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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2004, Seite 19

www.wahlalternative.de:

[…] Die soziale Opposition ist sich einig in der Ablehnung des Sozialabbaus, jeglicher Kriegspolitik und Aufrüstung und in der abstrakten Behauptung, eine politische Alternative sei möglich. Sie ist schwach und uneinig in der Deutung der Krisenprozesse und ihrer Ursachen und in der Darstellung, wie denn eine Alternative aussehen könne, die nicht nur gerechter ist, sondern auch die Probleme besser bewältigt.
Wollen wir in die Offensive kommen und die Tendenz zur politische Resignation beenden, müssen sowohl das bürgerliche Lager als auch die rot-grüne Koalition auf dem zentralen Feld ihres Diskurses attackiert werden. Die Probleme müssen als Ergebnisse falscher, neoliberal geprägter Politik und von Krisenprozessen und Widersprüchen aufgezeigt werden, die die kapitalistische Ökonomie aus sich heraus hervorbringt. In der öffentlichen Debatte sind der Widerspruch zwischen einzelwirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Perspektive und als Hauptproblem der wirtschaftlichen Entwicklung die Schwäche der Binnennachfrage hervorzuheben.
Die Grundlinien einer Alternative müssen aufgezeigt werden, die die soziale Lage und Perspektive der Mehrheit der Bevölkerung spürbar verbessern würde. Vor allem brauchen wir mehr und sinnvolle Beschäftigung zu sozialen Bedingungen und die Entwicklung sozial und ökologisch nützlicher Wachstumsfelder. Zu präsentieren wäre dazu im Kern ein sozial und ökologisch und emanzipativ ausgerichtetes Zukunftsprogramm einer alternativen Wirtschafts- und Sozialpolitik, wie es in entsprechenden Kreisen (in Gewerkschaften, Memorandum-Gruppe, sozialistischen und anderen linken Gruppierungen usw. und darüber hinaus in breiteren politischen Bündniszusammenhängen) seit Jahren diskutiert und weiter entwickelt wird. Sowohl Defätismus (»Eine Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist sowieso aussichtslos«) wie abstrakter Linksradikalismus (»Nur die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus ist eine Perspektive«) wirken desorientierend. Ebenso desorientierend ist es, Lösungen gar nicht mehr in Veränderungen staatlicher Politik, sondern nur noch zivilgesellschaftlich und im Wirken dezentraler, selbstorganisierter Netzwerke und alternativer Zusammenhänge in Nischen der Gesellschaft zu suchen und damit aus der Not eine Tugend zu machen.
Den vielen Betroffenen des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft — Beschäftigten und Erwerbslosen, Rentnern und Kranken, Studierenden, Alleinerziehenden und vielen anderen — und ihrer sozialen Unzufriedenheit fehlt ebenso eine parlamentarisch-politische Repräsentanz wie der sich entwickelnden sozialen Bewegung und außerparlamentarischen Opposition oder den Gewerkschaften. De facto sind wir heute ein Land ohne wirkliche und wirksame parlamentarische Opposition, denn CDU/CSU/FDP vertreten nur eine noch radikalere Variante des neoliberalen Gesellschaftsumbaus. Im ersten Schritt entwickelt sich die Gegenbewegung gerade in Abgrenzung und zur Artikulation von Protest gegenüber der herrschenden Politik und allen etablierten Parteien. Aber in dem Maße, wie sie an gesellschaftlicher Breite und politischer Bedeutung gewinnt, stellt sich zunehmend die Frage nach ihrem Bezug zur politisch-parlamentarischen Ebene und nach ihrer Durchsetzungsperspektive. Diese Frage stellt sich sowohl vielen Individuen als auch den aktiven und organisierenden Kernen der Bewegung, die für die weitere Mobilisierung darauf Antworten geben müssen.
