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Als sich die Regierungen Deutschlands und Frankreichs im vergangenen Jahr gegen einen Angriff auf den Irak aussprachen,
wurde vielfach über einen Bruch der transatlantischen Beziehungen spekuliert. US-Militarismus und europäischer Pazifismus, so betonten Gegner
wie auch Befürworter des Irakkriegs immer wieder, seien nicht miteinander kompatibel.
Mittlerweile müssen die USA erfahren, dass militärische Überlegenheit
allein sie ihren Kriegszielen der Errichtung eines stabilen Marionettenregimes im Irak nicht näher bringt. Sie wenden sich wieder
stärker der Diplomatie zu; die militärische Präsenz europäischer Truppen rückt stärker ins öffentliche Bewusstsein
und transatlantische Zusammenarbeit zur Bewältigung der Kriegsfolgen ist angesagt.
Sogar die Idee eine transatlantischen Freihandelszone in der Vergangenheit immer mal
wieder vorgetragen, bislang aber nicht realisiert steht wieder auf der Tagesordnung. Ein Netzwerk hochrangiger Politiker und Unternehmer von beiden
Seiten des Nordatlantik das Transatlantic Policy Network hat einen Antrag ins Europäische Parlament eingebracht, der über einen
gemeinsamen transatlantischen Markt hinaus auch eine gemeinsame Strategie innerhalb der Welthandelsorganisation anstrebt.
Dem Antrag zufolge sollen diese Themen auf dem anstehenden Europäisch-
Amerikanischen Gipfel am 25./26. Juni in Dublin besprochen werden. Ob es in absehbarer Zeit ein transatlantisches Freihandelsabkommen geben wird oder
nicht, sei dahingestellt. Dahingehende Bestrebungen lassen sich jedenfalls als Hinweis darauf verstehen, dass der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene
Atlantische Kapitalismus nicht vor der Spaltung steht. Die herrschende Klasse auf beiden Seiten des Nordatlantiks scheint vielmehr entschlossen, ihre
weltbeherrschende Position zu verteidigen und sich nicht in einem anhaltenden innerfamiliären Zwist zu verschleißen.
Zwischen den USA, die im Zweiten Weltkrieg zur kapitalistischen Führungsmacht
aufgestiegen sind, und Europa, das erst durch Binnenmarkt, Währungsunion und die damit verbundene Herausbildung supranationaler Institutionen zu
einem Machtfaktor geworden ist, dürfte es auch in Zukunft immer wieder Meinungsverschiedenheiten oder handfesten Krach geben. Dennoch werden sich
Unternehmen und Politiker auf beiden Seiten des Nordatlantik immer wieder zusammenraufen, wenn es darum geht, ihren privilegierten Zugriff auf Rohstoffe,
billige Arbeitskräfte und die von ihnen hergestellten Waren gegen potenzielle Rivalen wie auch gegen Widerstand in armen Ländern zu verteidigen.
Der wahrscheinliche Fortbestand des Atlantischen Kapitalismus lässt sich am besten verstehen, wenn anstelle kurzlebiger Konjunkturen der
Außen- und Handelspolitik dessen geschichtliche Entwicklung betrachtet wird.
Nachdem die USA ihre Unabhängigkeit erklärt und gegen die europäischen
Kolonialmächte erkämpft hatten, brachte der US-Kapitalismus durch hohe Zollmauern vor der technologisch zunächst noch
überlegenen Konkurrenz aus Europa geschützt außer einem riesigen Binnenmarkt auch einen eigenständigen politischen
Überbau hervor. Dadurch wurde es möglich, ökonomische Interessen wirksam zu bündeln und auch über die eigenen Grenzen
hinaus zu vertreten. Ein Konflikt mit den europäischen Weltmächten England und Frankreich sowie dem aufstrebenden Deutschland konnte aber
vermieden werden, solange die USA sich darauf beschränkten, Lateinamerika in ihren »Hinterhof« zu verwandeln. Damit traten sie zwar das
Erbe Portugals und insbesondere Spaniens an, beide Länder aber waren ökonomisch längst zu schwach, um sich gegen den Verlust ihrer
vormaligen Kolonien zu wehren.
Zur Weltmacht stiegen die USA erst auf, nachdem die europäischen Mächte sich
in zwei Weltkriegen verschlissen und dabei den Anschluss an technologische und organisatorische Entwicklungen verpasst hatten, welche zum
ökonomischen Fundament amerikanischer Macht wurden. An die Stelle eines in europäische Kolonialreiche aufgeteilten Weltkapitalismus trat ein
informeller Imperialismus unter amerikanischer Führung. Darin konnten ehemalige Kolonien zwar nationale Souveränität erlangen, blieben
aber unter dem Einfluss von US-Konzernen und US-dominierten internationaler Institutionen und wurden, sofern die nationale Selbstbestimmung eine
sozialrevolutionäre Richtung anzunehmen drohte, militärisch angegriffen.
