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In mehreren Ländern wurde die Arbeitszeit für Beamte verlängert für sie gilt die 38,5-Stunden-Woche nicht mehr. Im
öffentlichen Dienst sind nun die Arbeiter und Angestellten vor die Drohung mit »Gleichbehandlung« gestellt. Wie stellt sich für Verdi
die Situation dar?
In der Tat war es bisher so, dass wir mit den Arbeitgebern Bund/Länder und Gemeinden für die Tarifbeschäftigten Ergebnisse
aushandelten, die durch Vereinbarung auf die Beamten übertragen wurden, zuletzt leider nur verzögert oder auf niedrigerem Niveau. Nunmehr
preschen insbesondere die Länder vor und verschlechtern die Arbeitsbedingungen der Beamten gesetzlich, indem sie Urlaubsgeld streichen,
Weihnachtsgeld kürzen und Arbeitszeit verlängern. Sie begründen mit der zynischen Argumentation der »sozialen
Gleichbehandlung« die Kündigung der Tarifverträge zu den gleichen Themen. Dieser Strategiewechsel ist für Verdi in mehrfacher
Hinsicht eine Herausforderung:
1. Absprachewidrig werden Teile des Tarifwerks öffentlicher Dienst einseitig
verschlechtert. Damit wird die Philosophie der Prozessvereinbarung zwischen Arbeitgebern und Verdi erheblich verletzt.
2. Ausgerechnet in dem von uns schlecht organisierten Bereich der Länder, wo das Gros
der Beschäftigten im Beamtenverhältnis steht, finden tarifpolitische Kampfansagen statt. Dass die Kündigung von Tarifverträgen durch
die kommunalen Arbeitgeber nicht erfolgte, ist kein Zufall. Sie wissen um unsere dortige Kampfkraft.
3. Stoiber, Merkel und Co. wollen mit dem öffentlichen Dienst als Vorreiter die
Arbeitszeitverlängerung gesellschaftsfähig machen und die Gewerkschaften mindestens schwächen, wenn nicht gar vernichten. Für
Westerwelle sind die Gewerkschaften »Heuschrecken und eine Plage«. Merz muss sich zitieren lassen, dass man nicht die Frösche fragen
dürfe, wenn man einen Sumpf trocken legen wolle. Sprache und Bilder erinnern an finsterste Zeiten unserer Geschichte. Die große Koalition der
Sozialklauer will gewerkschaftlichen Widerstand gegen ihre rot-grüne oder schwarz-gelbe Agenda brechen.
Wenn wir uns jetzt nicht bewegen und Handlungsfähigkeit beweisen, werden wir auf
Jahre in die politische Bedeutungslosigkeit verdrängt.
Vor allem für Neueinstellungen wurde eine verlängerte Arbeitszeitregelung angekündigt. Wen betrifft das?
Die sog. nachwirkende Tarifbindung bedeutet, dass gekündigte Tarifverträge solange für die Organisierten weiter gelten bis sie
durch eine neue Vereinbarung ersetzt werden. Das heißt, Beschäftigte sind geschützt. Ihnen muss weiter Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld bezahlt
werden und sie arbeiten weiterhin 38,5 Stunden. Den Neueingestellten können Arbeitsverträge angeboten werden, die z.B. die Beamtenregelungen
enthalten, d.h. Arbeitsverträge mit verlängerten Arbeitszeiten, ohne Urlaubsgeld oder vermindertem Weihnachtsgeld.
Gibt es Gegenmaßnahmen?
Dagegen könnten Personalräte und Betriebsräte im Einstellungsverfahren nur beschränkt ihre Zustimmung verweigern, weil
die juristischen Möglichkeiten äußerst bescheiden sind. Die Betroffenen selbst werden genötigt, entweder die
»verbösernden Bedingungen« zu akzeptieren oder keinen Arbeitsvertrag zu erhalten. Das gilt als modern und ist in Wirklichkeit
Nötigung und sittenwidrige Ausnutzung der Arbeitgebermacht.
Dagegen gibt es nur eine hilfreiche Gegenmaßnahme, nämlich kollektiv und das
heißt organisiert in und mit den Gewerkschaften politisch dafür zu kämpfen, dass die alten Tarifverträge wieder in Kraft gesetzt
werden. Darum kämpfen wir.
