alt wie die Arbeiterbewegung. Bereits 1871, als noch der 12-Stunden-Tag die Regel war, forderte die Sozialdemokratie eine Arbeitszeitverkürzung auf 10 Stunden täglich und 60 Stunden in der Woche. Viele Arbeitskämpfe dienten diesem Ziel, auch wenn sie zunächst verloren wurden. Wer kennt nicht das Bild der entschlossen dreinschauenden, streikenden Textilarbeiterinnen von Crimmitschau (Sachsen) von 1903/04. Sie wurden sogar von den Bürgerinnen »moralisch, organisatorisch und agitatorisch« unterstützt. Die Unternehmer beantworteten den Streik mit Aussperrungen. Das bedeutete für viele Familien noch mehr Armut. Erst fünf Jahre nach Ende des Streiks wurde der Maximalarbeitstag der gewerblichen Arbeiterinnen in Sachsen auf zehn Stunden herabgesetzt.
Auf dem Internationalen Sozialistenkongress von 1889 in Paris wurde der 1.Mai als internationaler Kampftag zur Durchsetzung des 8-Stunden-Tags als Normalarbeitstag proklamiert. Die Sozialdemokratie setzte große Hoffnungen auf den 8-Stunden-Tag. In einer Festschrift zum 1.Mai 1890 heißt es: »Die geistige und sittliche Bildung des Arbeiters werden sich veredeln. Der Arbeiter wird mit einem Worte Mensch werden, er wird seine Menschenwürde wieder gewinnen, die Freuden des Lebens werden auch ihm erblühen.« Die Mai-Demonstrationen wurden nach dem großen Erfolg der ersten Aufmärsche nun jährlich gefeiert. Die Forderung des 8-Stunden-Tags für alle Arbeiterinnen und Arbeiter fand Eingang in das Erfurter Programm der Sozialdemokratie von 1891.
Vor 1933 war der 1.Mai ein »normaler« Arbeitstag, an dem sich gewerkschaftlich organisierte Arbeiter die Freiheit nahmen, nicht in die Fabrik zu gehen. Nicht selten antworteten die Unternehmer mit wochenlanger Aussperrung oder Entlassung. Bis zum Ersten Weltkrieg prägte die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag die Kundgebungen zum 1.Mai: Je acht Stunden Arbeit, Schlaf und Erholung sollten den Tag bestimmen. Den Unternehmern konnten nur schrittweise einzelne freie Stunden abgerungen werden. Die 54-Stunden-Woche galt zu Beginn des Ersten Weltkriegs schon als Fortschritt. Erst nach Kriegsende, mit der Revolution von 1918, wurde in Deutschland die alte Forderung der Arbeiterbewegung nach einem Normalarbeitstag von 8 Stunden erfüllt. Die Wochenarbeitszeit betrug nun 48 Stunden. Für die Notwendigkeit der Arbeitszeitverkürzung wurden nun nicht mehr ausschließlich Gründe der Gesundheit und psychischen Leistungsfähigkeit der Arbeitenden angeführt, sondern auch die Sicherung von Arbeitsplätzen.
Schon bald wurde die Errungenschaft wieder in Frage gestellt. Die wirtschaftlichen Krisenzeiten der 20er Jahre erschwerten den Kampf der Gewerkschaften um den Erhalt des 8-Stunden-Tags. »Maßgebende Kreise der Wirtschaft«, unterstützt durch »auf diesem Gebiete führende Universitätslehrer« vertraten die Auffassung, dass die tägliche Arbeitszeit über 8 Stunden hinausreichen müsse. Aber auch führende Sozialdemokraten forderten bald die »volle Ausnutzung der Arbeitskraft sowohl bei den Behörden wie in der Privatwirtschaft«. Ab 1923 ließen die Arbeitszeitordnungen so viele Ausnahmen zu, dass von einem 8-Stunden-Tag in Deutschland nicht mehr gesprochen werden konnte. Im Zuge der Aufrüstung während der Nazidiktatur wurde der 8-Stunden-Tag völlig außer Kraft gesetzt. Der 1.Mai wurde ab 1933 zum »Tag der nationalen Arbeit« umfunktioniert und zum Feiertag erklärt. Am 2.Mai 1933 besetzte die SA überall in Deutschland die Gewerkschaftshäuser. Die Gewerkschaften wurden verboten, viele Aktivisten verfolgt und ermordet.
Der 8-Stunden-Tag und eine Maifeier in Freiheit konnten erst nach der NS-Diktatur wieder etabliert werden. Der 1.Mai wurde 1948 zum ersten Mal nach Kriegsende wieder festlich begangen. Mit der Forderung »40 Stunden sind genug« schlugen die Gewerkschaften 1955 eine Brücke zur Diskussion in der Zeit vor 1933: Im Zeichen hoher Erwerbslosigkeit sollte Arbeitszeitverkürzung dazu führen, dass die Arbeit gleichmäßiger verteilt wurde. Doch erst in den 60er Jahren gelang es, schrittweise den 8-Stunden-Tag und die 5-Tage-Woche zu verwirklichen.
»Drei gute Gründe« hatte die IG Metall für ihren Mitte der 80er Jahre tobenden Kampf um die Arbeitszeitverkürzung genannt: Arbeitsplätze sichern und schaffen; Arbeit humanisieren; Leben und Gesellschaft gestalten. Am 1.April 1985 wurde die Wochenarbeitszeit in der Metallindustrie auf 38,5 Stunden verkürzt, 1988 auf 37,5, 1993 auf 36 Stunden und am 1.10.1995 trat die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in Kraft.
Derzeit gilt im Westen für alle Beschäftigten noch die 38,5- Stunden-Woche, im Osten die 40-Stunden-Woche. Angesichts der massenhaften Erwerbslosigkeit wäre eine Politik der weiteren Arbeitszeitverkürzung unbedingt notwendig. Stattdessen muss der 8-Stunden-Tag wieder einmal verteidigt werden, denn Politiker und Unternehmer drängen darauf, die Arbeitszeiten wieder zu verlängern. Tarifliche Ansprüche sollen (wieder) beseitigt werden. »1—2 Stunden Mehrarbeit pro Woche sind der verträglichste Weg, um die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland zu erhöhen«, sagte CDU-Generalsekretär Meyer. Beamte müssen in einigen Bundesländern bereits 42 Stunden arbeiten. Für den öffentlichen Dienst ist der Arbeitszeittarifvertrag für die Beschäftigten in Westdeutschland bereits gekündigt. Damit wird eine längere Arbeitszeit möglich. Das wird für die anderen Wirtschaftszweige nicht ohne Auswirkungen bleiben. Wieder einmal streiten sich die Wissenschaftler, ob wer länger arbeitet, auch produktiver ist und ob das tatsächlich »zusätzliche Chancen auf den Weltmärkten« eröffnet, wie es Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der IHK, hofft. Ver.di hat erklärt, den zusätzlichen Arbeitsstunden auf keinen Fall zustimmen zu wollen.

Gisela Notz

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