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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 3

Es gilt das gebrochene Wort

Das schwarz-rot-grüne Zuwanderungsgesetz übertrifft alle Befürchtungen

Von einem Zuwanderungsgesetz war bei nüchterner Analyse von vorneherein nichts Gutes erwarten. Der jetzt von Rot- Grün mit CDU/CSU und FDP vereinbarte Kompromiss ist aber in vielen Teilen noch schlechter als das geltende, unzureichende und auf Abschottung ausgerichtete Ausländerrecht. Dennoch wird es so kommen, wie es Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), Bayerns CSU-Hardliner Günther Beckstein und Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) am Donnerstag ausgehandelt haben. Die Grünen, die vom Bundeskanzler brüskiert wurden und an den Schlussverhandlungen nicht teilnehmen durften, werden es nicht wagen, den Koalitionsfrieden aufs Spiel zu setzen.

Bundeskanzler Schröder hatte Druck gemacht und einigte sich am 25.Mai mit Angela Merkel (CDU), Edmund Stoiber (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) politisch darauf, das Thema Zuwanderung »abzuräumen«. Die Grünen waren zunächst aus dem Vermittlungsverfahren ausgestiegen und hatten für ihre klare Ansage »das Spiel ist aus« viel Beifall aus den Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen erhalten, doch dann ließen sie es am notwendigen Rückgrat fehlen, sie fielen um und ließen es zu, dass der endgültige Text ohne ihr Beisein ausgehandelt wurde.
Einzelne grüne Politiker tönten noch, Maßstab für den »grünen TÜV« werde sein, dass es für keinen einzigen Migranten und keine einzige Migrantin zu Verschlechterungen komme. Solche Versprechungen sind absolut lächerlich, denn schon der ursprüngliche rot-grüne Gesetzentwurf führte zu zahlreichen negativen Änderungen für die Migrantinnen und Migranten. Zwar wird es auf Antrag mehrerer grüner Landesverbände einen kleinen Parteitag geben. Man kann aber jetzt schon prophezeien: Am Ende werden die Grünen am 30.Juni im Vermittlungsausschuss und am 9.Juli im Bundestag und Bundesrat dem Zuwanderungsgesetz zustimmen. Dabei wissen sie ebenso gut wie die SPD, dass der Name dieses Gesetzes eine Täuschung der Öffentlichkeit ist, weil es in Wahrheit alleine auf Abwehr und Verschärfungen angelegt ist. Und SPD und Grüne wissen auch, dass sie mit diesem Gesetz viele alte Versprechen bewusst brechen.
Aber der entscheidende politische Fehler wurde nicht erst in letzter Zeit begangen, sondern liegt schon viel weiter zurück. Es war falsch, sich überhaupt auf ein Gesetzgebungsverfahren zur »Steuerung« der Zuwanderung einzulassen. Wer hinter die theatralische Rhetorik von »Modernisierung« und »Kernstück rot-grüner Reformpolitik« geschaut hatte, wusste von Anfang an, dass es keine Abkehr vom Prinzip der »Festung Europa« geben würde.
Im inhumanen kapitalistischen System führt ein solches Gesetz zwangsläufig zur Begrenzung von Zuwanderung statt zu einer Politik der offenen Grenzen und des Schutzes für politisch Verfolgte. Man muss sich nur die Bestrebungen der EU vor Augen führen, die neuen Außengrenzen — wie in den vergangenen zehn Jahren die alten Grenzen — dicht zu machen. Asylbewerber ohne nähere Prüfung ihres Schicksals in sog »sichere Drittstaaten« zurückzuweisen und insgesamt den Flüchtlingsschutz an Länder der Dritten Welt zu »delegieren«, die man mit viel Geld dafür kauft, an Stelle des reichen Europas Verfolgte aufzunehmen.