Dass eine Verlängerung der Arbeitszeiten für die Beschäftigung völlig widersinnig ist, brauchst du wohl nicht breit zu
erläutern.
Fakt ist, dass Arbeitszeitverlängerung nicht Arbeitsplätze schafft, sondern vernichtet. Das beweist die vergangene und gelebte Praxis.
Allein das Land Nordrhein-Westfalen hat im Doppelhaushalt in Umrechnung der Arbeitszeitverlängerung bei Beamten von 38,5 auf 41 Stunden 11300
Stellen »kw« (künftig wegfallend) gestellt. Wer behauptet, Arbeitszeitverlängerung sichere Arbeitsplätze, ist ein
ökonomischer Analphabet.
Das Argument der »leeren Kassen« im öffentlichen Dienst wird natürlich von der Gegenseite angeführt, was sagt ihr
dazu?
Mit dem Argument der leeren Kassen werden die häufigsten Wahrheitsverdrehungen täglich wiederholt. Das klingt so nach Sachzwang,
gottgewollt oder unveränderbar. Das Argument, es sei kein Geld da, ist eine Lüge. Die Gesellschaft hatte noch nie so viel Geld wie heute, es ist nur
vollkommen falsch verteilt. Die Finanzknappheit der öffentlichen Kassen ist das Ergebnis einer verfehlten Steuerpolitik, in der seit Jahren systematisch
Reiche und Unternehmen entlastet und die kleinen Leute belastet werden. Die Steuerreform hat alleine in den letzten drei Jahren dafür gesorgt, dass
Konzerne und Unternehmen 80 Milliarden Euro weniger Steuern bezahlen und das ist der eigentliche Skandal. Während jeder normale Arbeitnehmer
selbst mit kleinstem Einkommen brav Lohnsteuern abdrücken muss, zahlen die größten Arbeitgeber der Bundesrepublik keinen Cent in die
Staatskasse, weil sie Gewinne und Verluste sogar rückwirkend und international steuermindernd verbuchen dürfen, ganz legal. Das heißt, die
dramatische Situation der öffentlichen Haushalte ist durch politische Entscheidungen bewusst herbeigeführt worden. Eichel darf sich doch nicht
wundern, wenn die Unternehmer seine Steuergeschenke dankend annehmen.
Bei entsprechendem politischen Willen wären diese Beschlüsse auch wieder
veränderbar. Deswegen sagen wir, es gibt Alternativen zur aktuellen Politik. Zum Beispiel könnte eine Reform der Körperschaftsteuer
jährlich bis zu 15 Milliarden, eine Börsenumsatzsteuer würde bis zu 7,5 Milliarden Euro bringen. Eine Reform der Erbschaftsteuer oder die
Wiedereinführung der Vermögensteuer mit jeweiligen Freibeträgen von 500000 Euro würde die Staatseinnahmen um weitere 20
Milliarden Euro jährlich verbessern. Das alles sind sinnvolle Maßnahmen, aber man muss sie auch wollen. Der Spitzensteuersatz müsste auf
47% erhöht, die Steuerschlupflöcher müssten gestopft und die Wirtschaftskriminalität müsste wirksam bekämpft werden.
Wenn das alles berücksichtigt wird, entlarvt sich auch die stetig wiederholte Behauptung, die Politik des Sozialabbaus sei alternativlos, als Propaganda. Ich
habe nachgerechnet, 87% des Haushaltes von NRW stammen aus den Geldbeuteln der Arbeitnehmer. Hier gibt es nichts mehr zu holen.
Wie ist denn die Stimmung in den Betrieben gegenüber Arbeitszeitverlängerungen, welchen Druck könnten die Belegschaften
aufbauen? Immerhin war Verdi ja am 3.April sehr massiv bei den Demonstrationen vertreten.
Die Stimmung in den Betrieben und Dienststellen zur Arbeitszeitverlängerung ist zugegebenermaßen gemischt. Die einen erkennen die
gesellschaftspolitische Dimension der tarifpolitischen Offensive der Arbeitgeber und wissen um die Notwendigkeit gewerkschaftlichen Widerstands. Aber es gibt
auch Menschen, die glauben, es hätte schlimmer kommen können und die sich schleichend daran gewöhnen, genauso schlecht behandelt zu
werden wie die Beamten. Wir haben im Länderbereich nur wenige Möglichkeiten durch Warnstreiks oder Streiks ökonomischen Druck
auszuüben, aber man darf die politische Symbolkraft von Widerstandsaktionen nicht unterschätzen. Jeder Protest wird wahrgenommen. Das zeigen
auch die Reaktionen der Politik auf die Maßnahmen, die wir bisher durchgeführt haben.