Bisher ist die Hauptantwort die, dass es darum geht, gesellschaftlichen Druck zu entwickeln und das politische »Klima« so zu verändern, dass alle Parteien und Institutionen darauf reagieren und sich das politische Koordinatensystem wieder nach links verschiebt (und evtl. sich Bedingungen für weitergehende politische Prozesse ergeben). Dazu sei ein langer Atem notwendig. Die Antwort ist richtig, aber unzureichend. Sie lässt die Frage offen, wie sich die Menschen denn nun als politische Subjekte in den Situationen verhalten sollen, wenn sie mal die Wahl haben. Und vor allem blendet sie aus, wie wichtig die parlamentarisch-politische Ebene und institutionalisierte Machtpositionen zur Durchsetzung von Interessen, aber auch für die Entwicklung längerfristig mächtiger Diskurse und der öffentlichen Meinung sind. […]
Um politisch voran zu kommen, ist eine ernst zu nehmende wahlpolitische Alternative nötig, die den außerparlamentarisch in der Gesellschaft entwickelten Druck ins politische System transformiert. Dies erscheint schon allein deshalb sinnvoll, um der weiteren Rechtsentwicklung der SPD eine Schranke zu setzen. […]
Die PDS ist nicht in der Lage, den überwiegenden Teil des Potenzials für eine wahlpolitische Alternative auszuschöpfen. Für einen Großteil des Potenzials ehemals sozialdemokratischer, grüner oder sonstwie linker Wähler und sozial enttäuschter Nichtwähler kommt sie nicht in Frage. In den letzten Jahren hat sie sich durch ihre Regierungsbeteiligung in Berlin zusätzlich desavouiert. Sie erscheint als sehr auf sich selbst und auf Mitregieren fixiert. Sie bzw. ihre führenden VertreterInnen sind offenbar für die notwendige klare und offensive und zugleich populär vorgetragene Gegenposition zum Neoliberalismus in der öffentlichen Auseinandersetzung weder politisch-inhaltlich noch kulturell geeignet.
Bleibt die Alternative, eine neue, eigenständige politische Formation zu entwickeln, die bei der Bundestagswahl 2006 mit Aussicht auf Erfolg anzutreten in der Lage ist
Die soziale Alternative muss in der öffentlichen Auseinandersetzung konsequent und glaubwürdig eine positive, fortschrittliche gesellschaftspolitische Alternative vertreten. Die Formulierung und Verankerung von programmatischen Botschaften und von linken Deutungsmustern im gesellschaftlichen Diskurs ist eine Hauptaufgabe. Es geht primär darum, die Auseinandersetzung um die Hegemonie zu führen und neoliberale und andere rechte Auffassungen zurückzudrängen. Politische Kompetenz zu entwickeln heißt zunächst, die intellektuellen und strukturellen Kapazitäten für Opposition zu stärken, nicht etwa »regierungsfähig« zu werden. Es geht um Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen, um breit angelegte Bildungsarbeit und um das Eingreifen in wissenschaftliche Diskurse. […]
Wichtig ist die stetige Verbreiterung und Vertiefung der Verankerung in den Gewerkschaften, Bewegungen, Organisationen und Szenen auch in den Ländern und Kommunen sowie der Ausbau der Infrastruktur und Medien sowie der europäischen und internationalen Zusammenarbeit, um die politische Formierung und den Kampf um Hegemonie weiter voranzutreiben. Die Sozialdemokratie hat sich als politische Organisation und Interessenvertretung der abhängig Arbeitenden und der sozial Schwachen verabschiedet. Es bedarf eines neuen Anlaufs der politischen Artikulation und Formierung eines alternativen gesellschaftlichen Blocks von Arbeit und Wissenschaft, Bewegungen und Kultur gegen den herrschenden Block des Kapitals und des Neoliberalismus, um solidarische gesellschaftliche Gestaltung und eine progressive europäische und internationale Perspektive wieder auf die Tagesordnung zu bringen und zu erkämpfen. Dies kann nur gelingen, wenn dabei auch eine neue Generation gewonnen wird, und das wiederum kann nur mit einer neuen Formation gelingen.

Auszüge aus der Positionsbestimmung einer von Intellektuellen und Gewerkschaftern organisierten Initiative für eine Wahlalternative 2006 (www.wahlalternative.de). In SoZ 4/04 erschien bereits ein ausführliches Gespräch mit Joachim Bischoff, einem der Initiatoren der Initiative.



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