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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2004, Seite

Kolumne

Analysetools des Gagaismus

Wer sich in diesen Tagen, so wie unsereins, den Spaß macht, regelmäßige Hitlisten des bourgeoisen Blödsinns aufzustellen, hat es zuweilen nicht leicht. Fest in den Spitzenplätzen der Gaga-Charts bürgerlicher Ideologieproduktion verankert haben sich der mit-dem-Mofa-um-die-Pizzeria-fahrende Sauerländer, der Quartalsirre der CDU, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nannte, und der Mann mit den Noppensocken. Und natürlich ihre öffentlich-rechtliche Puffmutter Christiansen dazu. Spitzenklasse auch der Banker, der Präsident werden soll und will. Seine Begründung für eine »Arbeitszeitverlängerung in Deutschland« hat schon was: Wenn ich am Samstag meine Wohnung weiße, schaue ich auch nicht auf die Uhr, bevor es fertig ist. Aber für einen dauerhaften Spitzenplatz ist er zu minimalistisch. Einsame Klasse, aber für den Grand Prix zu ökonomistisch ist zweifellos der Mann der geilen Vorschläge (500 Stunden umsonst arbeiten, Auszubildendenstellen und -löhne halbieren, alle Feiertage auf Sonntage legen), Ludwig Georg Braun. Vielleicht sollte er den Sonderpreis »Schweinepriester des Kapitals« erhalten, weil er regelmäßig die leckersten Säue durchs Dorf treibt — vergesst seinen Aufruf zur Kapitalabwanderung nicht, dem wir die grandiose Patriotismusdebatte der Sozialdemokraten verdanken!
Aber nach langem Für und Wider haben wir die Palme des Schwachsinns an ein Projekt verliehen, hinter dem sie letztlich alle gemeinsam stehen. Das Ding nennt sich »IW-Reformbarometer«. »Seit Herbst 2002 verfolgt das Reformbarometer, ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der Zeitschrift Wirtschaftswoche, die Renovierungsarbeiten am deutschen Standort.« Ehrlicherweise müsste es nicht »verfolgen« heißen, sondern »vor sich hertreiben« , aber das spielt keine Rolle. Hinter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft stehen nach eigenem Bekunden »derzeit die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie«, aber unter den »Kuratoren«, »Botschaftern« und »Unterstützern« der Initiative finden sich fast alle, die so über das Jahr bei Sabine Christiansen eingeladen werden: Oskar Metzger und Christine Scheel von den Grünen, Peter Glotz und Florian Gerster (tschuldigung, der wird ja nicht mehr eingeladen) von der SPD, Arnulf Baring, Paul Kirchhoff, Randolf Rodenstock, Martin Kannegießer — wo ist, verdammt nochmal, Henkel? Das »Reformbarometer« will mit »ökonomisch fundierten Analysetools« die Reformen der Regierung untersuchen. Dabei gilt — das steht da wirklich —, »Talkshow-Geplänkel bleibt außen vor«.
Für den September 2002 (wahrscheinlich war es der 11.9.) hat das »Reformbarometer« den Wert 100 festgelegt und seitdem gibt es die tollsten Grafiken und Untersuchungen über das Auf und Ab der Reformen. »Seitdem der Bundeskanzler … seine Agenda-Pläne durchdeklinierte, steigen die Werte des IW-Reformbarometers.« Im Juni 2003 waren es 105,3 Punkte. Bis Februar 2004 stieg es auf 109,3. Aber, aber: »Bei Umsetzung der wichtigsten Reformmodelle könnte es auf 153,7 Punkte klettern.« Im »Teilbereich Sozialpolitik« könnte das Barometer statt »heute 111,2 Punkte … mehr als 169 Punkte erreichen, wenn das Herzog-Konzept verwirklicht würde.« »In der Steuerpolitik weist das IW-Reformbarometer nur 100 Punkte aus — das Modell von Friedrich Merz könnte für fast 139 Punkte sorgen.« Durch die Auszubildendenumlage sank das Barometer im März 2004 auf 107,1 Punkte.
Rund um das Reformbarometer werden regelmäßig »Professoren- Panels« veranstaltet, wo erwachsene Menschen bierernst über die neuesten Kurvenschwankungen palavern. Nicht zwei Stühle — eine Meinung, sondern gleich eine ganze Aula. »Gewissen Geistern muss man ihre Idiotismen lassen«, heißt es bei Goethe, aber die intellektuellen Zumutungen der herrschenden Klasse sind bald schmerzensgeldpflichtig.

Thies Gleiss

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