Auf die Kündigung der Arbeitszeitbestimmungen am 26.3.2004 haben wir in NRW mit
etwa 2000 Kolleginnen und Kollegen in 30 verschiedenen Dienststellen spontan protestiert. Presse, Funk und Fernsehen sorgten für zusätzliche
Öffentlichkeitsarbeit. Im April und Mai haben wir reihenweise außerordentliche Personalversammlungen durchgeführt, in der wir an der
Politik der Tarifgemeinschaft deutscher Länder kein gutes Haar ließen. Wir haben kurzfristig Personalrätekonferenzen durchgeführt
und natürlich fast wöchentlich Protestveranstaltungen in Form von Nadelstichaktionen mit teils hervorragenden Teilnehmerzahlen. Parallel
läuft eine Unterschriftenkampagne »Hände weg von der Arbeitszeit«, um die betrieblichen Diskussionen lebendig zu halten.
Dass unsere Argumente auch ankommen zeigt die Entwicklung unserer Mitgliederzahlen. Im
Länderbereich haben viele Kolleginnen und Kollegen die gewerkschaftliche Basis und Kraft durch Eintritt in Verdi erhöht. Am 22./23.6.2004 haben
wir uns zu bundesweiten Warnstreikaktionen verabredet. Die Beschäftigten in den Ländern beweisen, dass auch mit geringem Organisationsgrad
Bewegendes zu erreichen ist. Jetzt benötigen wir die Solidarität aller.
Offensichtlich handelt es sich in der Arbeitszeitfrage um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, die nicht allein von den Kräften der
Beschäftigten abhängt. Politiker haben das ausdrücklich als Einstieg in eine generelle Arbeitszeitverlängerung mit Auswirkung in die
Privatwirtschaft bezeichnet. Es wird massiv öffentliche Stimmung durch die Arbeitgeber gemacht, wobei alles in die Agenda 2010 eingeordnet wird.
Lehrer und Polizisten also in Schwestergewerkschaften organisierte Beschäftigte sind ebenfalls betroffen. Welche Pläne gibt es, auf
breiter Ebene auf die Offensive der anderen Seite zu antworten?
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es sich um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung handelt. Dies muss jeder denkende Mensch erkennen,
auch die klugen oder unabhängigen Köpfe in den Medien. Deswegen wird der Kampf gegen die Arbeitszeitverlängerung auch in den
Mittelpunkt unserer Widerstandsaktionen gegen die Agendapolitik im Herbst diesen Jahres gerückt. Hier planen wir im September/Oktober
Aktionswochen und bundesweite Arbeitskampfmaßnahmen.
Die Grundlage dafür liefert uns auch der Beschluss unseres Gewerkschaftsrats, der
besagt, dass nach dem 3.April eine weitere Mobilisierung erforderlich ist, um einen Richtungswechsel gegen den Sozialabbau zu erkämpfen.
Arbeitszeitverlängerung bedeutet Arbeitsplatzvernichtung, kostet Ausbildungsplätze und bedeutet Lohnklau, wenn umgerechnet für 6 bzw.
10% umsonst mehr gearbeitet werden soll. Wir müssen auch unsere alten Argumente für die Arbeitszeitverkürzung wieder in die
gesellschaftliche Diskussion transportieren und das bedeutet: Arbeitszeitverkürzung ist ein Gewinn für die Familie, für die Gesundheit und
für die Humanisierung des Arbeitslebens; Arbeitszeitverlängerung dementsprechend das Gegenteil davon.
Mit dieser Argumentation hoffen wir alle sozialen Gruppen und Bündnisse zum
gemeinsamen Widerstand zu erreichen. So erfahren unsere Demos am 3.April und unsere Diskussionen auf dem Perspektivenkongress ihre praktische
Fortsetzung. »Vorwärts immer, rückwärts nimmer.« Diese alte Losung der Arbeiterbewegung muss wieder in die Herzen und
Köpfe. Wer heute rückwärts geht, stolpert.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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