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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2004, Seite 22

Rudolf Bahro

Tapfer & aufrichtig

Guntolf Herzberg/Kurt Seifert: Rudolf Bahro. Glaube an das Veränderbare. Eine Biografie, Berlin: Christoph Links 2002, 656 S., 29,90 Euro

Der DDR-Oppositionelle Herzberg und sein westlicher Koautor haben die Biografie Rudolf Bahros in nur zwei Jahren erarbeitet. Zugute kamen ihnen die Bekanntschaft mit ihm, reichhaltiges gedrucktes und Archivmaterial und Zeitzeugeninterviews. Der von Herzberg verfasste erste Teil umfasst die Zeit von 1935 bis 1979. Bahro entwickelte sich vom Stalinisten zum Apparatkritiker. Die Unterdrückung des »Prager Frühlings« war für ihn Anstoß zu oppositionellem Handeln. Der Verfasser irrt in der Darstellung Ulbrichts als reformgegnerischen Scharfmachers. Bevor die Honecker-Fraktion Ulbricht stoppte, wirkte dieser für überwiegend technokratische Reformen.
Ausführlich wird die Geschichte des Buchs Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus wiedergegeben, worin Bahro diesen als nichtsozialistisch und ineffektiv enttarnte und prinzipielle Reformen forderte. Das Regime verfolgte ihn erst insgeheim, nach Publikation seines Werks im Westen 1977 offen. Es ließ ihn wegen eines falschen und diffamierenden Delikts — Sammlung und Lieferung von Nachrichten an die BRD — zu acht Jahren Haft verurteilen. Ungeklärt bleibt, warum seine geschiedene Ehefrau ihn 1974 an die Stasi verriet, andererseits diese Instanz ihn zwar aufwändig bespitzelte, bis zur Westpublikation aber gewähren ließ.
In Bautzen II genoss er unter Leidensgefährten Ansehen und konnte zwei im Spiegel erscheinende Artikel ausschleusen. Darin widerlegte er die Prozessfarce und blamierte seine Kerkermeister. Bahro hatte insofern Glück, als er zu einer Zeit einsaß, da der Zwang zur Rücksichtnahme nach außen die Diktatur einschränkte. Seine Anhänger wurden nicht belangt, er selbst 1979 amnestiert und der BRD überstellt.
Der von Seifert stammende zweite Buchteil behandelt die Zeit bis 1989. Bahro wirkte bei den Grünen bis zu deren Wandlung zur staatskonformen Partei, in der Friedensbewegung und in kommunitären Gemeinschaften. Er unternahm Vortragsreisen in viele Städte und Länder, verfasste weitere Bücher. Starthilfe war für ihn die zum Bestseller gewordene Alternative. Das zweite Hauptwerk Logik der Rettung. Wer kann die Apokalypse aufhalten? von 1987 erlebte nur kleine Auflagen. Wie fast die ganze nunmehrige Tätigkeit Bahros war es auf Mobilisierung gegen die ökologische Krise gerichtet, die sich zur tödlichen Gefahr auswuchs. Entgegen dem Gros seiner Zeitgenossen hatte er der Sache nach Recht, stellte sich aber durch dogmatische Abkehr von marxistischen Analysemethoden, exzessiven Gebrauch religiöser und spiritualistischer Begriffe und Betonung nationaler Interessen — auch zu dem Zweck, aus dem »linken Ghetto« herauszukommen — selbst ein Bein.
Der von beiden Autoren verfasste dritte Teil beginnt mit Bahros Erkenntnis nach dem Mauerfall 1989, er müsse sein bedrohtes Vaterland retten. Beim letzten SED-Parteitag wollte er die Partei für einen Kurs tiefgreifender ökologischer Wandlungen gewinnen. Er vermochte an der Berliner Humboldt-Universität zeitweilig relativ viele Hörer zu erreichen und erzielte mit »Mittwochskreis«, Institut für Sozialökologie und LebensGut Pommritz Erfolge, die jedoch nicht dauerhaft blieben. Ein Grund hierfür war Widerstand aus der als Sieger ins Land gekommenen BRD-Professorenschaft, ein anderer die missionarische und oft wunderliche Art seines Vorgehens.
Am Schluss stehen ein Kapitel über Bahros Krebskrankheit und Tod, solche über Nachrufe und Erbe. Mit seiner Kritik am »Realsozialismus« sowie der umwelt- und menschenfeindlichen kapitalistischen »Moderne« hat der Verstorbene Bedeutendes geleistet. Er kam aber mit dem Ersten zu spät und konnte mit letzterem nur eine Minderheit gewinnen. Die Autoren verdeutlichen, dass Bahro stets aufrichtig und tapfer für seine Überzeugungen stritt. Dass er dabei zahlreiche Wahrheiten aussprach, macht seine Hinterlassenschaft wertvoll.

Manfred Behrend

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