Ein Bedürfnis für ein Zuwanderungsgesetz aus Gründen der Arbeitsmigration gab es in Wahrheit nicht, obwohl Arbeitgeberverbände in der Hoffnung auf Lohndumping und verschärfte Konkurrenz und erstaunlicherweise die Gewerkschaften dafür warben. Aber die Industrie hat es im Kapitalismus schon immer verstanden, die für sie notwendigen Arbeitskräfte aus dem Ausland zu rekrutieren. Das war auch in Deutschland so, wobei es für die Wirtschaft keine Rolle spielte, ob dies über ein Gesetz oder nur über Ausnahmeverordnungen geregelt war.
Die Wirtschaft hat in einem kapitalistischen System von der Politik stets das bekommen, was sie braucht. Das gilt auch für die »Ware Arbeitskraft«. Ein Zuwanderungsgesetz konnte daher diese zynischen Machtverhältnisse nicht ändern, sondern nur festschreiben. Genau dies zieht sich vom ersten rot-grünen Entwurf bis zum jetzt beschlossenen Text wie ein roter Faden durch das Gesetz: Es wird in menschenverachtender Weise unterschieden zwischen den »Ausländern, die uns nützen, und denen, die uns ausnützen« (Originalton Beckstein). Die Arbeitsmigration wird nach dem »Nützlichkeitsprinzip« organisiert und »nur im nationalen Interesse« zugelassen.
Dabei ist das Zuwanderungsgesetz auch in diesem Teil so kompliziert und bürokratisch, dass die Hürden für Migranten unüberwindlich groß erscheinen. Beispielsweise kann als Selbstständiger nur einwandern, wer sage und schreibe 1 Million Euro investiert und zehn neue Arbeitsplätze schafft. Die Tragfähigkeit der Geschäftsidee wird von deutschen Bürokraten beurteilt. Sicherheit für Migranten gibt es nicht: Der Aufenthalt wird zunächst auf drei Jahre befristet. Solche Bedingungen taugen eher zur Abwehr, als dass man sie als »Öffnung« bezeichnen könnte.
Die vielfach geforderte bessere Integrationspolitik besteht hauptsächlich in der Verpflichtung, an Sprachkursen teilzunehmen, verbunden mit Druck auf die Migranten, wenn sie das geforderte Sprachniveau nicht erreichen. Dann droht nämlich die Ausweisung. Als Drohung müssen auch diejenigen das neue Recht empfinden, die schon lange in Deutschland leben. Als man sie gebraucht hat, damit sie die Drecksarbeit tun, hat niemand sich darum gekümmert, dass man Menschen und nicht nur Arbeitskräfte ins Land holte. Zum »Dank« für ihre Schufterei müssen sie künftig damit rechnen, dass sie nachträglich zur Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen verpflichtet werden. Wer am Ende den Namen des Bundespräsidenten nicht weiß oder die Funktion des Bundesrats nicht richtig beschreiben kann, wird mit Kürzung von Sozialleistungen um 10% bestraft. So geht die deutsche Politik mit »Bestandsausländern« um — übrigens ein Begriff, der in seiner bürokratischen Kälte ins Wörterbuch des Unmenschen gehört.
Somit hätte es allenfalls einen Bereich geben können, der es gerechtfertigt hätte, ein Zuwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen: Die humanitären Regelungen. Aber Rot-Grün hätte wissen müssen, dass man in weiten Teilen die Zustimmung des Bundesrats brauchte, und dass mit einer CDU/CSU, die in der Vergangenheit oft genug die Stammtische und den verbreiteten Rassismus bedient hat (man denke an Roland Kochs erfolgreiche Kampagne in Hessen gegen die doppelte Staatsangehörigkeit), keinerlei Fortschritte zu erwarten waren.
Genau so ist es gekommen. Die Bilanz des Zuwanderungsgesetzes bei den humanitären Regelungen ist denkbar schlecht. Dringende Probleme wie eine sogenannte Altfallregelung, Verbesserung der Lage »Illegaler« oder Abschaffung des Flughafenverfahrens werden nicht angepackt. Die Abschiebehaft und die »Ausreisezentren« bleiben bestehen. Die Weisungsfreiheit der Entscheider in Asylverfahren wird abgeschafft, sodass der Einfluss des Bundesinnenministeriums auf die Ablehnung von Asylanträgen wächst. Anerkannte Asylbewerber erhalten nur noch eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubis mit Widerrufsmöglichkeit. »Selbstgeschaffene« Nachfluchtgründe werden nicht mehr berücksichtigt — das heißt im Klartext: Verbot exilpolitischer Betätigung! Das Asylbewerberleistungsgesetz, das Leistungen unterhalb des Sozialhilfeniveaus vorsieht, wird in seinem Anwendungsbereich ausgedehnt. Die Residenzpflicht (Beschränkung der Freizügigkeit) wird nicht etwa endlich abgeschafft, sondern sogar noch ausgedehnt.
