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Michaela Karls umfangreiche Studie zu Rudi Dutschke ist ein gleichermaßen herausragendes wie problematisches Werk.
Liefert Gretchen Dutschkes 1996 erschienene Biografie ihres Ende 1979 gestorbenen Mannes die erste biografische Gesamtdarstellung (durchaus mit
theoretischem Sachverstand), so ragt Karls Buch aus der Sekundärliteratur zu Dutschke (vgl. u.a. SoZ 9/2003) heraus, in dem sie erstmals den
»ganzen« Dutschke politisch-theoretisch darstellt. Die bisherigen Abhandlungen nehmen Dutschkes Wirken fast nur bis 1968, d.h. bis zum Attentat
und zum Scheitern der APO-Revolte wahr, der Rest gilt offensichtlich als Epilog. Karl begradigt diesen vollkommen verzerrten Blick und behandelt erstmals
auch den späten Dutschke mit der gebührenden Ausführlichkeit. Sie lässt dabei nichts Wesentliches aus und registriert mit feinem
Gespür die Veränderungen und Widersprüche des dutschkeschen Schaffens.
Umso mehr verblüffend ist, dass sie damit so wenig anzufangen weiß. Ein
historisierender, Dutschke in seine Zeit und ihren Geist versetzender Blick fehlt ebenso wie die Vertrautheit mit jener linkssozialistischen und marxistischen
Tradition, die Dutschke angetreten war, in antiautoritärer, revolutionär-sozialistischer Perspektive programmatisch zu erneuern. Sie zeigt auf, dass
sich Dutschkes Vorstellungen von den Widersprüchen des Spätkapitalismus, von der Klassenanalyse und Organisationsfrage, von der Gewaltfrage
und der Einschätzung des »real existierenden Sozialismus« (an dem, wie er nicht müde wurde, zu betonen, alles real war, nur nicht der
Sozialismus) vor und nach 1968 zum Teil deutlich unterschieden haben (ohne dass dies Dutschke selbst ausreichend thematisiert hätte). Aber wie dies mit
der Geschichte der deutschen und internationalen Linken zusammenhängt, wie sich vor diesem Hintergrund Irrwege und Verdienste Dutschkes entfalten,
solche Überlegungen sucht man vergebens bei ihr.
Michaela Karl hat eine solide, rein positivistisch darstellende Arbeit abgeliefert, die ihren
akademischen Entstehungskontext schwer verleugnen kann. Dass sie damit die zur Zeit beste Darstellung der politischen Theorie Dutschkes bietet, gereicht ihr
zur Ehre. Dass sie damit allerdings kaum mehr als die »notwendige Voraussetzung für die theoretische Auseinandersetzung mit Rudi
Dutschke« bietet, gibt sie in der Einleitung selbst zu.
Christoph Jünke
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