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Brigitte Kiechles Ausführungen zum strategisch eminent wichtigen Thema des irakischen antikolonialen Widerstands
und der speziell europäischen linken Positionen dazu bedürfen einer kritischen Würdigung. Diese Würdigung wird, das sei gleich
eingangs gesagt, dadurch erschwert, dass die Autorin darauf verzichtet, ausgerechnet die hierzulande von den Medien weitgehend ignorierten irakischen
Kräfte, die sie als linke betrachtet, namentlich zu nennen, wie sie auch die von ihr kritisierten außerirakischen Kräfte nicht namentlich nennt.
Der Leser kann in diesen Fragen ihren Ausführungen folglich nur glauben oder muss sich selbst bezüglich dieser Kräfte relativ gut auskennen,
um ihre Kritik nachvollziehen zu können.
Kiechle weist im ersten Teil ihrer Ausführungen richtig darauf hin, dass der irakische
Widerstand sehr vielgestaltig ist und niemand zumal im Ausland genau weiß, wer hier welche Bedeutung hat. Leider hindert sie das nicht
daran, im folgenden den gesamten irakischen Widerstand mehr oder weniger auf seinen zumal islamistischen sozial-reaktionären Teil zu reduzieren.
Natürlich ist ihr zuzustimmen, dass es fatal wäre, sich aus Gründen des für revolutionäre Sozialisten allerdings unverzichtbaren
und taktisch primären Antiimperialismus davor zu drücken, diese Kräfte korrekt einzuschätzen.
In ihrer Führung und ihrer politischen und sozialen Programmatik sind sie der rechte
Flügel der bereits bestehenden oder sich auf ihr Entstehen vorbereitenden irakischen Bourgeoisie. Als solche sind sie organisch mit dem kapitalistischen
Weltsystem verbunden. Ihr Antiimperialismus kann nur konjunkturell sein. Die Tatsache, dass die soziale Basis etwa der sadristischen Bewegung plebejisch oder
subproletarisch ist, deutet jedoch auf grundsätzlich widersprüchliche Interessen zwischen dieser Basis und ihrer klerikalen Führung hin.
Eine Linke, deren historische Aufgabe es ist, nicht nur das Proletariat im engeren Sinn dabei zu
unterstützen, sich zur Klasse an und für sich zu organisieren, sondern auch als Tribun aller ausgebeuteten und unterdrückten Schichten der
Gesellschaft aufzutreten, müsste m.E. in Verbindung mit einer offenen Kritik an den Halbherzigkeiten der islamistischen Führung und ihren gegen
die Klasseninteressen ihrer Basis gerichteten sozialen Interessen diesen heute islamistischen Kräften eine konsequentere
antiimperialistische Perspektive bieten. Konsequent antiimperialistisch heißt natürlich jenseits des Rahmens des Kapitalismus.
Zu einer derartigen Politik ist weder die ungeachtet aller Rechtfertigungsversuche mit der
Besatzungsmacht »kritisch« kollaborierende IKP noch die von Kiechle, wie mir scheint, in anderen Fragen ungenannt zum Kronzeugen
erwählte »Arbeiterkommunistische Partei Iraks« fähig. Die exstalinistische KP hat mit der Kollaboration ihre Transformation in eine
sozialdemokratische Partei vorläufig beendet. Die »zivilgesellschaftliche« API, die wenn sie nicht an die von ihr bei anderer
Gelegenheit zutreffend als reaktionärer Feind der werktätigen Massen Iraks verurteilte Besatzungsmacht Appelle richten kann, solche an deren
Feigenblatt, die UNO, richtet lehnt den bewaffneten Widerstand insgesamt als reaktionär ab. Sie und mit ihr Brigitte Kiechle
scheinen zu glauben, die Organisierung von Gewerkschaften und Frauenorganisationen sei ein Ersatz für den bewaffneten Widerstand.
Richtig ist, dass es unbedingt notwendig ist, die Arbeiterklasse in Gewerkschaften und anderen
Klassenorganisationen zu organisieren und auch die Frauen gleich anderen unterdrückten Teilen der Gesellschaft eigenständig für ihre
spezifischen Interessen zu organisieren und sie zu ermächtigen, in Zukunft ihre Interessen auch gegen die einheimische Reaktion einschließlich der
»antiimperialistischen« zu verteidigen.
Völlig abwegig ist es jedoch zu glauben, dass in einem Land, in dem rund 70% der
Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter erwerbslos sind, Gewerkschaften in der Lage wären, eine Kraft zu entwickeln, der die Besatzer weichen
müssten. Alle zivilen Antibesatzungskräfte im Irak können nur einen Handlungsspielraum gegenüber der Kolonialmacht gewinnen,
insoweit diese angesichts des stärker werdenden bewaffneten Befreiungskampfs (eines nationalen und keineswegs sozialen Befreiungskampfes
wohlbemerkt) gezwungen sind, zu taktieren. IKP und API haben sich jedoch angesichts der Kämpfe vom April offiziell als neutral erklärt. Sie
bieten damit den antikolonialen Massen keine alternative Führung an. Ihr Schicksal kann folglich, falls die Kolonialmacht siegt und falls sie besiegt wird,
nur das der Marginalisierung sein.
Was nun die europäische Solidaritätsbewegung betrifft, so kann man annehmen,
dass Kiechles Kritik insbesondere den Aktivitäten des »Antiimperialista«-Camps und seiner Kampagne »10 Euro für den
irakischen Widerstand« gilt. Richtig ist es meiner Meinung nach zu kritisieren, dass in diesen Kreisen eine bedenkliche Tendenz dazu besteht, die
wohlbemerkt auch von ihnen selbst durchaus geäußerte Kritik an verschiedensten Kräften des irakischen Widerstands mit der
Begründung in den Hintergrund zu schieben, dass die objektive Situation, die Klassenbasis und die Notwendigkeiten der weiteren Entwicklung des
Widerstands die ideologischen Ungereimtheiten oder gar reaktionären Inhalte neutralisieren würden. Daraus aber wie Kiechle das m.E. tut
zu schließen, dass man die soziale Frage dem auf die Lösung der nationalen Frage zielenden real existierenden bewaffneten Kampf
entgegenstellen könne oder gar müsse, ist für die Zukunft der Linken im Irak ebenso verhängnisvoll wie eine politische Unterordnung
unter die bürgerlichen Kräfte des bewaffneten Widerstands. Diese würde die Arbeiterklasse und ihre potenziellen Verbündeten
für den unausweichlichen Klassenkampf gegen die einheimische Bourgeoisie die antiimperialistische und islamistische wieder einbezogen
ideologisch und politisch entwaffnen. In diesem Sinn ist es leider nicht einzusehen, wieso eine Orientierung auf die leider ungenanten
»linken und fortschrittlichen Kräfte im Irak«, mit denen B.Kiechle vermutlich die IKP und API meint (gibt es auch fortschrittliche
Kräfte dort, die rechts sind?) es der Solidaritätsbewegung in den imperialistischen Ländern leichter machen sollte, den Preis für die
Besatzung hochzuschrauben.
Die Lösung liegt in einer technischen (oder wie es früher hieß
»militärischen«) Unterstützung des bestehenden nationalen bewaffneten Befreiungskampfs bei gleichzeitiger politischer Opposition
gegen dessen bürgerliche Führungen. Auch wenn die irakische Linke heute nicht die Kraft hat, eine solche politische Linie in der Praxis
durchzuführen, bürgt doch die praktizierte entgegengesetzte Politik dafür, dass sie auch in Zukunft keine Kraft für nichts haben wird.
Anton Holberg
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