Aus dieser Entwicklung könnte man schließen, dass ein US-amerikanischer
Superimperialismus die rivalisierenden europäischen Imperialismen abgelöst hätte. Mit Blick auf die gemeinsame Frontstellung
gegenüber dem Sowjetkommunismus scheint es aber sinnvoller, von einem kollektiven Imperialismus unter Führung der USA zu sprechen. Ohne
das Militär- und Wirtschaftspotenzial Westeuropas, das enorme Ressourcen der Sowjetunion zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im Bereich
konventioneller Truppen gebunden hat und außerdem mit seinen Wachstumserfolgen als attraktives Gegenmodell zum Sowjetkommunismus diente,
hätten die USA ihre Führungsposition nicht lange aufrechterhalten können. Insofern kann davon gesprochen werden, dass der kapitalistische
Weltmarkt nach 1945 von einer Atlantischen Bourgeoisie beherrscht wurde.
Streit war dabei vorprogrammiert: So haben die USA die europäische Wirtschaftsintegration zwar unterstützt, weil nur dadurch das von ihnen
gewünschte antikommunistische Bollwerk geschaffen werden konnte. Andererseits haben sie stets versucht, die Herausbildung eines europäischen
Machtblocks zu verhindern. Dies ist jedoch nicht gelungen, weil die Institutionen, die zunächst nur zur Regulierung des europäischen
Binnenhandels gedacht waren, zunehmend auch die Bündelung europäischer Machtpotenziale ermöglicht haben. Auf diese Weise wurden die
Einführung des Euro, die europäische Verfassung und Militäreinheiten unter einheitlichem europäischen Kommando möglich.
Zur gleichen Zeit konnten die USA ihre wirtschaftliche Stellung nur durch Inkaufnahme
massiver Verschuldung und spekulativer Blasen behaupten. Aus dieser Tatsache wird mitunter der Schluss gezogen, die USA befänden sich im
Niedergang. Dies gelte umso mehr, als mit dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus die Klammer der transatlantischen Partnerschaft entfallen sei. Europa
solle daher wenn es schon nicht die weltweite Führungsrolle Amerikas einnehmen könne zumindest eine unabhängige Politik
der Selbstbehauptung verfolgen.
Neu sind solche Forderungen nicht: Gegen Ende der 60er Jahre wurde erstmals von einer
»Amerikanischen Herausforderung« gesprochen, die nach einem europäischen Gegengewicht verlange. Hintergrund war damals erstens das
US-amerikanische Weltraumprogramm, das den technologischen Vorsprung der USA vor Europa absichern sollte. Zweitens verstanden es US-Konzerne, welche
Operationen auf großen Märkten gewohnt waren, zu jener Zeit besser, die Vorteile der europäischen Marktintegration für sich zu
nutzen als europäische Unternehmen, die bis dahin zumeist im Rahmen ihrer viel engeren nationalen Märkte agiert hatten. Beträchtliche US-
amerikanische Direktinvestitionen in Europa waren die Folge. Diese führten vielfach zu einem Gefühl des Ausverkaufs bis hin zu der hysterischen
Behauptung mancher europäischer Konservativen, Europa werde von den USA kolonisiert.
Umgekehrt wurde ein vermeintlicher Niedergang Europas in den 90er Jahren vielfach
von denselben politischen Strömungen wie 30 Jahre zuvor mit den Direktinvestitionen europäischer Konzerne in den USA begründet.
Sozialstaat und starke Gewerkschaften hätten zu einer solch hohen Kostenbelastung geführt, dass profitable Investitionen nur in den
gewerkschaftsfreien Zonen Amerikas möglich seien.
In der Zwischenzeit war der Nachkriegsboom zu Ende gegangen und die USA hatten es in den
80er Jahren geschafft, trotz insgesamt verringerten Wachstums den Rückstand, den sie zu Zeiten des Booms gegenüber Europa aufgewiesen hatten,
in einen Vorsprung umzukehren. Dieser relative Erfolg wurde zumeist darauf zurückgeführt, dass Gewerkschaften und Sozialstaat in den USA sehr
viel brutaler angegriffen worden waren als in (Kontinental-)Europa. Unternehmer wie Gewerkschaften waren sich darin einig, dass die
Zurückdrängung von Lohnforderungen und sozialstaatlicher Umverteilung die Profitrate erhöht und damit Investitionen und
gesamtwirtschaftliches Wachstum angeregt habe.
In den unterschiedlichen Strategien Union Bashing in den USA und
Großbritannien und Concession Bargaining in Kontinentaleuropa sahen viele indes auch einen Beleg dafür, dass die sich die kapitalistischen
Gesellschaften auf beiden Seiten des Atlantiks auseinandergelebt hätten. An die Stelle des von beiden geteilten Nachkriegsmodells aus keynesianischer
Wirtschaftssteuerung und sozialstaatlichem Kompromiss zwischen Lohnarbeit und Kapital seien »Kapitalismus pur« auf der einen, ein
»Europäisches Sozialmodell« auf der anderen Seite getreten. Nach dem Ende des Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und Sozialismus
gebe es nun einen Kampf »Kapitalismus kontra Kapitalismus«.
