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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2004, Seite 21

Schultze Gets the Blues

BRD 2003, Buch, Regie: Michael Schorr, Darsteller: Horst Krause u.a. Seit dem 22.April in den Kinos.

Teutschenthal heißt der Ort, in dem dieser Film überwiegend spielt. Diesen Ort gibt es wirklich, er liegt im südlichen Sachsen-Anhalt in der Nähe von Halle. Dort geht es im Film auch sehr »teutsch« (deutsch wurde bis ins 19.Jahrhundert mit t geschrieben) zu. Man glaubt sich nicht nur in die tiefste Provinz sondern auch um einige Jahrzehnte zurück versetzt.
Hier ist die Kirche noch im Dorf und der Musikverein spielt ausschließlich teutsche Musik. Das ausdauernde Klingeln an einem zu lange geschlossenen Bahnübergang, um den Beamten zum Öffnen der Schranken zu bewegen, ist das Rebellischste, was die teutschen Teutschenthaler zu bieten haben. Ansonsten herrscht Ruhe und Ordnung. Auch der Verlust der Arbeitsplatzes wird ruhig und ordentlich hingenommen. Immerhin bekommt man zum Abschied ein teutsches Bergmannslied gesungen. Was will der Teutschenthaler mehr?
Auch Schultze und seine beiden Kumpels sind tief in dieser teutschen Biederkeit verwurzelt. Sie putzen ihre Gartenzwerge, pflegen ihren Schrebergarten, angeln, trinken ihr Herrengedeck in der Dorfkneipe, spielen dort Skat und Polka im Musikverein. Denn Schultze ist Musikant. Er spielt im Musikverein auf dem Akkordeon die Polka, die dort auch bereits sein Vater gespielt hat. Das erwarten seine Mitmusikanten von ihm. Was würde letzten Endes sein Vater von ihm denken, wenn er noch lebte? So scheint in Teutschenthal alles in schönster teutscher Ordnung zu sein, bis Schultze eines Abends das Radio anstellt. Dort hört er Akkordeonklänge, die so ganz anders sind als die Teutschenthaler Polka. Die Melodie geht ihm nicht mehr aus dem Kopf und schließlich beginnt er sie nachzuspielen. Es handelt sich um Cajun, Musik aus dem US-Bundesstaat Louisiana, die aus einer Mischung von afrikanischen, französischen und Country-Elementen entstanden ist.
Die Ereignisse nehmen ihren Lauf, als Schultze auf dem Jubiläumsfest des Musikvereins seine neue musikalische Errungenschaft vorführt. Außer seinen beiden Kumpels, deren Ehefrauen und einer nur kurz in Teutschenthal weilenden Flamenco tanzenden Kneipenbedienung reagieren die Musikfreundinnen und -freunde ablehnend bis empört. »Negermusik« schallt es aus dem Saal, was in ganz Teutschland schon immer das vernichtendste Urteile über Musik war, das bereits in den 20er Jahren über den Jazz gefällt wurde. Schultzes Freundinnen und Freunde stoßen zwar ausdrücklich auf die »Negermusik« an, können die Stimmung im Saal aber nicht wenden. Die Teutschenthaler Musikantinnen und Musikanten zeigen sich aber versöhnlich und schicken Schultze in die Teutschenthaler Partnerstadt New Braunsfeld in Texas. Auf dem dortigen Musikfest geht es aber fast noch teutscher zu als in Teutschenthal. Es wird gejodelt und Blasmusik gespielt und zum Schluss ertönt gar die teutsche Nationalhymne. Da wird es Schultze zu viel, er flieht mit einem Boot nach Louisiana, der Heimat des Cajun. Trotz fehlender Englischkenntnisse kommt er gut zurecht, trifft nette Menschen unterschiedlicher Nationalität und schließlich landet er auf einer Cajun-Party.
Der Film verbreitet einen melancholischen Optimismus. Trotz der dargestellten Tristesse zeigt er mehrere Charaktere, die sich nicht unterkriegen lassen. An erster Stelle Schultze, dessen Vornamen wir nicht erfahren. Horst Krause, der bereits in Wir können auch anders glänzte, ist auch in diesem Film als Darsteller des depressiven Frührentners Schultze nicht nur seinem Leibesumfang nach gigantisch. Er spielt die wortkarge Figur sehr glaubwürdig und ohne jede Übertreibung. Krause ist Schultze. Seine Odyssee durch Amerika ähnelt der Reise der Leningrad Cowboys in Kaurismäkis Leningrad Cowboys go America. Man sieht den unspektakulären, ländlichen Teil der USA, der in Hollywood-Filmen meistens nicht zu sehen ist. Die Menschen stehen dabei im Mittelpunkt. Geredet wird nicht viel, Gesten reichen oft aus, wenn dadurch auch ein schwerwiegendes Missverständnis entsteht.
Der Film fängt Stimmungen eher durch Bilder als durch Worte ein und das gelingt sehr überzeugend. Ein paar Aufnahmen von Teutschenthal und seiner Umgebung und man weiß, wo man ist: In der tiefsten deutschen Provinz. Auch die amerikanische Provinz wird ähnlich eingefangen, wirkt aber weniger deprimierend, weil sie für Schultze auf seinem Boot Befreiung aus der Enge, in der er bisher gelebt hat, bedeutet.
Die letzte Szene ist die schönste, trotz ihres traurigen Hintergrundes. Teutschenthal hat sich zum Besseren verändert und Schultze hat dazu beigetragen. Auch tiefster teutscher Biedersinn und Provinzialismus lassen sich besiegen, nicht nur in Teutschenthal.

Andreas Bodden

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