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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2004, Seite

Erkenntnisgewinn und pädagogischer Eifer

Alex Callinicos: Ein Anti-Kapitalistisches Manifest, Hamburg: VSA, 2004, 160 Seiten, 14,80 Euro

Der kleine Band ist knapp und verständlich geschrieben und beschert einiges an Erkenntnisgewinn. Alex Callinicos zeichnet den Aufstieg und die Dynamik der globalisierungskritischen Bewegungen nach und erkennt eine »objektiv« antikapitalistische Tendenz der weltweiten Sozialforumsbewegung. Er erörtert Fakten und Theorien über die Natur der neoliberalen Globalisierung, die geopolitischen Strategien von EU, USA, Japan, Russland und China und leuchtet die Debatten um »Empire« und »neuen Imperialismus« aus.
Überzeugend zeigt er auf, dass die derzeitigen Stagnations- und Strukturprobleme der Weltwirtschaft nicht allein auf die »Globalisierung der Finanzmärkte« zurückzuführen sind, sondern im Prozess der »konkurrenzgetriebenen Akkumulation« und den davon erzeugten Überinvestitions- und Rentabilitätskrisen selbst liegen. Ökonomisch wie geopolitisch steuert dieser neoliberale, globalisierte Kapitalismus auf gesellschaftliche Instabilität und mögliche kriegerische Krisen zu.

Vielfalt und Strategie

Sehr sympathisch finde ich, dass Callinicos dabei eine breite Palette an Theorien und Thesen von rechts bis links erörtert — darunter auch viele exzellente Autorinnen und Autoren aus dem sozialliberalen und linken Spektrum in den USA, Asien und Europa, von denen das normale deutsche Attac-Mitglied hier vielleicht das erste Mal etwas liest. Ebenso sympathisch ist mir sein Beharren auf Universalismus und Vielfalt — sowohl gegen postmoderne »Mikro-Identitätspolitik« als auch gegen jenen linguistisch orientierten postmodernen Dekonstruktivismus, der behauptet, gesellschaftliche Veränderung sei weder möglich noch erstrebenswert. Dennoch finde ich, dass auch eine universalistisch und pluralistisch orientierte Linke von postmodernen Theoretikern etwas lernen kann, was die Analyse und Dekonstruktion konkreter Machtverhältnisse angeht.
Callinicos geht es in erster Linie um eine Charakterisierung der ideologisch-strategischen Orientierungen unterschiedlicher Bewegungsakteure, wodurch andere Aspekte unter den Tisch fallen — etwa der Beitrag feministischer Bewegungen (Weltmarsch der Frauen, Europäische Versammlung der Frauen auf dem ESF in Paris) oder die auffällige Tatsache, dass ökologische Fragen (Folgen der Gen- und Nanotechnologien, Patentierung usw.) zwar auch von Umwelt-NGOs der Industrieländer, aber vor allem von Massenbewegungen der Kleinbauern aus Indien und Lateinamerika stark thematisiert werden. Wie er diese jeweiligen strategischen Orientierungen inhaltlich beschreibt, ist im Großen und Ganzen nachvollziehbar und zutreffend — bis auf die Einreihung der »rechtspopulistischen Globalisierungskritik« in dieses Schema, die nun einmal erbitterte Gegnerin und nicht Bestandteil der Sozialforumsbewegung ist.
Um die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden, müsse die plurale Bewegung allen Versuchen widerstehen, sich von den Herrschenden einbinden zu lassen und die strategische Rolle der organisierten Arbeiterklasse anerkennen: »Weil ihre Ausbeutung für das Funktionieren des Kapitalismus entscheidend ist, hat sie als Kollektiv die Fähigkeit, die Produktion zu stören, lahm zu legen und neu zu organisieren und folglich das Wirtschaftsleben nach anderen Prioritäten neu auszurichten.«
Überhaupt scheint mir, dass in Callinicos‘ Beschreibung der »Vielfalt und Strategien« der Bewegung zu sehr der pädagogische Eifer mit ihm durchgegangen ist. Die Folie liefert das Kommunistische Manifest von 1848: z.B. reaktionärer Sozialismus, Bourgeoissozialismus, kritisch-utopischer Sozialismus. Bei Callinicos wird daraus »reaktionärer«, »bürgerlicher«, »lokalistischer«, »reformistischer«, »autonomistischer« und »sozialistischer« Anti-Kapitalismus. Er erkennt an, dass viele dieser Strömungen streng genommen nicht für die vollständige Ablösung des Kapitalismus sind, behauptet aber, dass sie »antisystemisch« und deshalb eben tendenziell »antikapitalistisch« seien. Strömungen als »anti-kapitalistisch« zu bezeichnen, die den Kapitalismus retten oder sozialer regulieren wollen, ist aber einfach Unfug. Antisystemisch ist die Bewegung ebenfalls nicht, sondern sie wirft »systemische Fragen« nach dem Zusammenhang zwischen verschiedenen Krisen und Ungerechtigkeiten auf. So betrachtet bieten dann etwa Keynesianismus, Lokalismus und »neuer Protektionismus« oder eine Strategie der Importsubstitution in den Entwicklungsländern »systemische« Alternativen zur derzeitigen neoliberalen Globalisierung.