Pro Asyl hat nach der Einigung von Schily, Beckstein und Müller in einer ersten Analyse festgestellt, dass die bisherige Praxis der Kettenduldungen nicht beendet, sondern sogar verschärft wird. Im Vergleich zum geltenden Ausländerrecht werden die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt erschwert. Immer weniger Personen werden daher als Flüchtlinge anerkannt, viele können aber nicht in ihr Herkunftsland zurück, etwa Flüchtlinge aus dem Irak, aus Afghanistan, Kosovo und Tschetschenien.
Daher wird es weiter Kettenduldungen geben mit vielen konkreten Nachteilen für die Betroffenen: Sie unterliegen der Residenzpflicht und dürfen den Bezirk oder die Stadt, in der sie wohnen, nicht verlassen. Geduldete fallen unter den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes, d.h. sie bekommen rund 30% weniger Sozialhilfe als die regulären Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Geduldete haben nur einen »nachrangigen« Zugang zum Arbeitsmarkt. Viele Arbeitgeber stellen Geduldete wegen der bürokratischen Hürden erst gar nicht ein und auch wegen der Ungewissheit, wie lange die Duldung aufrecht erhalten bleibt.
Demgegenüber ist der Pluspunkt des neuen Gesetzes, nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung neu geregelt zu haben, nicht so gewichtig. Hierfür wurde ohnehin am 30.April 2004 eine auch Deutschland bindende EU-Richtlinie beschlossen. Sofern die Koalition mit der Härtefallregelung wirbt, muss einschränkend gesagt werden, dass es den Ländern freigestellt ist, sie anzuwenden. Hessen hat bereits angekündigt, auf Härtefallkommissionen zu verzichten. Zudem läuft diese Regelung nach fünf Jahren bereits wieder aus.
Gibt es somit so gut wie keine Fortschritte im humanitären Bereich, fällt die Gesamtbewertung noch negativer aus, wenn man bilanziert, welche sog. »Sicherheitsfragen« im Zuge der allgemeinen Terrorismushysterie am Ende noch in das Gesetz hineingenommen wurden:
Einführung einer Abschiebungsanordnung, die gegen Personen mit »Terrorismusbezug« aufgrund einer »tatsachengestützten Gefahrenprognose« erlassen werden kann. Dagegen gibt es Rechtsschutz nur noch in einer Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht. Wer nicht abgeschoben werden kann, wird strikt überwacht (Meldeauflagen, Einschränkungen der Freizügigkeit, Kommunikationsverbote wie etwa Verbot der Handynutzung!).
Zwingende Ausweisung von »Schleusern«.
Zwingende Ausweisung von Angehörigen einer »Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt oder unterstützt hat«.
Einführung einer Regelausweisung von Leitern verbotener Vereine.
Einführung einer Ermessensausweisung für »Hassprediger«: »Ein Ausländer kann insbesondere ausgewiesen werden, wenn er öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht in einer Weise billigt oder dafür wirbt, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.«
Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor Erteilung einer Daueraufenthaltserlaubnis.
Es ist unfassbar, dass bei einem solchen Inhalt führende Grüne wie die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, oder Parteichef Reinhard Bütikofer immer noch von einem »tragfähigen Kompromiss« sprechen.

Ulla Jelpke

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