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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2004, Seite 14

Brasilien: PT-Linke formiert sich

Einen Schritt weiter gehen

Die Politik, die die Regierung Lula in Brasilien seit einem Jahr betreibt, stellt längst nicht alle in seiner Partei zufrieden. Vertreter verschiedener Strömungen der PT-Linken haben sich getroffen, um Alternativen vorzuschlagen.
Am 21.April trafen sich Gewerkschafter aus den verschiedenen Branchen des Dachverbands CUT (die größte Gewerkschaftszentrale Brasiliens) und Vertreter der PT-Linken zu einem gemeinsamen Seminar. Gegenstand des Austauschs waren die Bilanz der Situation der PT und Alternativen zur Regierungspolitik. Das Seminar war auf Initiative einiger Gewerkschaftsführer (Jorginho und Bernadete, beide Vorstandsmitglieder der CUT) und von Waldemar Rossi, Mitglied der Arbeiterpastorale der katholischen Kirche, zustande gekommen. Sie luden Vertreter verschiedener Strömungen der PT-Linken zu einer informellen Diskussion ein, ohne dafür die formelle Erlaubnis der Führungen dieser Strömungen einzuholen.
Die dort Versammelten bilden die Avantgarde der brasilianischen Arbeiterbewegung. Es scheint ihnen nötig, in der Auseinandersetzung mit der Führung der PT und der Regierung Lula einen Schritt weiter zu gehen. Dies Gefühl wurde bekräftigt durch den Ausgang der vorangegangenen Sitzung der Nationalen Leitung der PT. In Reaktion auf die wachsende Kritik an der Regierung Lula, vor allem an seiner Wirtschaftspolitik, hatte die Mehrheitsströmung in der PT ein Dokument vorgelegt (und gegen die Stimmen der Linken verabschiedet), das damit endete, die Partei müsse die Regierung Lula »betont verteidigen«, vor allem ihre Wirtschaftspolitik. Das bedeutet, dass die Partei die neoliberale Politik der Regierung nicht nur gutheißt, sondern ihr auch Rückendeckung bei weiteren antisozialen »Reformen« in anderen, bisher noch nicht berührten Bereichen verspricht: Universitäten, Arbeitswelt — angefangen bei den Gewerkschaftsgesetzen und dem Arbeitsrecht…
Das Seminar entstand somit vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen des politischen Anpassungskurses überdrüssig sind — zumal die Partei demnächst Kommunalwahlen zu bestehen hat. Die Referate, die gehalten wurden, beleuchteten die Probleme, die die Politik der Klassenkollaboration in der Partei und in der Arbeiterklasse schafft. Es sprachen u.a. João Machado, führender Vertreter von Democracia Socialista (der Strömung der IV.Internationale in der PT), Gilberto Maringoni, Journalist und Vertreter der linken Articulaçao- Strömung, und Plinio de Arruda Sampaio Jr., PT-Aktivist und einer der Redakteure der Zeitschrift Brasil de fato — ein Sprachrohr der Linken, darunter auch der MST. Letzterer schlug vor, einen Raum für Debatte zu schaffen, der die Basis der Partei ansprechen und einbeziehen sollte, und den kritischen Sektoren in der PT, aber auch denen offenstehen sollte, die die Partei bereits verlassen haben. Dieser Raum soll um Kerne der Reflexion, der sozialistischen Aktion und um eine Internetseite herum aufgebaut werden. Er soll all diejenigen sammeln, die für eine »klare sozialistische Perspektive eintreten, für den Kampf gegen das Kapital, für die Bauern, gegen die Geschlechterungleichheit, für die Rechte der indigenen Bevölkerung, gegen die imperialistische Herrschaft«.
An der Debatte nahmen 120 Menschen aus verschiedenen Städten des Bundesstaats São Paulo teil. Mehrheitlich stellten führender Gewerkschafter, erfahrene Aktive, die die PT und die CUT mit gegründet haben, mit sichtlicher Bewegung und Bitterkeit fest, wie sehr die Partei und auch die Führung der CUT deformiert worden sei. Andere Teilnehmende, Vertreter der Studierenden, der linken Strömungen in der PT, Universitätsprofessoren u.a. waren sich einig über die Verwerfungen, die die jahrelange Gestaltungspolitik der PT hervorgebracht hat. Die Folgen davon wurden einstimmig beschrieben: Seit Jahren schneidet die PT bei Kommunalwahlen besser ab als bei anderen Wahlen. In einige Fällen — so in Porto Alegre — konnte sie wichtige Erfahrungen in der Veränderung der Formen der Verwaltung und in der Beteiligung der Bevölkerung sammeln und, über die Weltsozialforen sehr wichtige Verbindungen zu den antiliberalen Kämpfen in der ganzen Welt knüpfen. In anderen Fällen hingegen hat sie sich darauf beschränkt, »die Städte zu verwalten, ohne ein einziges Mal das System in Frage zu stellen«.
João Machado forderte den sofortigen Rücktritt der Vertreter der Linken aus der Regierung; dies fand breite Unterstützung. Es wurde vorgeschlagen, Ende des Jahres eine PT-Konferenz durchzuführen, die eine Bilanz der Regierungspolitik und der Situation der Partei ziehen soll. Es gab auch den Vorschlag, die gemeinsame Aktion mit Aktiven der sozialen Linken außerhalb der PT zu suchen — so auch mit denen, die nun in einer neuen Partei aktiv sind, die von ehemaligen, aus der PT ausgeschlossenen Mitgliedern gegründet worden ist (darunter die Genossin der DS, Heloisa Helena). Eine der Auseinandersetzungen, die man führen will, ist der Kampf gegen den Vorschlag für eine »Gewerkschaftsreform«, den Regierung, Unternehmer und die Mehrheit im Vorstand der CUT vorgelegt haben.
Die anwesenden Vertreter von DS, Articulação de Esquerda, Movimento da Unidade Socialista und Foro Socialista teilten dieselbe Analyse und waren froh, in dem neuen Kampf zusammenstehen zu können, da die Herausforderung immens ist. Die Teilnehmenden haben auf die Bedeutung auch einer anderen Initiative hingewiesen, das Seminar »Wir wollen ein anderes Brasilien«, das im März von einer Gruppe von Parlamentariern der PT organisiert wurde. Das Seminar ging ausschließlich von Aktiven und führenden Vertreter der linken Strömungen in der PT aus — ohne Zustimmung von deren Leitungen. Es handelte sich hier also nicht um einen Ort, an dem Beschlüsse gefaßt, sondern an dem ein Austausch stattfand und Vorschläge unterbreitet wurden. Die Leitungen dieser Strömungen sind in ihrer Mehrzahl zwar nicht mit der Regierung und der Leitung der PT einverstanden (das gilt für mehrere Fragen, zumal die Wirtschaftspolitik), aber sie sind derzeit auch nicht dafür, der Parteiführung oder der Regierung einen härteren Kampf anzusagen.

Beatrice Whitaker


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