Reform oder Revolution

Im Spannungsfeld von »Reform oder Revolution« entwickelt der Autor abschließend seine eigenen Vorschläge für einen internationalen Sozialismus. Dieser soll auf den miteinander verknüpften ethischen Prinzipien von Effizienz, Demokratie, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit aufbauen (vgl. dazu auch Callinicos‘ Beitrag im Sozialistischen Heft 6). Und er diskutiert dabei die drei grundlegenden Alternativen eines erneut sozial regulierten Kapitalismus, eines Marktsozialismus und eines Wirtschaftsmodells partizipatorischer Planung. Die letzte Option — sehr knapp erläutert anhand von konzeptionellen Arbeiten von Pat Devine, Michael Albert und Michael Barratt Brown — betrachtet er als die zukunftsweisende Vision eines möglichen Selbstverwaltungssozialismus. Das ist sehr zu begrüßen. Denn damit rückt nicht nur die Beschäftigung mit alternativer Wirtschaftspolitik, sondern auch mit Fragen alternativer Wirtschaftsordnung in den Diskurshorizont der globalisierungskritischen Bewegung.
Ansonsten operiert Callinicos jedoch weitgehend mit »Platzhaltern« und »Erinnerungsposten« aus dem Arsenal der Strategiedebatten der frühen III.Internationalen: (gewaltsame) Revolution, sozialistische Weltrepublik, Zerbrechen der bürgerlichen Staatsapparate, Zentralität der Arbeiterklasse, Einheitsfrontpolitik (Einheit in der Vielfalt) und Übergangsprogramm. Er spricht damit sehr wichtige strategische Fragen an, hält dies selbst aber wohl bereits für die Lösung. Dadurch wirkt das Manifest am Ende dann doch etwas hölzern. Dabei fangen die verdrängten Probleme einer sozialistischen Transformationsstrategie damit erst richtig an: Worin genau besteht diese Revolution — wesentlich im Aufstand und der Eroberung der Macht, in den gesellschaftsverändernden Strukturreformen hinterher oder beidem? Welche »Demokratisierung der Demokratie« und Umwandlung staatlicher Macht ist damit verbunden? Wie können wir uns den Weg von zunächst nationalstaatlichen oder regionalen Umwälzungen zum »Weltsozialismus« vorstellen — braucht er ein Zusammenspiel von Bewegungspolitik und staatlicher Geopolitik, neue internationale Institutionen etc.? Was, wenn man eine Mehrheit für konkrete Reformen (Übergangsprogramm, Politikwechsel) bekommt, nicht aber für einen Systemwechsel — was dann (siehe »Arbeiterregierung Thüringen und Sachsen 1923«)? Und so weiter und so fort.

Fragen des Übergangs

Callincos‘ »Übergangsprogramm« soll wohl die finale Pointe seines Manifests liefern. Das geht leider schief. Die Streichung der Dritte-Welt-Schulden, Tobinsteuer, Kapitalverkehrskontrollen, Verteidigung von Bürgerrechten und öffentlichen Diensten, Arbeitszeitverkürzung und soziale Grundsicherung, Abrüstung, Ausweitung von Einbürgerungsrechten und verstärkte Umweltpolitik — das alles sind unterstützenswerte Kernforderungen der Bewegungen, jedoch auch im Rahmen einer kapitalistischen Produktionsweise zu machen, wie der sozial regulierte Kapitalismus von 1945 bis Mitte der 70er Jahre gezeigt hat.
Callinicos schafft keine direktere Verzahnung zwischen diesen »Übergangsforderungen« und seiner Vision einer partizipatorischen Ökonomie. Auch der alte leninistische und trotzkistische »Platzhalter«, die Forderung nach »umfassender Arbeiterkontrolle über die Produktion«, war zu simpel gestrickt: Wenn ihr diese von euch mehrheitlich unterstützten Forderungen umsetzen wollt, müsst ihr die politische Macht ergreifen und »das System stürzen«.
Eigentlich sind Gewerkschaften und globalisierungskritische Bewegungen durch ihren Zugang zu heterodoxen Wissenschaftskreisen und der seit den 70er Jahren recht entwickelten »Szenariotechnik« (z.B. die vielfältigen Vorschläge zu einer Energie- und Verkehrswende etc., die ähnlich in anderen Bereichen entwickelt werden könnten) heute besser aufgestellt, um »elementare Forderungen« mit konkreten Konzepten für sinnlich darstellbare »Strukturreformen« zu verknüpfen. Callinicos Sache scheint das (noch) nicht zu sein. Auch das ist ein Erkenntnisgewinn.

Klaus Dräger

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