Die unterschiedlichen Reaktionen auf das Ende des Nachkriegsbooms deuten allerdings zunächst darauf hin, dass die Regulierung des
Klassengegensatzes von Lohnarbeit und Kapital trotz Herausbildung einer Atlantischen Bourgeoisie auf nationaler Ebene erfolgt und
unterschiedliche institutionelle Ausprägungen annimmt. Union Bashing und Concession Bargaining sind Ausdruck länderspezifischer
Kräfteverhältnisse und unterschiedlicher institutioneller Verankerung von Gewerkschaften, Sozialstaat und politischer Repräsentation der
Arbeiterklasse. Auf beiden Seiten verfolgt das Kapital aber dasselbe Ziel: die Profitrate unter Bedingungen langfristig gesunkener Wachstumsraten durch eine
Umverteilung von den Löhnen zu den Profiten zu erhöhen. Dabei verfolgte die Atlantische Bourgeoisie hinsichtlich Produktion und Aneignung
nicht nur dasselbe Ziel mit unterschiedlichen Mitteln, es bildete sich seit den 80er Jahren vor dem Hintergrund anhaltender Überproduktion
auch eine transatlantische Arbeitsteilung bei der Regulation des kapitalistischen Gesamtprozesses heraus.
Während die USA entgegen der Rhetorik von Haushaltskonsolidierung und
Zurückdrängung des Staates die Weltwirtschaft mit staatlich erzeugter oder abgesicherter Nachfrage versorgten, sorgte die Exportstrategie
Europas dafür, dass der Anstieg von Nachfrage und damit auch Beschäftigung in den USA nicht zur Forderung nach höheren Löhnen
führen konnte. Durch eine Politik extremer Inflationsbekämpfung sowie Abkopplung der Reallöhne von der Produktivitätsentwicklung
wurden auf US-Märkten neben inländisch produzierten Waren auch stets preisgünstige europäische Waren angeboten.
Der geläufige Globalisierungsdiskurs schreibt die Funktion der Importkonkurrenz
insbesondere den sich industrialisierenden Ländern Asiens zu. Demnach müssen die Produktionskosten im Inland insbesondere
Löhne gesenkt werden, weil andernfalls Waren, die im Ausland billiger produziert werden können, die inländische Produktion
verdrängen.
Tatsächlich sind die transatlantischen Austauschbeziehungen aber sehr viel intensiver als
die zwischen den Ländern des Atlantischen Kapitalismus und Asien. Das betrifft nicht nur die Umsatzzahlen, sondern insbesondere auch die Art des
Handels. In vielen technologisch fortgeschrittenen Branchen treten asiatische Unternehmen noch gar nicht als Anbieter auf, und wo sie es tun, sind sie mit
steigenden Löhnen konfrontiert. Unter den asiatischen Ländern spielt lediglich Japan eine Europa vergleichbare Rolle als Grenzanbieter, der
dafür sorgt, dass einer wachsenden Nachfrage in den USA und in der Weltwirtschaft stets ein mengenmäßiger Angebotsüberschuss
gegenübersteht, so dass Preis- und Lohnsteigerungen weitgehend ausbleiben.
Trotz dieser ökonomischen Parallele zwischen Europa und Japan gehört letzteres
jedoch nicht zum kollektiven, die Welt gegenwärtig beherrschenden Imperialismus, weil es politisch isoliert ist. Dagegen ist es den europäischen
Ländern gelungen, ihre Machtpotenziale im Zuge der europäischen Integration zu bündeln und dadurch Juniorpartner der USA zu werden.
Gegenwärtig wird der Atlantische Kapitalismus jedoch nur teilweise durch
wirtschaftliche Verflechtung und schon gar nicht durch die Herausforderung anderer Supermächte zusammengehalten. Viel wichtiger ist so
paradox das klingen mag seine Schwäche. Drei Jahrzehnte neoliberaler Offensive gleich ob angelsächsischer oder
kontinentaleuropäischer Spielart haben es nicht vermocht, in den reichen Ländern einen gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Beteiligung
aller Bevölkerungsschichten am wachsenden Volkseinkommen zu erzeugen. Dadurch ist eine Legitimationskrise entstanden, die sich auf der einen Seite in
einem gewissen Aufschwung sozialer Bewegungen ausdrückt, auf der anderen Seite aber auch in der Zunahme verschiedener Varianten von Chauvinismus
und Rassismus. Gerade während des Irakkriegs wurden die öffentliche Debatte mitunter so geführt, als fände gerade ein »Clash
of (American and European) Civilizations« statt.
Diese ideologische Figur seit Jahrzehnten fester Bestandteil der transatlantischen
Beziehungen wird immer mal wieder populär, bezeichnet aber sicherlich keine Sollbruchstelle innerhalb des Atlantischen Kapitalismus. Eine
solche bestünde vielmehr in einem Aufschwung antikapitalistischer Kämpfe. Nicht Europa gegen Amerika wäre dann die Frage, sondern
Lohnarbeit gegen Kapital in reichen ebenso wie in armen Ländern.
Ingo Schmidt
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