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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 4

Metin Kaplan und andere Normalfälle

Abschiebepolitik und neues Zuwanderungsgesetz

von ALBRECHT KIESER

Was wird im kollektiven Gedächtnis der Deutschen haften bleiben im Falle des Metin Kaplan? Schon wieder konnte einer nicht rausgeworfen werden, den hier keiner haben will. Unglaublich. Was haben wir bloß für lasche Gesetze. Da war doch vor kurzem schon mal einer. Dieser Mehmet. Genau. Dieser Mehmet aus München, so ein krimineller Jugendlicher. Auch so einer, den man nicht loswerden konnte. Unglaublich, was wir für lasche Gesetze haben.
Der Fall Kaplan und der Fall Mehmet sind zwei Fälle von über 120000. So viele Ausländer nämlich wurden seit Mehmet aus Deutschland abgeschoben. Keiner von ihnen ist mit Namen oder Gesicht annähernd wie sie dem deutschen kollektiven Gedächtnis eingebrannt worden. Nicht einmal Aamir Ageeb. Nur wenigen wird dieser Name etwas sagen. Dabei ist er immerhin von Beamten des Bundesgrenzschutzes während des Abschiebeflugs zu Tode gebracht worden. Es hat sogar Jahre später einen Prozess gegeben. Einen Prozessversuch. Der Richter erklärte sich nach Wochen für nicht zuständig. Aamir Ageeb ist einer von 126 Toten, die bei Abschiebemaßnahmen aus Deutschland umkamen oder sich umbrachten.
Wenn es nicht einmal diese Toten der außerordentlich funktionstüchtigen deutschen Abschiebemaschinerie ins öffentliche Bewusstsein schaffen, dringt der ganz gewöhnliche Abschiebealltag schon gar nicht in die veröffentlichte Meinung ein.
Ein Alltag, der z.B. so abläuft: Am Morgen des 25.Mai umstellen mehrere Hundertschaften Polizei Flüchtlingsunterkünfte in Köln. Türen werden eingetreten, Menschen aus dem Schlaf gerissen. 16 Roma werden nach Düsseldorf gebracht und mit anderen aus anderen Städten in einer LTU-Chartermaschine nach Belgrad ausgeflogen. Unter den Abgeschobenen, denen in Serbien Not und rassistische Verfolgung drohen, sind keine Verbrecher und Prediger; unter ihnen ist ein schwer nierenkranker Mann, der in Belgrad ohne Versorgung bleiben wird; in zwei Fällen wurden Familien getrennt.
Die meisten Abgeschobenen lebten schon länger als 10 Jahre in Deutschland, viele der abgeschobenen Kinder wurden hier geboren. Ach ja, eine selbstmordgefährdete Frau entzog sich der Abschiebung: Sie sprang aus dem Fenster und liegt jetzt im Krankenhaus. Viele der Abgeschobenen haben einen Tag zuvor noch eine dreimonatige Duldung erhalten. Ihre Ausweisungsverfügung, die man ihnen am Morgen der Abschiebung aushändigte, war von der Ausländerbehörde vordatiert worden.
Ortswechsel: 20 Stunden später, in der Nacht zum 26.Mai, wird in Hamburg ein Charterflugzeug beladen, es geht via Amsterdam nach Togo. Über hundert Polizeibeamte sind im Einsatz, patrouillieren mit Schäferhunden, die Beamten sind behelmt und maskiert, haben Bündel von Plastikfesseln und sogenannte Abschiebehelme in den Händen, die renitenten sog. »Abschüblingen« übergestülpt werden. Kurz vor 1 Uhr werden Gefangene, gefesselt und mindestens einer mit Abschiebehelm, einzeln oder zu zweit vom Hafthaus auf dem Flughafen in Polizeitransporter gebracht. Um 2 Uhr startet die Maschine. An Bord etwa 40 abgelehnte Asylbewerber aus Togo und Kamerun, darunter zahlreiche, die nachgewiesenermaßen von der Diktatur in Togo als Oppositionelle gesucht werden.
Amnesty International kritisiert im Jahresbericht 2004 u.a. die EU und speziell Deutschland. Der Schutz von Flüchtlingen werde nicht mehr hinreichend gewährleistet. Besonders käme es zu Abschiebungen in Staaten, in denen grundlegende Menschenrechte verletzt würden. Togo und Serbien gehören dazu.
Otto Schily, Günter Beckstein und Peter Müller, die das künftige Zuwanderungsgesetz machen, brauchen nicht den mitfühlenden Blick auf die jährlich 20000 Abgeschobenen. Sie brauchen die öffentliche Wut auf Mehmet und Kaplan. In ihrem Windschatten müssen sie die geplanten Gesetzesverschärfungen nicht einmal rechtfertigen. Das Kaplan- Geschrei übertönt jede Kritik, von Amnesty, vom UNHCR oder sonst wem. Wenn z.B. flächendeckend eine zweite Sorte Abschiebehaftanstalten, sog. Ausreiselager, geplant werden; wenn die Rechtswegegarantie für »Abschüblinge« weiter verkürzt oder ganz abgeschafft wird; wenn auf die gesundheitliche Gefährdung durch die Abschiebung selber oder durch die Verhältnisse im Zielland grundsätzlich keine Rücksicht mehr genommen wird. Die Kritiker sagen, Richtschnur solcher geplanter Grausamkeiten sei nicht das Menschenrecht auf Asyl sondern die Haltung: Flüchtlinge sind tote Kosten. Solidarität ist totes Kapital.
Man erschlägt hierzulande keine Kritiker. Man macht öffentliche Hysterie. Unblutig, laut, effektiv.

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