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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2004, Seite 7

Perspektivenkongress

Es geht weiter — geht es auch weit genug?

Über 2000 Menschen nahmen an dem von einem breiten Spektrum — aus Gewerkschaften, Attac, Sozialverband, Arbeitsloseninitiativen, Studierenden und kirchlichen Gruppen organisierten Perspektivenkongress vom 14. bis 16.Mai in Berlin teil.
In rund 130 Workshops wurde über Alternativen zur neoliberalen Politik der — wie es viele nannten — herrschenden großen Koalition diskutiert. Dabei gab es aber auch viel Bedarf an klärender Diskussion zu wichtigen Fragen aus Gewerkschafts-, Arbeitslosen- und globalisierungskritischer Bewegung.
Angeregt wurden die Teilnehmenden durch zwei Eingangsreferate von dem katholischen Sozialethiker Friedhelm Hengsbach und der Journalistin Luciana Castellina von der linken Tageszeitung Il Manifesto. Vor allem ihr Vergleich der Bewegungen der 68er und der 80er Jahre mit der heutigen gab doch manches Bedenkenswerte mit auf den Weg. Ihre klaren Aussagen zum weltweit herrschenden Kapitalismus waren auf diesem Kongress leider die Ausnahme. Genauso wie ihr Plädoyer für eine neue Partei, das vor allem bei den Schwergewichten der Veranstalter mit Schweigen übergangen wurde.
Die daran anschließende Podiumsdiskussion zum Thema »Kritik des vorherrschenden Gesellschafts- und Politikmodells« konnte leider nicht dem Anspruch gerecht werden. Das Politikmodell wurde zwar deutlich kritisiert, aber Kapitalismuskritik wurde höchstens von Pedram Shayar von Attac geübt. Die anderen Diskutierenden blieben bestenfalls bei einer Neuauflage des Wohlfahrtsmodells des alten Keynes hängen. Das entsprach aber offensichtlich auch den Erwartungen eines großen Teils des Publikums.
Einen Überblick über die 130 Workshops und Vorträge zu geben ist leider nicht möglich. Festzuhalten bleibt, dass diese Veranstaltungen nach 15 Schwerpunktthemen — von Beschäfigung und Wachstum bis Vernetzung — strukturiert waren, und das von vielen Teilnehmenden die Offenheit und Tiefe der Diskussionen gelobt wurden. Leider war oft zu wenig Zeit, bestehende Differenzen auszudiskutieren oder aber zu neuen Positionen zu kommen.
Überall war eine sehr solidarische Umgangsweise und ein hohes Maß an Respekt gegenüber der Meinung anderer anzutreffen. Das ist besonders zu betonen, da hier — erstmals in dieser Form — Gewerkschaftsfunktionäre der mittleren bis Führungsebene mit Bewegungsaktivisten und linken Kleingruppen nicht nur zusammentrafen, sondern auch intensiv ins Gespräch kamen.
Das galt aber leider nicht bezüglich der Werbung für die Veranstaltung des Freundeskreises der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL). An den Eingangstüren angebrachte Plakate wurden kurzerhand entfernt und das Verteilen von Flugblättern untersagt. Jeder Ansatz von (partei)politischer Regung sollte unterbunden werden. Dies galt auch bei den Diskussionen über die Herausbildung einer neuen Linkspartei. Vertreter von Attac und der Gewerkschaftsvorstände setzten sich vehement dafür ein, diese Frage aus dem Kongress herauszuhalten. Sven Giegold von Attac brachte die Befürchtungen auf den Punkt, als er meinte, »dass wir bald nicht mehr über Gemeinsamkeiten diskutieren, sondern darüber, wie wir gegeneinander kandidieren«.
Auf dem Abschlussplenum am Sonntagvormittag musste sich der Runde Tisch der Erwerbslosen eine Teilnahme durch eine Aktion erstreiten. Die Veranstalter hatten ganz »vergessen«, den Hauptbetroffenen des Sozialkahlschlags einen Platz zu reservieren. Durch eine spontane Geste des Ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske wurde dieses Problem allerdings schnell bereinigt.
Dieser hatte auf dem Abschlussplenum dann auch eine dominierende Position. Nicht nur seine Feststellung, dass »auf diesem Kongress ganz unterschiedliche Organisationen mit ganz unterschiedlichen Traditionen vertreten sind und es unsere Aufgabe ist, aus dieser Vielfalt Kraft zu schöpfen«, war ungewöhnlich und hob sich von der manchmal peinlich wirkenden Gemeinsamkeitsduselei anderer ab. Bsirske war es dann auch vorbehalten, dem Kongress Vorschläge für die weitere Arbeit in der nächsten Zeit vorzutragen: der Aufbau eines Sozialforums in Deutschland bis zum Frühjahr 2005; Streichung der neuen Zumutbarkeitsregeln und Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und Grundeinkommens; Anhebung der Steuern für Vermögende und Stärkung der kommunalen Finanzen; Verhinderung von Arbeitszeitverlängerung.
Mit diesen vier Schwerpunkten soll in den nächsten Monaten die Auseinandersetzung mit Politik und Kapital gesucht werden. Erfreulich ist, dass damit die Gewerkschaften zusammen mit diesem breiten Bündnis auf weitere Mobilisierungen setzen. Allerdings bleibt Bsirske damit hinter den Vorschlägen des Stuttgarter Bezirksvorstands von Ver.di zurück. Unsere Aufgabe in der Bewegung wird es sein, dafür zu werben, auf der Rücknahme aller sozialen Schweinereien von Agenda 2010 und Hartz-Gesetze zu bestehen.

Helmut Born

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